Ja, es sah sehr romantisch aus. Die kleinen Hütten strahlten etwas Uriges und Gemütliches aus. Zum Glück konnte ich nirgends Plumpsklos entdecken.
»Ich fühle mich hier immer zu Hause. Du wirst es lieben.« Lisa hielt in einer Lücke zwischen den parkenden Autos an – direkt neben dem riesigen Geländewagen. Unser Jeep war wirklich winzig dagegen.
Ich öffnete die Tür und rutschte vom Sitz. Endlich stehen. Wieder streckte ich mich, während ich das schwarze Monster neben mir betrachtete. Der Lack glänzte. Die Lichter der Hütten spiegelten sich darin wie kleine Sterne. Ich musste mich auf die Zehenspitzen stellen, um in das Fenster gucken zu können. Im Inneren des Jeeps sah alles neu aus. Im Fußraum des Beifahrers lag eine kleine Decke. Die Ladefläche war vollkommen leer. Ich schlich um den Wagen herum, bis ich vor ihm stand. Er hatte eine bullige Front und die Scheinwerfer schauten mich böse an. Ich stemmte die Hände in die Seiten und ließ den Anblick auf mich wirken. Nun hatte ich also nach dem größten Flugzeug auch das größte Auto meines bisherigen Lebens gesehen.
»Was für ein Schiff«, murmelte ich und schüttelte den Kopf.
Lisa stellte sich neben mich. »Oh Mann.«
»Riesig, was?«
»Schwanzverlängerung«, erwiderte Lisa trocken.
»Dann scheinst du den Besitzer ja genau zu kennen.« Ich zwinkerte Lisa zu und boxte ihr leicht in die Seite, um sie zu necken.
»Er war letztes Jahr kurz hier, als ich Jan besucht habe. Im Sommer ist er meistens in Clearwater.«
Es wunderte mich, dass Lisa bei diesem Thema so sachlich blieb. Normalerweise biss sie gleich an, wenn ich anfing, über so etwas Späße zu machen. »Und? Muss da was verlängert werden?«
»Keine Ahnung. Ich habe selten mit ihm gesprochen, geschweige denn das Verhältnis zu ihm vertieft. Aber warum sonst sollte Mann sich hier solch ein Auto kaufen?«
»Du hast selten mit ihm gesprochen? So viele Menschen scheint es hier nicht zu geben, dass man sich aus dem Weg gehen könnte.«
»Er geht nicht viel unter Menschen. Wir haben hier ein Gemeinschaftshaus. Dort habe ich ihn noch nie gesehen. Er schlich jeden Tag um die Hütten herum, verschwand im Wald und kam abends wieder. Ein komischer Kerl. Aber jetzt komm! Ich habe Hunger und will endlich ins Bett.«
Ich ließ es gut sein, obwohl ich doch ein wenig neugierig war, was für ein Typ der Fahrer dieses Monstrums war. Wir holten unsere Koffer aus dem Jeep und gingen zu einer der letzten Hütten vor der Stirnseite. Als wir den Platz überquerten, fiel mir der große Stamm auf, der in der Mitte aufgestellt war. Es waren Figuren hineingeschnitzt. Ich konnte leider nicht viel erkennen, da das Licht sehr schummrig war. Nur den Vogel, der ganz oben auf dem Stamm thronte, konnte ich erahnen.
»Der Marterpfahl?«, fragte ich und griff mir als Scherz an den Hals, als ob ich mich erwürgen würde.
»Der Pfahl des glücklichen Mannes«, antwortete Lisa streng.
Ich grinste. »Also ein Phallussymbol?«
Lisa drehte sich zu mir um. »Ein Symbol für den Mann, der glücklich ist!« Ihre Stimme klang hart, fast verärgert.
Mir lag schon ein weiterer Spruch auf der Zunge, aber bevor ich ihn los werden konnte, kam jemand mit ausgebreiteten Armen auf uns zugelaufen.
»Lisa! Endlich seid ihr da. Wir haben uns Sorgen gemacht. Es ist schon spät. Warum hat das so lange gedauert? Hatte der Flieger Verspätung?«
Der Mann rannte Lisa fast um, als er sie in seine Arme nahm. Er hatte die gleiche Haarfarbe und auch die Locken ähnelten sich. Seine Haare waren nicht so lang wie Lisas, aber lang genug, dass er sie zu einem kleinen Zopf zusammenbinden konnte. Er trug ein blaues Hemd und eine khakifarbene Hose. Die Klamotten waren etwas zu weit, aber von der Länge her passten sie. Er hatte wohl die gleichen Probleme wie Lisa, etwas Passendes zu finden mit seiner schlanken, sehr hochgewachsenen Figur. Er überragte sie sogar noch um einen Kopf. Das war wohl Jan. Dafür, dass er fünfunddreißig Jahre alt sein sollte, sah er noch verdammt jung aus. Er machte mit seinem Auftreten eher den Eindruck, als sei er der Hippiezeit entsprungen, als dass ihm eine Mall-Kette gehörte. Ich hatte jemanden im Anzug erwartet.
