»Ihre Bemerkung halte ich für unangemessen. All das gehörte mir als die Lebensgefährtin von Friedbert bereits vor seinem Ableben. Selbstverständlich verkaufe ich das Haus und die Yacht. Ob ich nochmals solch glückliche Jahre wie mit Friedbert erleben werde, steht in den Sternen geschrieben«, seufzt Solveig unüberhörbar.
Jens Knobloch blättert in den Papieren und stößt einen leisen Pfiff aus: »Das Barvermögen entspricht in etwa der Höhe der Werte, die Sie durch das Haus und die Yacht erhalten. Davon stehen Saskia Jungblut die Hälfte und den anderen vier Geschwistern je fünfhunderttausend Euro zu. Eine solche Verfügung ruft doch zweifellos Neid und Missgunst hervor.«
»Wollen Sie damit zum Ausdruck bringen, dass Saskia Jungblut durch ein Familienmitglied ermordet wurde? Das glaube ich nicht. Das Erbe reicht für jeden, um ein finanziell unbeschwertes Leben zu führen.«
Jens Knobloch erkennt, dass er mit seiner unbedachten Äußerung über eine mögliche Täterschaft eines Familienmitgliedes zu weit gegangen ist. Hastig ordnet er die Seiten vor sich auf dem Tisch und sagt: »Den Papierkram können Sie mir mitgeben. In den nächsten sechs Wochen ist Ihnen rechtlich untersagt, irgendetwas aus dem Erbe zu veräußern. Selbstverständlich quittiere ich Ihnen den Erhalt.«
»Nehmen Sie es an sich. Wenn die Unterlagen zur Aufklärung des Verbrechens beitragen, dann habe ich nichts dagegen. Zu dem Versprechen einer umfassenden Unterstützung bei der Lösung des Falls stehe ich nach wie vor. Jedoch beantworteten Sie mir in unserem Gespräch bisher nicht meine anfangs gestellte Frage.«
»Sie meinen die nach dem möglichen Täter?«
»Ja, genau danach hatte ich Sie gefragt.«
»Hm, es ist so«, kommt es ein klein wenig holperig über seine Lippen, »wir verdächtigen von vorn herein keine Personen. Zu den Ermittlungsarbeiten gehört die Untersuchung des gesamten sozialen Umfeldes der Ermordeten. Dazu zählen vor allem die Begünstigten, die im Testament aufgeführt sind. Es handelt sich um die Kinder von Herrn Voß und dementsprechend ebenfalls um Sie.«
»Sie wiederholen sich. Das wurde mir von Ihnen eingangs erklärt. Sie betreiben pure Zeitverschwendung. Ich hoffe, dass Ihnen das nach unserem Gespräch deutlich wurde.«
Jens Knobloch wundert sich über den plötzlichen schroffen Ton, den Solveig Lilienthal anschlägt. Allerdings hat er keine Möglichkeit, länger darüber nachzudenken. Abrupt erhebt sich seine bisher entgegenkommende Gesprächspartnerin aus dem Sessel und sagt: »Wenn es das gewesen ist, möchte ich Ihre kostbare Zeit nicht länger in Anspruch nehmen. Zudem habe ich in Kürze eine Verabredung. Es gehört zu meiner Wesensart, stets pünktlich zu erscheinen. Außerdem sind von mir die Familienangehörigen zu verabschieden. Diese möchte ich unter keinen Umständen warten lassen.«
Mit den üblichen Bemerkungen, dass sie in den nächsten Tagen Akazienaue nicht verlassen dürfe und zu einer weiteren Befragung sich bereitzuhalten habe, verabschiedet sich Jens Knobloch.
Auf dem Weg zum Hotel ‚Haus am Akaziensee‘ denkt er über das soeben geführte Gespräch nach. Woher ist nur der plötzliche Stimmungswandel bei ihr gekommen? Mit einem Schlag erinnert er sich: Während der Unterhaltung läutete das Telefon und jemand sprach auf den Anrufbeantworter. Weil Solveig Lilienthal nicht darauf reagierte, setzte er das Gespräch mit ihr fort und maß dem keine weitere Bedeutung bei. Mit einem gewissen Zeitabstand und dem veränderten Verhalten von Solveig Lilienthal bekommt die zunächst unbedeutend zu scheinende Begebenheit einen gewissen Stellenwert in seinen Überlegungen. Es wäre möglich, dass es sich um eine nicht unwichtige Nachricht auf dem Anrufbeantworter handelt. Es könnte auch sein, dass sie den Anruf erwartete. Denn unmittelbar nach dem Läuten des Telefons gelang es ihr nicht, die zunehmende Nervosität zu verbergen. Letztendlich wurde er recht nachdrücklich um das Verlassen der Villa gebeten. Auf alle Fälle werde ich mir dazu eine Notiz machen, überlegt er. Kurze Zeit später kommt Jens Knobloch wieder im ‚Haus am Akaziensee‘ an.
