1 ...6 7 8 10 11 12 ...24 „Na dann bist du selbst Schuld – wenn du den Test versaut hättest, wärst du nicht genommen worden und könntest deine Schwester suchen-“
„Nein.“
„Nein?“
„Wer den Test nicht schafft, schreibt ihn noch einmal. So lange, bis er ihn schafft. Und glaube mir: ewig in einer Schleife zu sitzen macht kein Spaß.“
„Oh... schon ausprobiert, heh?“
„Nur ein Mal...“
Der Halbengel blieb unerwartet mitten auf dem Marmorweg stehen, sodass Sari fast in ihm hinein gelaufen wäre. Verärgert blickte sie an ihm vorbei, um den Grund für die plötzliche Pause zu sehen: der Kommandeur!
„Nosheiru... wohin des Weges?“, dabei sah Viturin zu Sari. Als Lyze keine sofortige Antwort gab, trat er näher und deutete – nur ein wenig prahlend – auf sein neues, goldenes Abzeichen. „Nebenbei, ausgezeichnete Arbeit. Die Information konnte einen geplanten Angriff der Dämonen aufdecken. Ein Trupp wurde ausgeschickt, der diese kopflosen Bestien aus dem Hinterhalt überrannte. Für meine glorreiche Führung wurde ich zum Kommandeur zweiten Ranges befördert. Ab sofort übernimmt ein anderer Soldat meine Position des überwachten Gebietes.“, er grinste, „Herzlichen Dank. Um meine Wertschätzung zu zeigen, werde ich eurem Gebiet einen hervorragenden Kommandeur unter mir zuteilen.“
In Sari schnellte die Wut hoch: wie konnte dieser Mann mit dem Erfolg der Informationen prahlen, die eigentlich von ihr stammten? Noch dazu, wo Lyze die ganze Arbeit hatte? Sie pustete Luft durch ihre Nasenlöcher, als wäre sie ein wütender Stier, kurz vor dem Angriff. Als sie zusätzlich ihre Backen aufblähte, hielt sie sich anschließend ihre schmerzende Wunde unterhalb des Pflasters.
Eigentlich müsste Lyze noch viel wütender sein. Sari war sowieso der Meinung, dass er an der Stelle stehen sollte, wo Kommandeur Viturin stand. Doch zeigte dieser Vorfall dem Halbengel auch, was weitere Informationen von Sari, dem azamuthischen Prinzen und dem Krieg bewirkten: eine rasant aufsteigende Karriere seines Vorgesetzten. So ballte er zwar eine Faust, lächelte aber freundlich: „Ich gratuliere Euch. Ihr werdet Eure neue Aufgabe mit Sicherheit meistern.“
„Selbstverständlich werde ich das.“, musternd blickte er erneut zwischen Sari und Lyze hin und her. „Nun, wohin führt der Weg?“
„Ich bringe sie auf den Boden zurück.“, Lyze konnte richtig ernst und kalt aussehen, „Sie besitzt keinerlei weiteren Informationen.“
So wirklich konnte ihm Viturin dennoch nicht glauben: „Nosheiru?“, er deutete mit dem Kopf in eine Richtung, „Könnte ich Euch kurz unter vier Augen sprechen?“ – wohlgemerkt, was wie eine Frage klang, war ein Befehl.
So nickte der Halbengel und folgte seinem Vorgesetzten. Dabei drehte er sich während des Gehens zu Sari um: „Bleib wo du bist – rühr' dich nicht vom Fleck.“
„Eh-“, sie hob die Schultern. Wusste sie doch nicht im Geringsten, wohin sie hätte gehen sollen. „Klar, mach ich.“
Weiter abseits der Hauptstraße waren beide Engel stehen geblieben. Kommandeur Viturin ergriff Lyze am Oberarm, ehe er zu sprechen begann: „Soldat... meine Anweisungen an Euch waren hoffentlich klar: Überwachung der mit den Dämonen aufgefundenen Frau.“
„Exakt. Solange, bis alles über sie in Erfahrung gebracht wurde.“
„Und... habt Ihr alles über sie in Erfahrung gebracht?“
Er nickte: „Gewiss.“
Mit einer Handbewegung deutete der Ranghöhere an, dass er weitersprechen soll. Lyze verschwieg, dass Sari jegliche Erinnerungen verloren hatte, da er befürchtete, dass dem Kommandeur die hervorragende Idee kommen könnte, sie so lange fest zu halten, bis ihre Erinnerungen wiedergekehrt waren.