»Du musst Mia sein!« Der Mann löste sich von seiner Schwester und umarmte mich nicht weniger stürmisch. »Herzlich Willkommen. Ich freu mich so sehr, dass du endlich da bist.«
»Du bist Jan?«, keuchte ich. Er drückte mich so fest an seine Brust, dass ich kaum Luft bekam.
»Ja, das bin ich. Der große Bruder. Als solch einen darfst du mich auch gerne sehen: Als deinen großen Bruder.«
»Peace, Bruder«, hechelte ich ins Hemd.
Jan lachte und ließ mich endlich los. »Ich hoffe das wirst du hier finden. Den Frieden.«
Was redeten bloß alle von Frieden? Erst Lisa auf der Fahrt hier her und jetzt auch noch Jan.
»Ich habe für euch Bohneneintopf warmgehalten, den ich heute Mittag gekocht habe. Ihr habt sicher Hunger.« Jan griff nach unseren Koffern und trug sie in die kleine Hütte.
Das Haus war von innen viel größer, als es von außen wirkte. Es war ein großer Raum, der in unterschiedliche Bereiche aufgeteilt war. Gegenüber des Eingangs befand sich die Küche – zumindest etwas, was man als Küche bezeichnen musste. Es gab einen kleinen Herd, der mit Gas betrieben wurde. Daneben standen eine kleine Spüle und ein riesiger Kühlschrank, der gar nicht in das Bild passte. Hängeschränke gab es nicht, denn die Küchenzeile stand unter einem Fenster. Vor den Geräten stand ein kleiner runder Holztisch mit vier Stühlen. Rechts neben der Küche führte eine Wendeltreppe in den ersten Stock. Vor der Treppe befand sich eine Tür, wahrscheinlich das Bad. Neben der Tür gab es in der Zimmerecke einen riesigen Kamin, in dem Feuer brannte. Es knisterte und machte den Raum noch gemütlicher.
Den größten Teil nahmen drei alte Sofas ein, die um einen kleinen Couchtisch gestellt waren. Sie waren aus robustem grünen Stoff, über den viele verschiedene Decken gelegt waren. Zu meiner Verwunderung hing an der Wand ein großer Fernseher. Damit hatte ich nicht gerechnet.
Jan fiel mein Blick auf. »Wir leben hier nicht wie die Hinterwäldler. Außerdem sind wir alle verrückt nach Eishockey. Da muss man die Spiele einfach gucken.«
Ich schaute zu Lisa hinüber. »Schon klar. Kein Internet, aber dafür ein Riesen-Fernseher.«
Sie zuckte entschuldigend mit den Schultern.
»Für Internet gibt es hier keine Leitungen. Über Satellit wäre es zu teuer. Darüber können wir wenigstens fernsehen und telefonieren. Strom bekommen wir über vier große Stromgeneratoren, die mit Benzin betrieben werden«, erklärte Jan.
Ich hing meine Jacke an die Garderobe und wollte mich auf eine Couch fallen lassen.
»Moment, wir gehen in die Küche. Der Bohneneintopf wird euch schmecken. Ich habe mich mal wieder selbst übertroffen«, lobte Jan sich selbst und rührte in einem großen Topf, nachdem er unsere Koffer vor die Wendeltreppe gestellt hatte.
Richtig, der Bohneneintopf. Der Geruch erfüllte die gesamte Hütte und mein Magen knurrte. Auch etwas anderes meldete sich bei mir. »Gibt es hier eine Toilette?«
»Durch die Tür dort. Das Bad ist nicht groß, aber es reicht.« Jan zeigte auf die Tür, die ich schon im Verdacht hatte.
Als ich in das Bad trat, musste ich grinsen. Es war wirklich nicht groß: ein kleines Waschbecken an der linken Wand, gegenüber stand das Klo und an der Stirnseite befand sich eine kleine Dusche. Man hätte alle drei Dinge auf einmal erledigen können. Über der Toilette gab es ein winziges Fenster. Ich hätte auf den Klodeckel klettern müssen, um es zu öffnen.
Bevor ich wieder hinausging, warf ich noch einen prüfenden Blick in den Spiegel. Du liebe Güte! Es hatte doch nicht am Licht im Flugzeug gelegen. Meine Augen leuchteten mich in einem satten Grasgrün an. In dem schwachen Licht, das die kleine Lampe an der Decke ausstrahlte, waren sie immer noch so grell wie im Neonlicht des Flugzeuges. Vielleicht wurde ich krank? Oder ich war einfach übermüdet.
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