Ich drifte immer wieder in die unreale Welt ab – kann zwischen Traum und Wirklichkeit keine klaren Grenzen ziehen.
Es folgt der emotional schwierigste Augenblick in meinem bisherigen Leben (welches zu diesem Zeitpunkt um Haaresbreite auch schon erloschen gewesen wäre…) – ich kann mich nicht mehr erinnern, wann es genau war, gleich nach meinem Erwachen oder erst Stunden später – das Zeitgefühl ist mir abhanden gekommen… (oder besser gesagt – noch immer nicht zurückgekehrt) … Auch weiß ich nicht, ob es Sandra, die diensthabende Schwester Maria oder auch etwas später meine Mutter es mir gesagt hatte: Irgendwann zwischen Realität und Traum wurde ich gefragt: „Andreas, weißt du, wo du bist, was du getan hast?“
Mir war bewusst, dass ich mich auf irgendeiner Intensivstation wiedergefunden habe, dass ich höllische Schmerzen zu ertragen habe, dass ich einen Autounfall….
… „Du bist runtergesprungen!“ …
…BUMM – es dauerte wohl einen Moment bis die gesprochenen Worte von meinem Verstand registriert und verarbeitet wurden. Doch dann bricht die Monsterwelle mit voller Härte über mich herein, der Bulldozer überrollt mich gnadenlos... Jedes einzelne Molekül meines Körpers wird von der immensen Wucht dieser Worte erschüttert. Alles zieht sich zusammen und scheint gleichzeitig zu explodieren, mir wird schlecht…
Ich bin runter ge…? ich wollte mir…?
Nein, NEIN!!! Nicht wahr!!! Warum sagt sie so etwas??! Ich will schreien, kann aber nicht – alles brennt. Ich will aufspringen, protestieren… Hoffnungslos. Der Körper bebt!
Langsam versuche ich die letzten Erinnerungen in meinem Kopf abzurufen. Ja, da war diese erdrückende Angst, dieser unheimliche Druck, das Rad in meinem Kopf – ständiges, marterndes Gedankenkreisen. Ich konnte es nicht glauben - was habe ich nur getan? Wollte ich mir tatsächlich das Leben nehmen??!! Halt - nochmals alles ganz langsam der Reihe nach: Ich war in der Nervenklinik gewesen, hab mich behandeln lassen, es ging mir schlecht! Sehr, sehr, sehr, sehr schlecht! Das Denken fällt mir schwer, nur kleine Erinnerungsfetzen tauchen auf – Gefängnis, ich muss hier raus, ich laufe, Autos, Lärm, Leute, Wald, Dreck, Labyrinth, Schweiß…
Alles ist so groß, dumpf, laut, spüre mich nicht mehr……!! … MUSS zurück, schnell, Hilfe!!!!!
Aus – Ende…
…rien ne va plus!!
So sehr ich es auch versuche, es kommt keine weitere Erinnerung zurück! Ich drifte wieder weg…
Ich habe einen Überlebenskampf geführt, nicht nur für mich, sondern für meine Kinder, alle, die mir wichtig waren und sind, und vor allem für meine Eltern! Sie haben schon einen Sohn verloren und um ein Haar wäre auch ihr zweiter Sohn auf tragische Weise verunglückt.
Nachdem ich aus dem Tiefschlaf erwachte, gab es ein, zwei Momente, in denen ich das Gefühl hatte, wenn ich jetzt wieder wegkippe, bin ich mir nicht sicher, ob ich nicht für ewig meine Augen schließen werde! War es das? Werde ich mein Dasein auf diesem Planeten hier und jetzt beenden? Die Schmerzen haben mich beinahe durchdrehen lassen. Agonie in Reinkultur!! Dem Drängen des Todes nachgeben? Mit der wahnsinnigen Sehnsucht nach Schmerzlosigkeit lockte er mich; die Erkenntnis eines – so wie es zu diesem Zeitpunkt aussah - verpfuschten Lebens machte mir seinem Hingeben schmackhaft. Da waren sie wieder – diese fetten violett-blauen Blutegel! Hatten sie sich vor einigen Tagen an mein Gehirn geheftet, um mir gierig die klaren Gedanken zu entsaugen, machen sie sich nun an meine extrem geschwächten Lebensgeister, nur mit dem Ziel, mir den letzten Rest an Lebensenergie zu rauben…
Ich sah mich auf dieser Kippe zwischen Dies- und Jenseits, so hatte ich in diesen Augenblicken keine Angst vor dem Tode. Nur für meine Liebsten hätte es mir so unendlich leidgetan. Vermutlich war es diese kraftvolle Verbundenheit und Liebe, die mich weiterkämpfen ließ. Ich denke, in diesen Momenten hat mich Gott getragen.
