1 ...7 8 9 11 12 13 ...16 „Die Polizei, dein Freund und Helfer, gell, ja, gell! Aber bei den Fremden helft ihr nicht, gell! Gell!“
Manni schüttelte nur den Kopf und steuerte weiter auf Walter zu. Der flüsterte Max etwas ins Ohr, der nur nickte und seinen Stuhl frei machte, um sich an den Tisch der Blonden zu setzen. Als Manni am Stammtisch ankam, ließ er sich auf den Stuhl fallen wie ein Wanderer nach einem schweren Bergaufstieg am Gipfelkreuz.
„Grüß dich Walter! Wir haben uns ja schon ewig nicht mehr gesehen. Ich weiß, liegt an mir. Ich schaff es einfach kaum mehr hier raus aufs Land.“ Manni war nach seiner Ausbildung zum Polizist in die Stadt gezogen.
„Mir geht’s grad anders rum“, entgegnete Walter, „ich bin so gut wie nie in der Stadt. Außer mal zum Klamotten kaufen oder samstags auf den Markt.“ Mit einem leichten Schauder erinnerte er sich an sein letztes Gespräch mit Eugen Heesterkamp, bei dem dieser angedroht hatte, mit ihm Sportkleidung kaufen gehen zu wollen. „Was treibt dich denn heute mal wieder nach Taldorf?“ Manni hatte gerade den letzten Schluck Bier getrunken und winkte Marie mit der leeren Flasche zu.
„Der Tod vom Pfarrer. Als ich es in der Zeitung gelesen habe, war ich doch recht traurig. War ja damals auch bei ihm Ministrant. Konnte heute Vormittag leider nicht zur Beerdigung, weil ich Dienst hatte.“
Walter klopfte ihm mitfühlend auf die Schulter. „Ja, das waren noch Zeiten damals. Aber irgendwann sind wir alle mal dran und Pfarrer Sailer war ja auch nicht mehr der Jüngste.“ Marie, die das Bier vor Manni auf den Tisch knallte und Walter seinen Schweinebraten vorsetzte, hatte die letzten Sätze mitgehört.
„Do hosch recht, Walter. Für jeden ischs irgendwänn Zeit, au für an Pfarrer. Und so alt wiener war isch do au nimme d’Hebamm schuld!“
Manni bedankte sich für das Bier und beugte sich dann nach vorne, um leiser sprechen zu können. „Eigentlich bin ich wegen dir hier. Ich wollte mit dir reden, weil da gibt es etwas, was ich merkwürdig finde.“ Manni trank einen Schluck Bier, bevor er weiter sprach. „Man hat beim Pfarrer eine Autopsie gemacht. Das Ergebnis: Herzinfarkt. Ansonsten war bei ihm alles O.K. Bis auf eines: er hatte einen viel zu hohen Koffeinwert im Blut.“ Walter, den Mund voll Schweinebraten und Spätzle, wusste nicht so recht, worauf Manni hinaus wollte.
„Na, er wird wohl am Morgen einen Kaffee getrunken haben.“ Manni schüttelte den Kopf.
„Du hast mich nicht richtig verstanden, Walter. Er hatte einen viiiiiiiel zu hohen Koffeinwert. Ich hab’s nur durch Zufall erfahren, weil einer am Telefon darüber geredet hat, als ich eine Akte abgeholt habe.“
Walter zog die Augenbrauen zusammen und dachte nach. Konnte es sein, dass Pfarrer Sailer sich vor dem Gottesdienst erst ein paar Tassen Kaffee reingeschüttet hatte, bevor er zur Kirche gegangen war? Unwahrscheinlich, vor allem wenn man bedachte, dass er schon einmal einen Herzinfarkt gehabt hatte und seitdem sehr vernünftig lebte. Unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich.
„Weißt du denn, wie viele Tassen Kaffee er gebraucht hätte, um den Wert zu erreichen?“
„Ja. Und genau das hat mich gewundert. Er hätte rund fünfundzwanzig Tassen trinken müssen.“
13
Walter verschlug es die Sprache. Wie in Gottes Namen hätte Pfarrer Sailer fünfundzwanzig Tassen Kaffee trinken sollen? Er wusste doch, dass so viel Koffein für sein angeschlagenes Herz nicht gut war. Manni sah, wie die Gedanken in Walters Kopf kreisten.
