Es war schwierig, aber machbar ein Feuer zu entzünden, woran wir uns wärmen konnten. Die Stimmung, die herrschte, war bedrückend und das nicht zu wenig. Theo hatte weiterhin einen Groll auf mich und Annemarie sprach kein Wort mehr mit mir.
Nun saß ich – als Einziger, der noch wach war – am Feuer und rieb mir die kalten Hände. Wir waren in einer alten Scheune, die verlassen inmitten eines Feldes stand. Annemarie schlief seitlich auf einem Haufen Stroh und hatte ihr Gesicht in meine Richtung gedreht, Theo lag neben dem Feuer und sein regelmäßiger Atem verriet mir, dass er ebenfalls schlief.
Ich war selbst hundemüde, meine Schmerzen waren enorm, aber ich durfte jetzt nicht schlafen. Die Gefahr, wir könnten entdeckt werden, egal von wem, war zu groß. Einer von uns musste nun mal wach bleiben.
Das Einzige, das mir zum Verhängnis wurde, mich auf unsere Umgebung zu konzentrieren, war Annemaries Gesicht.
Ich presste die Handflächen aneinander, während ich zusah, wie das Licht des Feuers, ihre Haut noch sanfter aussehen ließ. Sie war blass, doch trotzdem war sie … Gott, es stresste mich, wie schön ich sie fand.
Ihr blondes Haar und wie ein paar Strähnen ihres Zopfes vor ihren Augen hingen. Vor allem ihre blauen Augen und wie sie mich damit immer ansah. Sie dachte, ich würde es nicht bemerken, aber ich müsste blind oder zurückgeblieben sein, wenn ich es nicht bemerken würde.
Mich zu ihr hingezogen zu fühlen mochte vielleicht ein Fehler sein, aber es war so belebend. An etwas zu denken, außer an den Krieg, war verdammt belebend. Nur durfte ich nicht vergessen, was sie wirklich war. Sie war eine deutsche Gefangene und ich musste dafür sorgen, dass es so blieb. Ich konnte verstehen, weshalb sie geschrien hatte und flüchten wollte, auch wenn ich es im ersten Moment nicht wahrhaben wollte.
Sie war eben nur eine deutsche Gefangene. Egal wie schön sie gerade aussah.
Ich wusste auch, dass ich mich verhältnismäßig zu viel für sie einsetzte und ihr half, es wurde schon so manches im Trupp geredet, so offensichtlich war es. Aber schon alleine wegen Pattons musste ich mich zurückhalten. Es war nicht so, dass es mir schwerfiel, nicht über sie herzufallen, ich war immer noch ein Mann, der wusste, wie man mit Frauen umzugehen hatte. Ich hatte einfach nur Gefallen daran, mich mit etwas auseinander zu setzen, das schöne blaue Augen hatte. Und die hatte sie. O ja, die hatte sie.
„Wenn du sie noch länger anstarrst, fängt sie gleich an zu brennen.“
Sofort blinzelte ich und sah zu Theo, der auf dem Rücken lag und die Decke anstarrte. Er wirkte müde, gleichzeitig aber auch noch immer wütend.
„Wieso bist du wach?“, fragte ich ihn leise, um Annemarie nicht zu wecken.
„Das war nicht das Zeichen, um ein Gespräch mit mir anzufangen.“ Theo drehte sich auf die Seite, seinen Rücken zu mir. „Beobachte sie einfach weiter.“
Ich musste mir einen tiefen Seufzer unterdrücken. Es war frustrierend, wie stur Theo sich manchmal verhielt. Er war zweiundzwanzig, aber noch zu oft ein Kind. Etwas, das man an ihm mögen und etwas, das einen zur Verzweiflung treiben konnte. Deswegen wischte ich mir durch das schmutzige Gesicht und stützte die Ellen auf meine Knie. „Rede schon. Ich kann mir diesen Mist nicht mehr geben.“
„Es gibt nichts zu bereden, nerv mich nicht.“
Ich wurde ungeduldiger. „Hör auf mit diesem elendigen Schwachsinn, Theo. Sag mir endlich, was dein Problem ist oder ich werde dich nie wieder fragen.“
Er schwieg kurz, man hörte nur noch das Holz knacken. „Du verstehst gar nichts.“
„Dann klär mich auf.“
Überraschenderweise richtete Theo sich ruckartig auf und setzte sich geradehin. „Okay, du willst es wissen?“ Er sah mir genau in die Augen. „Du hast Peppers Tod verursacht, verurteilst mich, wenn ich trauere und dann fühlst du noch nicht einmal einen Hauch von Reue.“ Ungläubigkeit stand in seinem Gesicht. „Du tust so, als wäre Pepper irgendwer gewesen, aber das war er nicht. Du hast keinen Respekt, nicht vor ihm und nicht vor mir.“
Ich hielt Theos Blick stand und scheinbar wollte er etwas von mir hören. Eine Entschuldigung vielleicht, irgendetwas, das ihn einigermaßen zufrieden stellen konnte, ich war mir nicht sicher. Doch das Einzige, das ich sagen konnte, war: „Ich bin nicht für Peppers Tod verantwortlich.“
„Doch, das bist du“, widersprach mir Theo sofort und griff mit seiner Hand in den Stoff seiner Hose. „Du hast den Schützen genau gesehen, du hättest mir sagen können, wo er war, doch du hast es nicht getan. Weil du egoistisch warst und lieber deinen eigenen Arsch gerettet hast, anstatt den von jemanden, der hundert Mal wichtiger war, als du.“
Er versuchte mich mit seinen Blicken zu ermorden, ich konnte es genau spüren.