„Die Frau namens Sari war unterwegs zum Dorf Sincila [Sin-zi-la]. Als sie den Wald durchquerte, wurde sie von den besagten drei Dämonen überrascht.“
„Ganz alleine...?“
„Ihr Partner wurde bei dem Überfall getötet. Aufgrund des Schocks konnte sie sich Anfangs nicht erinnern.“
„Die wichtigste Frage lautet: wieso haben die Dämonen sie nicht getötet?“
„Richtig.“, er klopfte auf die Tasche, in der sich die Puppe seiner Schwester befand: „Erinnert Ihr Euch an den Angriff auf das Dorf Anarcan [An-arkan]? Die Dämonen haben ihre Suche nach dem Kind der Weisheit ausgedehnt. Nachdem sie nicht fündig wurden, begannen sie, Jugendliche auszuforschen.“
„Jugendliche...?“, Kommandeur Viturin blickte den Weg zurück.
Oh je. Wie alt war Sari eigentlich? Sie konnte siebzehn, genauso wie einundzwanzig sein. Lyze konnte nur hoffen, dass sein Vorgesetzter mit dieser Antwort zufrieden war.
Er hatte die Augenbrauen zusammengezogen, sodass der Halbengel bereits das Schlimmste befürchtete. Als er dann jedoch zufrieden nickte, atmete Lyze unbemerkt aus.
„Ausgezeichnete Arbeit.“, so Viturin, „Bitte überbringt ihr mein herzliches Beileid und alles Gute für die Weiterreise.“
Der Halbengel entspannte sichtbar erleichtert seine Muskeln. Ehe er sich umdrehen konnte, hielt ihm der Kommandeur ein beschriebenes Blatt Papier unter die Nase: „Vergesst nicht den Antrag zur Entlassung von in Gewahrsam genommenen Personen auszufüllen.“
Mit einem leisen Seufzen nahm Lyze das Blatt entgegen.
„Oh – und der Durchschlag geht an mich.“
Am Hauptweg, besser gesagt daneben, stampfte Sari durch das weiße Gras. Ihr wurde rasch Langweilig – und da sich bei jedem Schritt feiner, wolkenähnlicher Dunst vom Boden löste, beschäftigte sie sich eben mit diesem. Dass ein alter Engel mit langem, grauen Bart den Hauptweg entlang schritt, hatte sie dabei nicht gesehen. Einmal mit dem Bein ausgeholt – und schon hatte eine Dunstwolke den alten Mann getroffen.
Nicht, dass der Dunst Flecken machte. Oder wie eine Wasserpfütze nasse Kleidung verursachte.
Der Mann hatte einfach nur das Bedürfnis, sich über Sari zu beschweren: „Kannst du nicht aufpassen, Kind!? Du siehst doch, dass jemand vorbeigeht!“
„Oh- äh, entschuldigen Sie-“
„Eine Frechheit ist das! Immer diese Halbengel mit ihrem rebellischem Benehmen! Zu meiner Zeit gab es weder Halbengel, noch rüpelhafte Kinder! Was aus dem System und der Regierung geworden ist, ist einfach unerhört!“
Dies hätte noch Stunden so weitergehen können – der alte Mann mit seinen leicht hängenden Flügeln machte nicht den geringsten Eindruck, gleich weiterzugehen. Doch zum Glück kam Lyze zurück gelaufen.
„Lyze! Oh bei Desteral, schön dich wieder zu sehen!“
Er holte Luft, doch schwieg er zunächst, als ihm der graubärtige Greis ins Auge sprang: „Eh- was ist denn hier los?“
„Halbengel über Halbengel!“, der Mann schwang die Arme, „Wie ich sage! Die Herrschaft der Engel ist so gut wie vorbei!“
Ein wenig überrascht und doch stolz, deutete Sari auf sich: „Der Mann hält mich für einen Halbengel.“
„Ich seh's.“, er schob Sari mit einer Hand am Rücken weiter, ehe er sich vor dem alten Mann höflich verbeugte: „Entschuldigen Sie ihr Benehmen. Es wird nicht wieder vorkommen.“
„Und ob es wieder vorkommt!“, der Mann beschwerte sich tatsächlich weiter, „Es wird immer und immer so weitergehen, bis es keine Engel mehr gibt!“, Lyze und Sari hielten schon gar nicht mehr an, „Oh, lauft ruhig davon! Ich werde Beschwerde bei Herrscherin Alaphantasa einreichen, auch wenn die Regierung einem sowieso nicht mehr hilft!“
Lyzes Seufzer war kaum zu überhören: „Da lasse ich dich einen Moment alleine und schon bekommst du Ärger.“, er sah während des Gehens zu ihr, „Hast du öfters solches Unglück?“
Sie hob bei seinem Blick die Schultern an, „Keine Ahnung... schon möglich?“
„Das würde deine Entführung durch Dämonen erklären.“
„Eigentlich nicht-“
„Unglück in ungünstigen Momenten. Vielleicht ist es wirklich besser, dass ich dich noch bis hinunter begleiten muss.“
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