»Was soll sich zugetragen haben? Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.«
»Das Vorkommnis ist im ganzen Ort bekannt. Haben Sie sich am heutigen Vormittag mit niemand unterhalten?«
»Nein. Ich habe mich soeben zum Ausgehen vorbereitet, um ins Hotel zu gehen. Dort übernachteten alle Familienmitglieder. Heute fahren sie wieder zurück und ich beabsichtige, ihnen Lebwohl zu sagen. Seit Sie sich als Kriminalkommissar vorgestellt haben, überlege ich, was es für einen Grund gibt, mich aufzusuchen. Friedbert, äh, Herr Voß, ist einer Krankheit erlegen, leider um einiges zu früh. Wenn mir das, als gewissermaßen Außenstehende, einmal dahingehend gestattet ist, zu sagen.«
Dieser geringfügige Lapsus, ihren Arbeitgeber mit dem Vornamen zu titulieren, entgeht Jens Knobloch nicht. Doch im Moment schenkt er dem keine weitere Beachtung und sagt: »Der Grund für meinen Besuch ist nicht der Tod von Friedbert Voß. Auch interessiert mich im Augenblick nicht, was Sie für ihren verstorbenen Dienstherrn empfinden. Leider ereignete sich in der vergangenen Nacht etwas Abscheuliches. Saskia Jungblut fiel einem Gewaltverbrechen zum Opfer. Sie wurde hinterrücks ermordet. Aus diesem Grund bin ich zu Ihnen gekommen. Außerdem möchte ich mir einen Überblick über die Vermögensverhältnisse von dem Verstorbenen verschaffen. Zu diesem Zweck ist Ihr Einverständnis erforderlich, weil ich aufgrund der Kürze der Zeit keinen Durchsuchungsbefehl besitze. Sollten Sie unumstößlich darauf bestehen, werde ich einen solchen problemlos ausstellen lassen. Wenn Sie nichts zu verbergen haben, und davon gehe ich im Moment aus, steht der Durchsicht der Bankunterlagen und gegebenenfalls vorhandener Wertpapiere keinesfalls etwas im Wege.«
Solveig Lilienthal zögert einen kurzen Moment mit der Antwort. Dann äußert sie sichtlich betroffen: »Saskia! Um Gottes willen! Das ist furchtbar. Wann und wie ist es geschehen. Kennen Sie den Täter oder läuft der Verbrecher noch frei herum?«
»Die Ermittlungsarbeiten begannen vor wenigen Stunden. Aufgrund der Kürze der Zeit ist es mir nicht möglich, Ihre Frage zu beantworten.«
»Selbstverständlich gestatte ich Ihnen, sich überall im Haus umzusehen. Wenn ich zur Aufklärung der abscheulichen Bluttat beitragen kann, dann stellen Sie mir Ihre Fragen. Ich wüsste im Augenblick jedoch nicht, wie ich Ihnen behilflich sein könnte.«
»Das wird nicht schwierig sein. Sie brauchen mir einzig und allein wahrheitsgemäß zu antworten.«
»Ich habe nichts zu verschweigen. Beginnen Sie mit Ihrem Verhör. Dahingehend werden doch derartige Gespräch bei Ihnen bezeichnet«, sagt Solveig Lilienthal in einem dezent ironischen Ton.
»Dann fangen wir mit einer absolut anspruchslosen Frage an: Wo waren Sie gestern Abend? Vor allem interessiert mich die Zeit zwischen Mitternacht und zwei Uhr morgens.«
»Ich war hier im Haus. Völlig allein. Es gibt niemand, der meine Aussage bestätigt. Nach einem überzeugenden Alibi klingt das wahrlich nicht. Genauso oder ähnlich denken Sie doch jetzt mit Sicherheit.«
»Darauf komme ich nochmals zurück, wenn uns die Pathologie den genauen Todeszeitpunkt mitgeteilt hat. Beschreiben Sie mir bitte, was Saskia Jungblut für ein Mensch war. Sie besuchte sicher mehrere Male ihren Vater hier in Akazienaue. Dabei lernten Sie seine Tochter kennen.«
»Saskia war die einzige von allen Geschwistern, die mehrmals bei uns vorbeikam. Sie hing mit viel Herzblut an ihrem Vater. Auch mir gegenüber verhielt sie sich stets überaus korrekt.«
»Was wollen Sie damit zum Ausdruck bringen? Gibt es einen Grund, weshalb sich die Tochter Ihres Arbeitgebers anders verhalten sollte?«
»Nein, nein! Überhaupt nicht«, äußert sich Solveig Lilienthal hastig.