„Denk nicht, mir ist das entgangen“, sprach er weiter und mit einem Zorn in der Stimme, den ich selten von ihm hörte. „Schätz dich glücklich, dass ich es nicht jedem anderen im Platoon gesagt habe, ansonsten wärst du schon längst tot.“
Ich war zu müde, um Theo mit viel Wut entgegenzusteuern. Sowieso machte es keinen Sinn für mich, denn er würde mich nicht verstehen. Wahrscheinlich würde er mich nicht einmal verstehen wollen . „Ich weiß, du brauchst einen Schuldigen“, sagte ich leise und schaute ins Feuer. „Ich kann dieser Jemand für dich sein, aber …“
„Nein, nein, halt‘s Maul, John!“, unterbrach mich Theo zornig und stand auf, worauf ich unauffällig zu Annemarie sah, um sicher zu gehen, dass sie noch schlief. „Rede nicht wie jemand, der du nicht mehr bist. Du hättest mir verdammt nochmal sagen sollen, wo der beschissene Schütze war, ich hätte ihn erwischt und Pepper würde noch leben. Wir müssten nicht in einer zugigen Scheune sitzen, nachdem wir unsere Freunde und den kompletten Zug verloren haben.“
Seine Worte brachten mich nur dazu, noch müder zu werden, als ich es ohnehin schon war, deswegen atmete ich einfach nur tief ein und aus, schloss die Augen. „Verschwinde, wenn du es brauchst. Ich werde dich nicht aufhalten.“
Aggressiv bückte sich Theo nach seiner Jacke, die auf dem Boden lag und zog sie an. „Gut, dass du immer sofort weißt, was ich brauche. Ich schicke dir eine Brieftaube, wenn ich den Rest von uns gefunden habe.“ Das war dann wohl sein typischer Sarkasmus. Er verließ die Scheune ich hörte ihn noch schimpfen: „Wenn ihr bis dahin nicht schon verreckt seid.“
Augenblicklich plagten mich Kopfschmerzen, tiefe, ätzende, niemals endende Kopfschmerzen.
Manchmal schien es unwirklich, wie sehr wir uns verändert hatten. Früher waren Theo und ich beste Freunde, ganz normale Jungs, die Spaß hatten, die Nachbarn ärgerten und Mädchen begafften. Es gab selten etwas, worüber wir uns stritten, außer natürlich um Mädchen. Heute sind wir komplett andere Menschen, denken über Dinge nach, an die wir früher keinen Gedanken verschwendet hätten. Und hätte uns vor mehreren Jahren jemand erzählt, dass Theo beginnen würde, mir die Schuld eines Todes in die Schuhe zu schieben und mich dafür zu hassen, hätten wir gelacht.
Aber so es ist nun mal. Es war unmöglich in dieser Zeit keinen Zorn in sich zu tragen. Zu viel Scheiße hatten wir schon durchgestanden.
Mein Körper fuhr immer weiter runter und mein Blick fiel wieder auf Annemarie, die scheinbar noch immer schlief. Ihre Hände hatte sie unter ihre die Wange gelegt und ihr Körper atmete nicht mehr gleichmäßig.
„Du musst einen tiefen Schlaf haben, wenn du hiernach nicht wach geworden bist“, redete ich deswegen zu ihr und warf ein Stück Holz ins Feuer.
Wie ich es erwartet hatte, öffnete sie langsam die Augen und sah mich an.
Da waren wieder ihre blauen Augen.
Sie seufzte leise. „Ich wollte euch nicht belauschen.“
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