»Dann werde ich keine Zeit verlieren und ihn umgehend befragen«, äußert Jens Knobloch.
Die Auffassung der Kommissare, Armin Wenzel nicht in den Kreis der Tatverdächtigen einzubeziehen, bestätigt sich wenig später. Auf die Frage des Kommissars, woher er Kenntnis über das Tatwerkzeuges erhalten habe, antwortet Armin Wenzel ein wenig verlegen: »Ich war unfreiwillig Zeuge des Gesprächs, welches die Hauptkommissarin mit dem Wachtmeister Fritz Bauerstolz führte. Deshalb ist mir bekannt, wie Saskia Jungblut getötet wurde. Woher sollte ich wissen, dass es sich dabei um eine geheim zuhaltende Information handelt? Hoffentlich ist mir damit keine Indiskretion unterlaufen.«
Jens Knobloch besänftigt den sichtlich beunruhigten Gaststättenbesitzer und bestätigt, dass er daraus keine Konsequenzen zu befürchten habe. Ohne näher darauf einzugehen, fragt der Kommissar: »Ich hätte gerne eine weitere Auskunft von Ihnen. Ist es möglich, dass ein Gast in der Nacht unbemerkt das Hotel verlässt?«
»Selbstverständlich. Nachts ist die Rezeption nicht besetzt. Wozu auch? Das Haus ist verschlossen und die Zimmerschlüssel meiner Gäste passen an der Eingangstür. Zudem befinden sich die Gästezimmer auf der vom Eingang abgewandten Seite des Hotels. Gewissermaßen mit Ausblick auf den Akaziensee. Dadurch bemerkt keiner, ob jemand aus dem Haus geht. Gleiches trifft natürlich auch auf das Betreten des Hotels zu.«
»Auch dieser Umstand erleichtert keineswegs unsere Ermittlungsarbeit«, äußert Jens Knobloch.
»Wenn ich bloß wüsste, was Saskia Jungblut bewegte, das Hotel gegen Mitternacht zu verlassen. Mein Wunsch ist es, Sie bei der Aufklärung des Verbrechens zu unterstützen. Aber diesmal werde ich wohl keine wirkliche Hilfe sein.«
Veronika Sommercamp hatte ebenfalls den Salon verlassen und hört den letzten Satz von Armin Wenzel.
»Vielleicht irren Sie sich«, schaltet sich die Hauptkommissarin in das Gespräch ein, »wir fanden bei Saskia Jungblut kein Handy. Wenn sie von jemandem außerhalb des Hauses angerufen wurde, dann ist es nach meiner Auffassung nur über das Zimmertelefon geschehen. Bei Ihrer akkuraten Buchführung gehe ich davon aus, dass Sie einen umfassenden Nachweis über die geführten Telefongespräche besitzen.«
»Aber natürlich. Die Gäste haben schließlich für die Nutzung des Telefons Gebühren zu zahlen. Die Dauer der Gespräche wird aufgezeichnet und dient als Beleg für die Abrechnung. Diese Listen sind bares Geld für mich und werden von mir wie ein Augapfel gehütet.«
»Uns interessieren vor allem die erhaltenen Anrufe. Gibt es dafür einen Nachweis?«, will Jens Knobloch wissen.
»Diese werden auf jeden Fall ebenfalls aufgezeichnet. Die Gesprächsnachweise enthalten auch die eingehenden Anrufe. Das geschieht automatisch. Selbstverständlich entstehen meinen Gästen dadurch keine Kosten. Wir können ohne größeren Aufwand Einblick in die Listen nehmen.«
Das Verzeichnis ist überschaubar. In der in Frage kommenden Zeit wurde kein Gespräch über die Telefonanlage des Hotels geführt. Jens Knobloch schaut nachdenklich seine Vorgesetzte an und sagt: »Die Gesprächsnachweise sind nicht vollständig. Es fehlt in der Aufstellung das Telefonat, welches Freya Damaschke mit Alida Morgenroth um Mitternacht führte.«
Armin Wenzel hört aufmerksam zu und sagt: »Beide Frauen sprachen über die Hausanlage miteinander. Dabei entstehen keinerlei Gebühren. Die Gespräche innerhalb des Hauses erscheinen deshalb nicht auf der Liste.«
Am Empfangstresen stehen die Ehepaare aus München, Hameln und Berlin und warten darauf, ihre Hotelrechnung zu begleichen. Ungeduldig ruft Alida Morgenroth: »Können wir endlich bezahlen oder bekommen wir die Rechnung per Post zugestellt?«
»Nein, nein, ich komme sofort«, ruft Armin Wenzel eilfertig und entfernt sich von den Kommissaren.