Vernehmung der Familienangehörigen
Im Hotel erwartet ihn die Hauptkommissarin. Sie hat in dem von Armin Wenzel als 'Salon' bezeichneten Raum Platz genommen. Das Aufnahmegerät für die Vernehmung der Familienangehörigen liegt einsatzbereit auf dem Tisch.
»Gibt es von Dr. Monika Bieberstein greifbare neue Ergebnisse?«, fragt Jens Knobloch.
»Ja, sie arbeitete wie immer fleißig. Bei der Toten wurde kein Wasser in der Lunge gefunden. Ein sicheres Zeichen, dass Saskia Jungblut stranguliert und danach in den See gestoßen wurde. Der Todeszeitpunkt liegt zwischen zwölf und ein Uhr. Das vermutete sie ohnehin am Fundort der Leiche.«
»Na ja, zumindest eine gesicherte Erkenntnis«, bemerkt Jens Knobloch, nicht unbedingt begeistert..
»Nun warte doch einmal ab. Das Wichtigste kommt erst noch. Die Kollegen von der Spurensicherung fanden ein Seilende am Seeufer. Es handelt sich eindeutig um das Tatwerkzeug. An Hand des Musters der Abdrücke am Hals von Saskia Jungblut vermochten unsere Kollegen den Zusammenhang nachzuweisen.«
»Gibt es Anhaltspunkte, woher dieses Seil stammt?«
»Bisher leider nicht. Zumindest wäre es möglich, dass es zu einem der Boote an dem Anlegesteg gehört. Das heißt, die dort befestigten Wasserfahrzeuge sind in Augenschein zu nehmen«, antwortet Veronika Sommercamp.
»Das sind in dieser Jahreszeit zum Glück nicht allzu viele Boote, die im Wasser liegen. Wie ich bisher gesehen habe, handelt es sich um sechs Angelkähne. Die werde ich haargenau unter die Lupe nehmen. Für unsere Ermittlung verspreche ich mir dabei keine Wunderdinge. Denn wer wird sich ein solches Seil vom eigenen Boot besorgen, wenn er die Absicht hat, damit einen Mord zu begehen?«, stellt Jens Knobloch fest.
»Im Bericht des Kriminaltechnischen Institutes steht übrigens, dass das Tatwerkzeug mit einem scharfen Messer abgetrennt wurde. Die Schnittstelle ist sicher unschwer zu erkennen. Aber wie du bereits sagtest: Viel weiter wird uns das nicht bringen. Wenden wir uns jetzt besser den Vernehmungen der Familienangehörigen zu. Dabei erhoffe ich mir einige, der Ermittlung dienende, konkrete Hinweise zu erhalten.«
»Bist du nicht neugierig auf die Ergebnisse des Gesprächs, welches ich mit Solveig Lilienthal führte?«
»Doch, doch! Allerdings kennen wir uns zu viele Jahre, als das ich danach fragen müsste. Wenn du brisante Neuigkeit erfahren hättest, dann wüsste ich diese längst … oder?«
»Hast ja recht, unterm Strich ist für uns nichts Verwertbares herausgekommen. Ein hieb- und stichfestes Alibi besitzt sie freilich nicht. Solveig Lilienthal war allein zu Hause. Wie können ihr nicht nachweisen, dass sie um Mitternacht allein die Villa verließ zum Seeufer ging«, erwidert Jens Knobloch.
»Übergab sie dir eine Kopie des Testaments?«, will Veronika Sommercamp wissen.
»Selbstverständlich forderte ich eine solch von ihr. Außerdem überließ mir Solveig Lilienthal die Vermögensaufstellung von Friedbert Voß. Übrigens findet sich der Inhalt des Briefes, den wir bei Saskia Jungblut fanden, im Testament bestätigt. Damit haben ihre Geschwister ein eindeutiges Motiv«, antwortet Jens Knobloch
»Warum schließt du Solveig Lilienthal aus, die Tat begangen zu haben?«
»Ihr gehören Villa und Yacht allein. Deren Wert entspricht der Höhe des Barvermögens, welches die fünf Geschwister erben. Demzufolge bestand keinerlei Veranlassung, Saskia Jungblut zu töten.«
Veronika Sommercamp schaut nachdenklich zu Boden und sagt mit besorgter Miene: »Es sieht ganz nach einem verflixt schwer zu lösenden Fall aus. Wir kennen weder die Stelle, wo Saskia Jungblut in den See gestoßen wurde, noch hat der Täter oder die Täterin am Opfer Spuren hinterlassen. Allein aufgrund eines Motivs haben wir keine Befugnis, eine der dafür in Frage kommenden Personen festzusetzen.«
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