„Ja, so ging es mir auch“, bestätigte er Walters Grübeln. „Ich hab dann mal nachgefragt, ob das denn nicht auf Fremdeinwirkung hindeutet, aber sie meinten nein. Das käme schon mal vor.“
Walter hatte gar nicht recht hingehört und musste nachfragen. „Fremdeinwirkung? Was soll das denn sein?“ Manni rutschte noch etwas näher und erklärte in verschwörerischem Flüsterton:
„Na, Fremdeinwirkung halt. Jemand anders war dran schuld. Jetzt stell dich nicht so blöd! Ich mein, vielleicht hat ja jemand Pfarrer Sailer das Zeug irgendwie untergejubelt und damit den Herzinfarkt ausgelöst!“
Walter begriff immer noch nicht. „Aber wenn ihm das jemand anders absichtlich angetan hätte, dann wäre das ja … also, ja … äh … das wäre … Mord?“ Das letzte Wort war Walter deutlich lauter über die Lippen gekommen als beabsichtig und Manni legte sofort einen Finger auf die Lippen.
„Pscht! Das muss ja nicht jeder mitkriegen!“ Besorgt schaute er sich um, doch alle Gäste in der Nähe waren in Gespräche vertieft und hatten nichts mit bekommen. Ohnehin war der Lärmpegel so hoch, dass man Arien hätte furzen können ohne aufzufallen.
„Ich dachte mir, vielleicht weiß einer von euch hier irgendwas. Hatte der Pfarrer Feinde? Hatte er Probleme? War er in irgendwas verwickelt? Fällt dir irgendwas ein?“
Walters Gedanken schwirrten in seinem Kopf wie ein Schwarm Bienen. Die neue Sicht auf Pfarrer Sailers Tod überforderte ihn. Er hatte das Gesicht des Mannes vor Augen, wie er lächelnd auf der Kanzel stand und seinen Segen gab. Er erinnerte sich an so viele Begebenheiten, bei denen er in der Gemeinde geholfen hatte oder einfach auch nur gesellig mit am Stammtisch gesessen hatte. Niemand konnte ernsthaft seinen Tod gewollt haben.
„Nein, da fällt mir nichts ein. Er war mit Sicherheit einer der beliebtesten Menschen in der Gemeinde.“
Manni schüttelte resigniert den Kopf. „Das dachte ich mir schon, aber irgendwie glaube ich nicht an einen einfachen Herzinfarkt.“
Walter war überrascht. „Gibt es denn keine weitere Untersuchung? Ermittlungen oder so?“
„Nein. Wie gesagt, die halten den Koffeinwert für nicht so wichtig. Der Pfarrer hätte das ja auch selber hinbekommen können. Mit viel Kaffee oder mehreren von diesen neumodischen Energydrinks. Außerdem kommt es wohl bei Menschen in seinem Alter gern mal zu irgendwelchen unnormalen Werten. Da spielt der Körper hin und wieder verrückt. Hinzu kommt, dass er schon einen schweren Infarkt hatte und deshalb schon angeschlagen war. Und wenn wir ehrlich sind, Walter, ist das auch das Wahrscheinlichste. Es gibt ja nicht das geringste Motiv und das ist das eigentlich Wichtige. Jeder mochte ihn, keine Streitereien oder irgendwas … kann sein, ich verrenne mich da in irgendwas, aber ich habe mit ein paar Kollegen darüber geredet und die waren auch skeptisch.“
Manni lehnte sich zurück und leerte sein Bier. Walters Gefühle gingen in zwei Richtungen. Zum einen war er schockiert über Mannis Idee, jemand könnte Pfarrer Sailer ermordet haben, zum anderen war er erleichtert, dass dem wohl nicht so war. Kein Motiv. Nur ein erhöhter Wert. Also ist an allem nichts dran?
„Was sind denn das für Kollegen mit denen du darüber geredet hast?“
Manni überlegte kurz. „Wir sind Freunde, treffen uns immer mal auf einen Kaffee oder ein Bier. Hans da hinten“, Manni zeigte auf seinen Kollegen, „gehört auch dazu. Einer von der Kripo ist dabei und auch ein Mädel aus der Pathologie. Eigentlich eine buntgewürfelte Truppe. Wir treffen uns, weil wir unseren Job mögen und auch gerne darüber reden, aber das kannst du ja mit den meisten Leuten nicht. Und da kam uns die Idee, ob wir nicht selber ein bisschen ermitteln sollen. Ist ja das, was wir gelernt haben. Nur kennen wir niemanden von hier … außer dir. Könntest du dir vorstellen bei uns mitzumachen?“
Manni sah Walters überraschtes Gesicht und ruderte sofort zurück. „Ich weiß, das klingt verrückt, aber denk doch einfach mal drüber nach. Schlaf eine Nacht drüber und dann triff dich mit uns. Wir sind samstags immer auf dem Markt an Francescos Kaffeewagen. Wird dir gefallen!“ Manni trank seinen letzten Schluck Bier.
„So Walter“, raffte er sich auf, „ich geh noch zu Marie bezahlen und dann fahre ich heim. Der Kollege will auch nach Hause.“
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