Veronika Sommercamp und Jens Knobloch wünschen den am Tresen Stehenden eine gute Heimreise und verlassen das Hotel. Auf dem Weg zu ihrem Dienstwagen sagt der Kommissar: »Haben wir uns soeben von einen möglichen Täter verabschiedet oder war es durch einen wundersamen Zufall doch ein Außenstehender? Nach dem derzeitigen Stand der Ermittlung wird uns die Beantwortung der Frage sicher noch einige Zeit beschäftigen.«
Im Kommissariat in Ballenhainischen sitzen sich Veronika Sommercamp und Jens Knobloch an ihren Schreibtischen gegenüber. Auf der grünen Magnettafel, die der Kommissar zur Darstellung der Zusammenhänge eines jeden aktuellen Falles nutzt, ist in der Mitte das Bild von Saskia Jungblut angebracht. Um sie sind die Namen aller Familienangehörigen gruppiert. Es fehlt die Hervorhebung einer Person. Jens Knobloch unterbricht die fast beängstigende Stille: »Wir haben bei diesem Fall Klarheit über das Tatwerkzeug und das Motiv. Wenn wir die männlichen Personen der Familie vorerst vernachlässigen, dann kommen nur die Töchter für den Mord in Frage. Jede von ihnen verfügt über ein hinreichendes Motiv, um die im Testament Meistbegünstigte zu ihrem eigenen Vorteil aus dem Weg zu räumen. Leider fehlt mir eine stichhaltige Begründung, um die Tat einer speziellen Person zuzuordnen.«
»Mir geht es nicht anders. Vielleicht bringen uns die Ergebnisse der Spurensicherung weiter. Ich rufe bei Dr. Monika Bieberstein an und frage, wann wir mit der Übersendung des Berichtes rechnen können«, äußert Veronika Sommercamp und nimmt den Telefonhörer in die Hand. »Hallo, Monika. Ich wollte mich erkundigen, ob die schriftliche Auswertung der Untersuchungen bereits fertig ist. Zudem wüsste ich gerne, ob weitere Ergebnisse, als die von dem Befund am Tatort, vorliegen. Wir tappen zurzeit sprichwörtlich völlig im Dunkeln.«
»Die schriftliche Abhandlung über die Ergebnisse ist auf dem Weg zu dir. Etwas umwerfend Neues wirst du vergeblich suchen. Da ihre Lunge kein Wasser enthält, ist eindeutig davon auszugehen, dass der Täter die Frau vorher erdrosselte, bevor er sie in den See stieß.«
»Wurden eventuell verwertbare Spuren gefunden?«
»Die sind reichlich vorhanden. Ich schätze ein, dass diese ebenfalls keine große Hilfe für dich sind. Wir fanden DNA Spuren von allen Familienangehörigen an der Toten.«
»Besteht die Möglichkeit, dass die Tat eine Frau verübte?«
»Zumindest schließe ich es nicht aus. Für Saskia Jungblut muss der Angriff derart überraschend gekommen sein, so dass keine Spuren von Gegenwehr festzustellen sind.«
»Demnach näherte sich der Täter dem Opfer von hinten und legte die Schlinge um den Hals.«
»Das kann ich wiederum nicht eindeutig bestätigen. Die Wahrscheinlichkeit, dass es sich so abgespielt hat, ist ziemlich groß. Der Kehlkopf wurde eingedrückt und es dauerte nur wenige Sekunden, bis der Tot eintrat.«
»Besteht die Möglichkeit, dass Saskia Jungblut vorher betäubt wurde?«
»Hm, ja, auch das wäre denkbar. Da ich keine Spuren eines Betäubungsmittels entdeckte, wurde von mir eine spezielle Untersuchung vorerst vernachlässigt. Aber jetzt, wo du es sagst, schließe ich es nicht völlig aus. Um eine Aussage zu treffen, schaue ich mir das Blut von der Toten nochmals unter diesem Aspekt an. Das nimmt nicht all zu viel Zeit in Anspruch. Ich rufe so schnell wie möglich zurück.«
Veronika Sommercamp legt den Hörer auf und sagt zu ihrem Kollegen, der aufmerksam das Gespräch verfolgte: »Die Spurenlage ist für unsere Ermittlung mehr als dürftig. Im Grunde genommen habe ich dieses Ergebnis erwartet. Schließlich reicht man sich bei einem Ereignis, wie einer Beerdigung, nicht nur die Hand, sondern umarmt sich, um seinen Schmerz über den Verlust eines Menschen zum Ausdruck zu bringen.«
»In Anbetracht der Beweislage können wir im Augenblick nur auf ein Wunder hoffen. Ein solches soll es bekanntlich wohl in der Märchenwelt, aber nicht im realen Leben geben. Für mich ist es schwer vorstellbar, dass die Tat durch eine weibliche Person verübt wurde. Vielmehr deuten die Strangulierungsmerkmale darauf hin, dass es sich bei dem Täter eher um einen kräftigen Mann handelt. Die dafür in Frage kommenden Ehegatten der Töchter und Malte Baader schließe ich nach dem bisher Gehörten aus. Keiner war zu dem Zeitpunkt, als Saskia Jungblut getötet wurde, auch nur annähernd in der Lage, die Tat zu verüben.«, sagt Jens Knobloch zerknirscht.
Читать дальше