„Ihr seid nicht die Einzigen, die in einen Hinterhalt geraten sind.“ Der Kamerad sah sich Theos Wunde am Hinterkopf an und ich beobachtete wie sich auch der Rest meiner Gruppe ausgelaugt fallen ließen, um sich auszuruhen. „Wir können von Glück reden, dass wir noch drei Kompanien zusammenstellen können. Die letzten Wochen waren ziemlich … hart.“
„Hart.“ Ich lachte bitter auf und ließ meine Schrotflinte einfach zu Boden fallen. „Wir haben fast die Hälfte unserer Männer verloren, verdammt. Wer hat hier was zu sagen?“
Mit erhobener Braue betrachtete mich der Mann, als er Theos Wunde säuberte, der einfach erschöpft die Augen schloss. „Wer bist du? Der Major?“
„Nein, Major Pepper ist tot. Also, wer ?“, gab ich ungeduldig die Gegenfrage und wartete gespannt auf seine Antwort.
Theo öffnete langsam die Augen. „Sag es nicht.“
Ich ignorierte ihn, weil es im Moment wichtigeres zu tun gab, außer seinen verwirrten Worten zuzuhören, deswegen wartete ich weiter auf die Antwort des Helfers.
„Major Pattons“, antwortete er und kniete sich hinter Theo. „Er ist im Hauptzelt. Ihn wird es nicht freuen, dass Pepper tot ist.“
Nun kniff Theo die Augen zusammen. „Nein, Schluss damit.“
„Reiß dich zusammen, Theo!“, zischte ich ihm zu. „Es ist keine Zeit für dein ständiges Gejammer. Pepper ist tot, kapier’s endlich.“
Ruckartig stellte Theo sich auf und schubste mich mit blutunterlaufenen Augen zurück. „Halt‘s Maul!“, schrie er mich an. „Halt‘s Maul, halt‘s Maul, halt‘s Maul! Es ist deine Schuld , also halt‘s Maul!“ Wütend stampfte er auf mich zu, wollte mich am Kragen packen, doch ich zog ihn über mein Bein und ließ ihn unsanft zu Boden fallen. Er wollte sich hochdrücken, aber ich rammte seinen Nacken in die aufgeweichte Erde unter uns. „Hör auf es zu sagen“, begann Theo zu schluchzen. „Hör einfach auf es zu sagen, wenn es doch deine Schuld war … Pepper könnte noch leben, wenn du …“ Seine Worte wurden undeutlich und schließlich hatte er keine Kraft mehr zu sprechen.
Mein Griff in seinem Nacken wurde leichter, weil mir selbst die Kraft fehlte. Ich wusste, dass er mir allein die Schuld an Peppers Tod gab. Ich war, für ihn, nicht auf der richtigen Position, als Pepper mich brauchte. Es war nicht meine Schuld, dass Pepper starb, Theo brauchte einfach nur einen Schuldigen. Er war geschwächt, was blieb ihm anderes übrig, außer wütend zu sein?
„Ich sage es dir kein zweites Mal“, ermahnte ich ihn böse und ließ seine linke Gesichtshälfte langsam in den Schlamm sinken. „Reiß dich gefälligst zusammen und komm mit dieser Scheiße klar. Er ist tot.“
Ich zog ihn wieder auf die Beine, derweil er ausgelaugt zuließ, dass der Schlamm an seinem Gesicht hinunterlief. „Wasch dich, trink und iss etwas, aber hör auf zu heulen. Das bringt uns nicht weiter.“
Theo atmete zitternd tief durch, setzte sich wieder auf den Hocker und vergrub das Gesicht in seinen schmutzigen Händen. „Es tut mir leid“, sagte er. „Hey, Mann, es tut mir leid, ich wollte das nicht …“
Ich wischte mir mit beiden Händen durch die mittlerweile wieder ein Stück gewachsenen Haare und schloss für einen Moment die Augen. Natürlich tat es ihm leid, das wusste ich ja. Es tat einem im Nachhinein immer leid, allerdings brachten diese vier Worte in dieser Zeit nichts. Er war ein Wrack und damit kam er selbst nicht zurecht. Niemals sollte der Tod an uns herankommen, denn Freunde wollten wir nie wieder verlieren, doch Theo war zu schwach. Dieses eine verdammte Mal. Früher hätte er versucht es wegzulachen, doch das war vorbei. Schon vor langer Zeit hat Theo aufgehört, die Dinge lustig zu finden.
