1 ...6 7 8 10 11 12 ...15 »Miss, ist alles in Ordnung? Wenn Sie sich übergeben müssen, haben wir hier unsere Sickness Bags.« Die Stewardess reichte mir eine Kotztüte.
»Danke, aber mir geht es gut. Ist wohl nur die Aufregung vor der Landung.«
Lisas Blick verriet mir, dass sie mir nicht glaubte, aber die Stewardess war mit meiner Antwort zufrieden. Sie nickte lächelnd und ging weiter nach vorne.
Als ich aus dem Fenster schaute, flogen wir gerade durch die Wolken. Ich sah nichts außer Nebel. Eine nette Stimme in den Lautsprechern bat uns, auf unseren Plätzen sitzen zu bleiben und unsere Gurte festzuschnallen, da wir uns im Landeanflug befanden. Ich hatte meinen Gurt den gesamten Flug über erst gar nicht gelockert und ausgerechnet jetzt fiel mir auf, dass ich auf die Toilette musste. Bis zum Flughafen würde ich es nicht mehr aushalten. Ich schnallte meinen Gurt ab und bat Lisa, mich vorbei zu lassen.
»Du hast schon verstanden, was gerade gesagt wurde?« Lisa legte ihre Stirn wieder in Falten.
»Ja, habe ich. So viel Englisch verstehe ich schon. Aber ich muss echt verdammt dringend.«
»Du hast den ganzen Flug über Zeit gehabt.«
»Da musste ich vielleicht noch nicht? Mann Lisa, lass mich durch oder ich mach’ mir in die Hose!« Letzteres sagte ich so laut, dass die Passagiere um uns herum lachen mussten. Eine Stewardess streckte den Kopf in unsere Richtung und winkte mich nickend aus meiner Sitzreihe.
»Siehst du, ich darf noch mal schnell.«
Lisa ließ mich endlich raus und ich quetschte mich in Richtung Toilette. Der Spiegel verriet mir, dass ich ziemlich blass war. Ich spritzte mir eine Ladung kaltes Wasser ins Gesicht und hörte in mich hinein. Mein Herz hatte sich beruhigt, aber das Gefühl, es sei zu groß, blieb. Es pumpte immer noch Luft in meine Adern. Wahrscheinlich war ich deshalb so blass. Meine Haut bekam einfach nicht mehr genug Blut. Als ich mich abtrocknen wollte, fiel mein Blick auf meine Augen. Hatten sie eine andere Farbe bekommen? Sie waren immer noch grün, aber etwas heller als sonst. Sie waren nicht mehr moosgrün, sondern strahlten wie grünes Gras. Dabei hätten sie eher dunkler wirken müssen, wenn meine Haut blass war.
»Miss, ich muss Sie leider bitten, sich wieder zu Ihrem Platz zu begeben.« Die Stewardess klopfte gegen die Tür.
Es lag sicher an dem Licht auf der Toilette. Anders konnte ich mir das nicht erklären. Schnell rubbelte ich mein Gesicht trocken, atmete noch einmal tief ein und schloss die Tür auf.
»Ich komme schon.«
Wieder auf meinem Platz angekommen, starrte ich Lisa an. »Sehe ich anders aus?«, fragte ich und öffnete weit die Augen.
»Du siehst aus, als ob du auf dem Klo eine Überdosis Koffein zu dir genommen hättest. Warum?«
»Fällt dir an mir nichts auf?« Ich blinzelte.
»Hast du was im Auge?«
»Ach, vergiss es.« Ich winkte ab und beobachtete die Wiesen, Seen und Städte, die unter uns dahin glitten.
Lisa schaute mich noch eine Weile von der Seite an, seufzte und blickte auf ihre Hände. Hatte ich etwas Falsches gesagt? Ihr Blick wirkte besorgt, fast traurig, doch auf ihren Lippen lag ein winziges Lächeln. Ich kannte Lisa gut, aber heute wurde ich aus ihr nicht schlau. Was sie wohl gerade dachte?
Das Flugzeug setzte mit einem ruckartigen Stolpern auf der Landebahn auf und schon begannen die Reifen zu quietschen. Ein wenig bedauerte ich, dass der Flug vorbei war. Der Flug war für mich immer etwas Besonderes am Urlaub gewesen, auch wenn er nach Mallorca nur etwas über zwei Stunden dauerte. Und diesen Flug hatte ich größtenteils verschlafen.
Wie auf Knopfdruck sprangen alle Passagiere aus ihren Sitzen, nachdem die Maschine zum Stehen gekommen war. Sie quetschten und drängelten sich durch die schmalen Gänge. Wir warteten, bis sich der erste Andrang aufgelöst hatte und konnten in Ruhe aus dem Flieger steigen. Die Kofferbänder waren völlig überfüllt, als wir ankamen. Jeder wollte als Erster seinen Koffer finden.