»Warum betonen Sie, dass Saskia Jungblut sich Ihnen gegenüber derartig untadelig verhalten habe. Waren Sie eventuell mehr, als nur die Hausangestellte von Friedbert Voß?«
Solveig Lilienthal schaut ein wenig verlegen zur Seite. Dann äußert sie zaghaft: »Sie werden es ohne jeden Zweifel von anderen erfahren. Somit kann ich es Ihnen genauso zum gegenwärtigen Zeitpunkt sagen. Wir hatten ein Verhältnis miteinander. Es handelte sich nicht um eine Affäre. Ich war die Lebensgefährtin von ihm. Zugegebenermaßen ohne Trauschein. Es war mehr als Zuneigung. Wir verliebten uns ineinander. Es entstand schlicht und einfach aus dem gemeinsamen Miteinander. Sein Vermögen interessierte mich nicht im Geringsten. Friedbert Voß war ein großartiger Mensch. Ich vermisse ihn zutiefst.«
»Der beträchtliche Altersunterschied hat Ihnen nichts ausgemacht?«, fragt Jens Knobloch.
»Nein, ihm hat man sein Alter weder angesehen noch angemerkt. Er trieb regelmäßig Sport und hielt sich darüber hinaus durch den wöchentlichen Saunabesuch recht fit.«
»Haben die Kinder von Friedbert Voß von dem Verhältnis irgendetwas mitbekommen?«
»Ja, Friedbert berichtete mir nach Telefonaten wiederholt, wie er darunter leide, dass ich von den Familienmitgliedern nicht als Lebensgefährtin anerkannt werde. Ausgenommen davon sind Saskia und Malte Baader. Obwohl Letzterer am wenigsten mit seinem Vater telefonierte. Am schlimmsten benahm sich allerdings Alida Morgenroth. Sie besuchte uns im Vorfeld der Beerdigung nicht ein einziges Mal und rief darüber hinaus auch nicht an. In seinem Harmoniebestreben hielt Friedbert den Kontakt zu ihr dennoch aufrecht.«
»Sie sprachen von seinem Sohn. War er in den letzten zwei Jahren hier zu Besuch?«
»Malte Baader kam in Begleitung seiner Mutter. Sie hatte vor vielen Jahren eine Affäre mit Friedbert. Ich nehme an, dass er die große Liebe ihres Lebens war. Indes bedeutete ihm damals die Familie mehr, als diese Liebschaft. Jedenfalls hat er seine Ehegattin und die Kinder wegen einer anderen Frau nicht im Stich gelassen.«
»Gab es in der Vergangenheit möglicherweise Spannungen zwischen Ihnen und Gesa Baader. War sie vielleicht sogar eifersüchtig auf Sie?«
»Sicher kann man es in diesem Sinne so bezeichnen. Aber Friedbert hatte sich nun einmal für mich entschieden. Daran war nichts mehr zu ändern. Ich glaube, sie akzeptierte seinen Entschluss, wenn auch schweren Herzens.«
»Sie erwähnten seine Ehefrau. Von ihr habe ich bisher in keinerlei Hinsicht etwas gehört.«
»Frau Voß kam vor fünf Jahren bei einem Autounfall ums Leben. Über sie erzählte mir Friedbert nie irgendetwas und ich wollte ihn über seine Vergangenheit nicht ansprechen. Er muss sie sehr geliebt haben. Das spürt man als Frau.«
»Danke für die Auskünfte. Nunmehr interessiert mich ein anderes Thema. Kannten Sie das Testament bereits vor der Eröffnung durch den Rechtsanwalt oder wurden Sie von den Verfügungen, vor allem zu Ihrer Person, überrascht?«
»Der Inhalt seines letzten Willens war mir nicht bekannt. Friedbert teilte mir einmal beiläufig mit, dass ich nicht mittellos dastehen werde, wenn er nicht mehr auf dieser Welt sei. Weiteres sagte er dazu nicht. Das Thema war für ihn tabu. Ich hatte auch keinen Grund nachzufragen, was er damit meint und habe es dabei belassen. Für mich spielte sein Geld und das gesamte Vermögen zu keiner Zeit eine Rolle.«
»Das sagten Sie mir bereits. Inzwischen ist Ihnen das Erbe bekannt. Um welchen Anteil handelt es sich?«
Solveig Lilienthal steht auf und holt die Kopie des Testamentes sowie weitere Unterlagen über die Villa und das Vermögen von Friedbert Voß aus der Anrichte im Wohnzimmer. Den Stapel Papier legt sie vor Jens Knobloch auf den Tisch und äußert: »Von dem Geld erhalte ich nichts. Mir gehören die Villa und die Yacht, Saskia die Hälfte des Barvermögens und den Rest haben sich die vier Geschwister zu teilen. So steht es hier im Testament geschrieben.«
Jens Knobloch durchblättert einige Seiten, die ihm Solveig Lilienthal übergibt. Er wiegt bedächtig seinen Kopf und sagt: »Dann sind Sie durch den Tod von Friedbert Voß mit einem Male richtig vermögend geworden. Allein die Villa hat einen Kaufpreis von vier Millionen und die Motoryacht kostete vor zwei Jahren fünfhunderttausend Euro.«
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