„Sieh zu, dass du schläfst“, wies ich Theo an, obwohl ich nicht das Recht hatte, überhaupt irgend wen anzuweisen. Allerdings hatte ich schon seit Peppers Tod das Gefühl, die Leute meines Platoons warteten auf Befehle, weil sie so verloren schienen, deswegen versuchte ich für sie irgendetwas zu sein, woran sie sich festhalten konnten. Oftmals glaubte ich, James war der Einzige, der nicht aufgab und das half mir, einfach weiter zu machen. Wir hatten zusammen schon viele Situationen überlebt und wir würden auch aus dieser wieder herauskommen. Ja, Pepper ist gefallen. Doch nur aufzugeben, weil er nicht mehr war, wäre eine Schande gewesen.
Ich legte meine Hand noch einmal beruhigend auf Theos Schulter und dann machte ich mich auf den Weg ins Hauptzelt. Es war angenehm ruhig, was mir sehr guttat, denn mein Schädel dröhnte heftig und durch die schlaflose Nacht packte mich leichter Schwindel. Meine linke Hüfte schmerzte höllisch, aber darum würde ich mich später kümmern müssen. Ich musste zusehen, wie wir unser nächstes Platoon zusammenstellen konnten. Eigentlich wollte ich nie mehr sein, als ein Befehlsempfänger, ein einfacher Rekrut. Verantwortung stand mir nicht, doch es würde nicht lange anhalten. Uns würde ein neuer Major zugeteilt werden, damit wir am nächsten Morgen aufbrechen konnten.
Ich zog das imprägnierte Leinentuch vor dem Zelteingang zur Seite, um einzutreten, es zu betreten und schon sah ich mehrere Männer in langen Jacken neben einem Baumstumpf an einem provisorischen Tisch stehen und auf eine Karte schauen. Einer von ihnen hob den Kopf und etliche Brandnarben durchzogen das Gesicht, dessen Augen mich durchdringend ansahen.
„Was zur Hölle sucht der Hosenscheißer hier?“, keifte der Mann in die Runde und sah mich dabei an. „Ich sagte doch, niemand soll dieses Zelt betreten, wenn ich nicht darum bitte!“
„Er ist von Platoon vier, Major Pattons“, erklärte der dünnere Mann zu ihm. „Peppers Platoon. Sie sind gerade angekommen.“
„Pepper“, schnaubte der Major und verschränkte die Arme, während er mich von oben bis unten musterte. „Wo ist er? Ich hatte ihn erwartet und nicht einen seiner minderwertigen Lakaien.“
„Major Pepper wurde vor mehreren Tagen während eines Hinterhalts erschossen“, erklärte ich sachlich die Lage.
Der Mann, der Major Pattons genannt wurde, schwieg daraufhin kurz, starrte mich aber weiterhin an. Ich ging seinem Blick nicht aus dem Weg. Man sah ihm sofort an, dass so etwas ihn nicht mehr schockierte. Er war schon so abgestumpft in den Jahren des Krieges, dass er es einfach als Tatsache ablegte, wenn man ihm mitteilte, dass einer von seinen Kollegen gestorben war. Für ihn war das nur wieder einer, der das zeitliche gesegnet hatte, also interessierte er sich nicht weiter dafür. „Wie viele seid ihr?“, fragte er mich nach einer Weile.
Ich antwortete: „Neunzehn.“
„Neunzehn?“, schrie er plötzlich und rammte das Messer in seiner Hand durch die Karte in den Baumstumpf. Seine Glatze ließ es zu, dass man Zornesadern sah. „Das ist nicht einmal ein halbes Platoon! Ihr hättet mehr sein sollen!“
Wut kroch in mir hoch. Er mochte ein Major sein, aber war nicht besser, als der ganze Rest hier, vor allem nicht nach der Hölle, die wir durchgemacht hatten. „Zeigen Sie etwas Respekt“, fuhr ich ihn deswegen an. „Wir suchen uns die Zahl der Toten nicht aus.“
„Respekt?“ Patton zog sein Messer aus dem Baumstumpf und kam mit schnellen Schritten auf mich zu, setzte das Messer an meinem Hals an, während er meinen Nacken dagegen drückte. Ich aber blieb still. „Glaubst du, diese verdammten Nazi-Schweine zeigen Respekt, wenn sie dir deine jämmerliche Kehle aufschneiden?“, raunte er mir leise ins Ohr und ich roch seine Alkoholfahne gemischt mit Nikotin. Er drückte das Messer fester gegen meine Haut und ich konnte spüren, wie sie kurz davor war zu aufzureißen. „Respekt muss man sich verdienen, du erbärmlicher Bastard.“ Mit einem Mal stieß er mich zurück und ich spürte ein kleines Rinnsal Blut, das meinen Hals herablief. Er zeigte mit der Klinge auf mich. „Sammle deine Männer und mach ihnen klar, dass ihr ab morgen nach meiner Pfeife tanzt. Wer laufen kann, kommt mit mir, der Rest bleibt hier. Verstanden?“
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