»Von mir wurden alle festgemachten Boote sorgfältig unter die Lupe genommen. Es war nicht schwierig, die frische Schnittstelle zu erkennen. Demgegenüber hatte ich bereits weitaus kniffligere Probleme zu lösen.«
Bei diesen Erklärungen zeigt er ihr eine Plastiktüte. Darin befindet sich ein zirka fünfzig Zentimeter langes Seilende. Unbeirrt des Hinweises der Hauptkommissarin, sich möglichst kurz zu fassen, setzt Fritz Bauerstolz seine Ausführungen fort: »Die Schnittflächen werden von den Mitarbeiter im Kriminaltechnischen Institut mit dem Tatwerkzeug verglichen. Sollten die beiden Enden der Leinen zueinander passen, dann wissen wir, wie und wo sich der Mörder das Seilende besorgte.«
»Toll gemacht! Sollten die Schnittstellen beider Seile übereinstimmen, dann werden sich die Kollegen von der Spurensicherung den Anlegesteg nochmals sorgfältig anschauen. Möglicherweise hat der Täter nicht die erforderliche Vorsicht walten lassen und uns damit unfreiwillig ein Indiz in die Hände gespielt. Es kann sich tatsächlich um einen bedeutenden Hinweis handeln.«
Wachtmeister Fritz Bauerstolz freut sich über das Lob von der Hauptkommissarin und ergänzt seine Ausführungen: »Die Adresse des Besitzers des Bootes fand ich bereits. Es wird alles in meinem Bericht stehen. Jetzt will ich Sie mit dieser Sache nicht länger damit aufhalten.«
Kurze Zeit später betritt Veronika Sommercamp das Hotelzimmer des Ehepaares Morgenroth. An der Mimik und Gestik ihres Kollegen erkennt sie, dass die Durchsuchung bisher ohne ein greifbares Ergebnis verlief. Jens Knobloch schaut die Hauptkommissarin an und zuckt ein klein wenig hilflos mit den Schultern.
»Ich habe den Eindruck, dass du nicht fündig geworden bist«, stellt Veronika Sommercamp mit einem kurzen Blick auf ihren Kollegen fest. Noch immer sichtlich verärgert fragt Alida Morgenroth: »Was suchen Sie eigentlich? Dass Sie hier nichts finden werden, habe ich bereits dem Kommissar vor der Durchsuchung mitgeteilt. Es besteht absolut kein Grund, in unserem Reisegepäck herumzuschnüffeln. Wie von mir mehrfach geäußert, frage ich Sie nochmals: Was wollen Sie von uns? Einer Beantwortung meiner Fragestellung sind Sie aus mir unerklärlichen Gründen bisher ausgewichen.«
Veronika Sommercamp schaut sie mit einem leichten Lächeln im Gesicht an und bemerkt leise: »Nichts. Für Sie hat es sich vorerst hier in Akazienaue erledigt. Wir benötigen lediglich noch ihre Telefonnummer. Ansonsten steht aus unserer Sicht einer Abreise nichts im Weg.«
Jens Knobloch fügt hinzu: »Bitte verlassen Sie in den nächsten Tagen nicht Ihren Wohnort. Wenn die Ermittlungen abgeschlossen sind, erhalten sie von uns Bescheid.«
Im Gehen begriffen schaut sich die Hauptkommissarin nochmals um und äußert: »Sie fragen, wonach wir bei Ihnen suchten. Im Moment kann ich darauf keine Antwort geben. Wir stehen erst am Anfang der Ermittlungsarbeit. Zu einem späteren Zeitpunkt werden Sie es auf alle Fälle erfahren. Das verspreche ich Ihnen.«
Wieder im Salon zurück zeigt die Hauptkommissarin Jens Knobloch das Stück Seil, welches ihr Wachtmeister Fritz Bauerstolz übergab. Er nimmt die Plastiktüte in die Hand und schaut sich interessiert die Schnittstelle an.
»Das war eine verdammt scharfe Klinge. Das Tatwerkzeug wurde mit einem Schnitt abgetrennt.«
»Ich habe es mir ebenfalls sorgfältig angesehen. Das kann selbst eine Frau ohne übermäßige Kraftanstrengung bewerkstelligen«, kommentiert Veronika Sommercamp seine Bemerkung.
Es klopft nahezu zaghaft an die Tür. Falko Rosenkranz steckt schüchtern den Kopf durch den Türspalt und bittet höflich, eintreten zu dürfen.
»Kommen Sie ruhig näher. Welche interessanten Neuigkeiten veranlassen Sie, uns aufzusuchen?«, äußert Jens Knobloch.