»Na, das kann ja spaßig werden«, stöhnte ich und ließ mich auf unseren Gepäckwagen sinken. Ich stützte meine Ellenbogen auf die Knie und legte mein Kinn in die Hände.
»Ach, das geht ziemlich schnell, du wirst schon sehen. Unsere Koffer kann man ja nicht übersehen.« Lisa zwinkerte mir zu und boxte sich in die erste Reihe am Laufband.
Das stimmte. Unsere Koffer konnte wirklich niemand übersehen, denn Lisa hatte sie mit einem pinken Klebeband umwickelt.
»Du wirst mir noch dankbar dafür sein«, hatte sie am Hamburger Flughafen zu mir gesagt und dabei mit der Klebebandrolle gewedelt.
Warum kaufte sie sich nicht einfach einen pinken Koffer?
Nach einer gefühlten Ewigkeit kam Lisa schnaufend, aber grinsend mit unseren Koffern zurück. »Siehst du! Ich habe sie gleich erkannt, als sie durch die Luke kamen. Das hat doch super funktioniert.«
»Schneller ging es dadurch auch nicht«, maulte ich Lisa an und half ihr, die Koffer auf den Wagen zu heben. Sie streckte mir die Zunge raus und wickelte das Klebeband von unseren Koffern ab. »Sei doch nicht immer so mürrisch! Sieh das Positive daran. Wir konnten unsere Koffer auf keinen Fall mit anderen verwechseln.«
Ich gab mich geschlagen und machte mich mit dem Gepäckwagen auf in Richtung Ausgang.
»Wir müssen noch unser Auto abholen.« Lisa wirkte nervös. Sie kramte in ihrer Handtasche und holte die Papiere für den Mietwagen heraus, den sie bereits in Deutschland gebucht hatte.
»Ich dachte dein Bruder holt uns mit einer Limousine ab«, spaßte ich, aber Lisa fand es nicht lustig.
»Meinem Bruder sind materielle Dinge nicht wichtig. Es gibt Wichtigeres im Leben als ein prolliges Auto und ein großes Haus.«
Hoppla, da war ich ihr wohl auf den Schlips getreten. So bissig war sie sonst nicht. Aber sonst befanden wir uns auch nicht in Kanada.
»Lisa Kirschfurt. Ich habe einen Wagen gemietet.«
Der junge Mann am Empfang nahm die Papiere entgegen, die Lisa ihm hinhielt, und blätterte sie mehrmals mit einem skeptischen Blick durch.
Super, jetzt gab es sicher ein Problem mit dem Auto.
Dann musterte er uns von oben bis unten und verschwand mit einem »Moment, bitte« in einer Tür hinter der Theke.
Es dauerte nicht lange, da kam der Autovermieter zurück und legte die Papiere mit einem Schlüssel auf den Tresen. »Bitte, Miss Kirschfurt. Ihr Wagen steht auf Parkplatz B8 für Sie bereit. Er ist bereits vollgetankt. Bitte unterschreiben Sie noch hier und hier.«
Ich musste kichern, denn er sprach den Nachnamen mit einem starken Akzent aus: Körschfört.
Lisa nahm den Stift entgegen und unterschrieb den Mietvertrag an den beiden Stellen, auf die der Mann zeigte.
»Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt in Kanada und eine gute Fahrt.«
Sie lächelte kurz und nahm den Schlüssel entgegen.
Der Parkplatz war riesig und Lisa ungewöhnlich ruhig, als wir durch die Reihen der parkenden Autos gingen. Da ich sie nicht schon wieder verärgern wollte, folgte ich ihr schweigend. Sie wusste offenbar, wo wir hin mussten.
In Kanada war es nicht so kalt, wie ich es erwartet hatte, aber auch nicht so warm, wie erhofft. Die Sonne schien und am Himmel zeigten sich nur kleine Schäfchenwolken. Ein Greifvogel zog seine Kreise über uns. Am Horizont konnte ich schneebedeckte Berge erkennen. Das mussten die Rocky Mountains sein. Da mussten wir also noch hinfahren. Das war verdammt weit weg.
Der Vogel am Himmel schrie auf. Lisa blieb abrupt stehen und schaute nach oben. Fast wäre ich in sie hineingelaufen. Ich folgte ihrem Blick. »Ein Bussard«, sagte ich.
Lisa lachte. »Mia, das ist ein Falke.«
Eine Weile schauten wir uns den Falken an, wie er hoch oben seine eleganten Bahnen flog.
»Lass uns gehen. Du wirst hier noch einige Falken zu Gesicht bekommen.« Lisa zog mich am Ärmel weiter. »So, da haben wir unseren Wegbegleiter.«
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