Auf die fragenden und flehenden Handbewegungen, ob ich denn noch zusätzlich Schmerzmittel haben könnte, hat mir die Krankenschwester geantwortet, dass ich schon eine äußerst hohe Dosis erhalte. Ich habe nur mehr die zahllosen Infusionsbeutel mit der Aufschrift von irgendwelchen Opiaten, Morphiumpräparaten, etc. neben mir hängen gesehen. Ein neuerliches Versetzen in den Tiefschlaf wäre eine Option gewesen, was aber nicht so einfach war, da es mit weiteren Risiken verbunden gewesen wäre… Manchmal, nach langem Drängen führten mir die Schwestern nach Rücksprache mit den Ärzten, doch noch zusätzliche Mitteln zu. Nach wenigen Minuten beginnt mein Körper verrückt zu spielen – ich lieg da, ohne mich zu rühren, und innerlich habe ich das Gefühl, als ob das Blut mit Hochdruck durch die Adern schießt und das Herz in den dunkelroten Bereich rast, die Adern jeden Augenblick zerbersten. Ich höre förmlich das Blut durch den Körper jagen. Momente, wie nach dem Konsum von 15 extrastarken Espressos und 5 Liter Red Bull! Ganz unruhig, angespannt und aufgewühlt verweile ich im Krankenbett. Dieser Zustand hielt einige Stunden an, die Schmerzen waren in diesen Phasen so gut wie ausgeblendet – trotzdem war es ein beklemmendes Empfinden. Nach und nach begann sich die Drehzahl zu verringern – im Gegenzug kamen dafür die Schmerzen in voller Härte zurück.
Im Hintergrund läuft im Radio leise der Nummer 1 Hit von Lady Gaga…
I'm on the edge of glory, and I'm hanging on a moment of truth... Ich bin am Rande des Ruhmes, und ich hänge an einem Moment der Wahrheit…
Blutrausch
Ich hatte in der Tiefschlafphase immer wieder den Traum, ich lieg am Boden, kann mich nicht bewegen, Blut steigt in meinem Rachen auf und ich ersticke daran… ich musste husten, es schüttelte mich am ganzen Leib, ein Gefühl als würde mich jemand erwürgen und ich gleich ersticken. Im Traum kam immer, kurz bevor ich es nicht mehr aushielt, ein Mönch, der sich neben mich hinsetzte, seine Hand auf meine Brust legte und sagte: „Schluck es einfach runter - es wird alles gut…“ danach war ich wieder ruhig und entspannt! Dieser Traum wiederholte sich ständig. Er war jedes Mal gleich, aber so real. Ich lag in einem großen Raum, dunkel, mit schwarzen Wänden. (Ich weiß auch, wo sich dieser Raum bzw. das Gebäude befand: An der Linzer Landstraße, Eckhaus Schillerplatz – warum gerade dort, ist mir völlig unklar – habe ich doch keinen Bezug zu diesem Ort. Als ich lange Zeit später wieder mal zufällig bei diesem Gebäude vorbeikam, blieb ich davor stehen. Es befindet sich eine Apotheke darin. Ich beschloss kurz rein zu gehen, doch es kam ein unangenehmes Gefühl der Beklemmtheit in mir hoch… Ob oder wie ich das interpretieren kann? – keine Ahnung!) Rechts von mir verlief durch den Raum ein kleiner Bach, über den eine Brücke führte. Auf der gegenüberliegenden Seite, in einiger Entfernung sitzt meine Cousine Angelika, mit traurigem Blick, sie will mir helfen, kann aber nicht. Immer kurz bevor ich es nicht mehr aushalte und denke zu ersticken, kommt von der gegenüber liegenden Seite ein Mann durch eine kleine Tür, ein Asiate, groß, kräftig, mit einem schwarzen, hübsch bestickten Kimono - er wirkt so beruhigend auf mich. Er hat einen langen, wohlduftenden Holzstamm (aus Sandelholz oder ähnlichem), den er neben mich hinlegt. Sobald er die Hand auf meinen Brustkorb legt, verschwinden die Schmerzen - der Brechreiz, als müsse ich mich übergeben, ist weg. Und alles scheint wieder in Ordnung zu sein….
Im Nachhinein kann ich es so interpretieren, dass das Erstickungsgefühl durch die Intubation, sprich durch das Runterstecken des Schlauches in den Rachen bzw. durch den ein paar Tage später durchgeführten Luftröhrenschnitt auftrat. Die Stimme war die des Arztes, als er sagte, ich solle den Schlauch runterschlucken. Der zähflüssige weiße Schleim, ausgelöst durch die starke Lungenentzündung, war das Blut, an dem ich im Traum zu ersticken drohte. Der Schleim wurde mehrmals täglich abgesaugt, um das Atmen ein wenig zu erleichtern und den Heilungsprozess zu forcieren.
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