Sichtlich verlegen antwortet er: »Meine Frau beauftragt mich, Sie zu fragen, ob wir nicht die Nächsten sein könnten, die vernommen werden. Vor uns liegt ein weiter Weg der Rückreise nach München. Die Damaschkes wohnen hier gleich um die Ecke in Berlin. Freya ist damit einverstanden. Die beiden Schwestern haben sich vorab dazu verständigt.«
Die Kommissare schauen sich an und Veronika senkt als Zeichen des Einverständnisses kurz ihre Augenlider.
»Unter der Voraussetzung, dass Malte Baader mit der Änderung einverstanden ist, entsprechen wir Ihrem Wunsch. Er sollte entsprechend unserer Festlegung als nächster hier erscheinen. Ihm steht ebenfalls eine ähnlich weite Strecke bis nach Baden-Baden bevor«, sagt Jens Knobloch.
»Für Malte ist es belanglos, wann mit ihm das Gespräch geführt wird. Er hat die Absicht, erst morgen zurückzufahren. Ich frage ihn trotzdem, damit es keinen Ärger gibt.«
Falko Rosenkranz verlässt den Raum. Veronika Sommercamp schaut ihren Kollegen an und bemerkt spöttisch: »In den Familien scheint das absolute Matriarchat zu herrschen. Da haben die Frauen das Sagen. Ich kann mich des Eindruckes nicht erwehren, dass deren Männer alles ausführen, was ihnen aufgetragen wird.«
»Spielst du mit deiner Bemerkung darauf an, dass sie ohne zu zögern auch einen Mord begehen?«
»Sicher! Genau daraufhin zielt meine Feststellung«, antwortet Veronika Sommercamp.
»Möglicherweise vererbte Friedbert Voß den Töchtern die entsprechenden Gene für ihr heutiges Verhalten. Wenn er ein erfolgreicher Geschäftsmann war, liegen derartige Vermutungen förmlich auf der Hand«, sinniert Jens Knobloch.
Bevor die Kommissare ihre Gedanken weiter austauschen können, öffnet sich die Tür und Dagmar Rosenkranz betritt an der Seite ihres Mannes den Raum. Das schlichte schwarze Kostüm bildet einen eindrucksvollen Kontrast zu den schulterlangen blonden Haaren. Ihr Erscheinen erinnert dezent an die am gestrigen Tag stattgefundene Beerdigung. Jens Knobloch überlegt: Verdammt gutaussehende Töchter hatte Friedbert Voß durchaus. Doch weiter kann er diesem Gedanken nicht nachhängen. Seine Vorgesetzte beginnt augenblicklich mit der Befragung.
»Ihre Schwester wurde gestern zwischen Mitternacht und zwei Uhr getötet. Uns interessiert, wo Sie sich beide in den genannten zwei Stunden aufhielten?«
Statt eine einfache Antwort auf die Frage zu geben, sagt Dagmar Rosenkranz: »Das mit Saskia ist furchtbar. Es hat mich zutiefst getroffen. Ausschließlich ihr ist es zu verdanken, dass nach dem Tod unserer Mutter die Familie nicht vollends auseinanderfiel.«
»Sind Sie nicht ein wenig neidisch, dass ihre Schwester im Testament derart bevorzugt wurde? Sie erhält immerhin das Vierfache von dem, was Ihnen zusteht.«
»Oh nein, mit Ihren Gedanken befinden sie sich völlig auf dem Holzweg. Ich gönne es ihr. Sie ist doch die einzige gewesen, die sich um unseren Vater kümmerte. Abgesehen davon betreibe ich in München ein Reisebüro. Die Erlöse gestatten uns ein finanziell gesichertes Leben.«
Falko Rosenkranz ergänzt die Ausführungen seiner Frau: »Eine halbe Million Euro sind eine Menge Geld. Endlich sind wir in der Lage, uns ein Auto der Oberklasse zu leisten. Ein solches zu besitzen war bisher lediglich ein unerfüllter Wunschtraum. Jetzt wird er Wirklichkeit.«
Der strafende Blick seiner Ehefrau bringt ihn umgehend zum Schweigen. Schuldbewusst senkt er den Kopf. Dagmar Rosenkranz nimmt die durch die Bemerkung ihres Ehemannes unterbrochenen Ausführungen sofort wieder auf und sagt merklich verbittert: »Ich bin noch immer zutiefst empört, dass Solveig Lilienthal die Villa erhält. So eine Dahergelaufene. Sie hat es von Anfang an nur auf das Geld unseres Vaters abgesehen. Die sogenannte Lebensgefährtin sollten Sie sich einmal genauestens anschauen. Vielleicht reicht ihr der Besitz des Hauses und der Motoryacht nicht aus und sie trachtet auch nach dem Geld.«
»Das ist wirklich zu weit herbeigeholt. Solveig Lilienthal ist die Person, die als Einzige nicht vom Tod von Saskia Jungblut profitiert«, versucht Veronika Sommercamp, den Redefluss zu stoppen.
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