1 ...8 9 10 12 13 14 ...24 „Na was denn schon...?“ Lydia richtete sich auf, stand genauso schwerfällig auf den Beinen wie Lyze, „Eine dicke Belohnung!“, und lief erneut auf den Halbengel zu.
Wieder wich er mit einem Schritt zur Seite aus. Doch dieses Mal hatte Lydia sein Manöver durchschaut: noch ehe er sich wehren konnte, stieß sie ihm die Faust ins Brustbein – der Ring löste Funken aus, wie bei Sari. Doch hielt ihn Lydia so lange gegen Lyze, bis ein derart starker Strom durch seinen Körper floss, dass er in die Ohnmacht gezwungen wurde.
Der Kampf war zu Ende.
Sari nahm noch wahr, wie die Dämonin von Lyze abließ und zu ihr ging. Sie beugte sich zur Frau hinab und grinste: „Gute Nacht, Kleine~“, ehe ihr ein weiterer Stromschlag das Bewusstsein nahm.
Die Zeiten in Desteral waren hart. Wer das Pech hatte, in einem Dorf zu leben, an dem zufällig Krieger aus Azamuth hindurch marschierten, konnte damit rechnen, sein Heim zu verlieren. Dämonen waren grob und schubsten einen Menschen schon so manches Mal zum Spaß umher.
Nur selten nahmen sie Gefangene. Wenn, dann waren diese wichtige Personen, für die reichlich Lösegeld verlangt werden konnte, oder Menschen, in denen manche Dämonen einen besonderen Nutzen als Sklaven sahen.
Speziell für diese seltenen Gefangenen hatte Azamuth eine besetzte Festung in Desteral, nahe der Grenze eingerichtet. Sie diente als Zwischenstation- und Stützpunkt, von dem aus ein Teil des Kriegsgebietes kontrolliert werden konnte.
Der hallende Klang von Schuhen mit Absätzen war auf den dunklen Gängen zu vernehmen. Nur wenige Fenster und Fackeln spendeten Licht, warfen Lydias Schatten an die kalten Mauern der Festung. Sie drückte den Griff der dritten Tür des Ganges hinab. Knarrend öffnete sich diese alte, aus Eisen und Holz gebaute Pforte und sie trat ein, in das zeitweilige Büro ihres Herren. Er saß bei Tisch, eine Feder und Tinte zur Hand. Oftmals verfasst er Briefe in seine Heimat, berichtet König Halwadar vom Fortschritt seiner Truppen.
Als Lydia von hinten ankam und ihre dünnen Hände auf seine gepanzerten Schultern legte, ließ er die Feder sinken.
„Meister...? Die Gefangenen wären nun bereit, verhört zu werden.“, sie trat einen Schritt auf ihn zu und beugte sich über seine Schulter. Dabei berührte sie beinahe seine langen, pechschwarzen Haare. „Ich habe alles getan, wie befohlen... wann erwartet mich meine versprochene Belohnung...?“
„Geduld, Lydia...“, er drehte den Kopf zur Seite, sodass seine schwarzen, gebogenen Hörner im Licht der Kerzen blitzten, „Ich habe noch einen letzten Auftrag für dich.“
„Noch einen?“, etwas empört richtete sich Lydia auf.
Reichte ihre bisherige, beinahe sauber ausgeführte Arbeit denn nicht aus?
„Der Engel, der mit der Gesuchten ankam... ich will, dass du ihn verhörst.“, ehe Lydia ins Wort fallen konnte, sprach ihr Herr weiter: „Finde so viel wie möglich über das Reich der Engel heraus. Wo es liegt... wie es beschützt wird.“
„Aber, Meister....!“, wie konnte er dies von ihr verlangen? Nach all der Arbeit, sollte sie nun ein in ihren Augen unnützes Verhör führen? Ihr Gebiet lag im Bereich suchen, infiltrieren und ausschalten, nicht in ausquetschen von Engeln.
„Das ist ein Befehl, Lydia.“, langsam erhob er sich von seinem Platz. Seine schwere, dunkle Rüstung schepperte leicht dabei. „Die Suche hat lange genug gedauert – ich will keine Fehler mehr. Kümmere dich um den Engel, während ich die Gefangene verhöre.“
Persönlich...? Demnach hatte Lydia einen wirklich wichtigen Auftrag erfüllt. Sie dachte an ihre saftige Belohnung und so schluckte sie diesen letzten Auftrag. Nach einem kurzen Seufzer verbeugte sie sich tief vor ihrem einen Kopf größerem Herren. „Ja, Meister. Wie ihr befielt.“, und ging ab, ihrer Mission nach.
Stickige, feuchte Luft umgab die gefangene Menschenfrau. Irgendwo in einer der Ecken des kleinen Raumes konnte sie stetig Wassertropfen fallen hören. Demnach musste es draußen regnen.
Wie spät war es? Wie lange hatte Lydia sie ausgeschaltet? Sari wusste es nicht.
Sie zog die Augenbrauen zusammen und hob langsam ihren Kopf – zum Glück, sie konnte sich wieder bewegen. Dass sie gefesselt auf einem Holzstuhl saß, wurde ihr nun klar. Sie bewegte die Handgelenke, die an der Rückseite des Stuhles festgebunden waren und spürte, dass sich der feste Knoten so gut wie gar nicht verschieben ließ. Wenigstens ihre Beine waren frei. Doch war sie so schwach, dass sie nicht zusammen mit dem Stuhl hätte aufstehen können. Wohin sollte sie denn auch flüchten? Die Eisentüre, nur fünf Schritte von ihr entfernt, schien schwer und mit Sicherheit verschlossen.
„Lyze...?“, schlaftrunken begann Sari, im Raum umher zu sehen: sie war alleine. Außer ihr, und einem verstaubten Holztisch mit verschiedensten Werkzeugen in der vorderen rechten Ecke, gab es nichts in diesem kalten, aus groben Stein gebauten Raum.
Da ging die Eisentür auf: ein kleiner Mann mit Fackel trat ein. Das Licht war für Sari im ersten Augenblick unangenehm, sodass sie ihre braunen Augen zusammenkniff.
„Ah, sind wir endlich wach?“, der Mann grinste und hing – auf Zehenspitzen – die Fackel in seine Halterung neben der Tür: „Gleich kann es losgehen. Muss nur ein paar Vorbereitungen machen.“
Sari plusterte mit strengem Blick ihre Backen auf: der kleine Mann, welcher ihr bestimmt nur bis zur Hüfte reichte, hatte weder Waffen, noch trug er ordentliche Kleidung. Sie konnte sogar eine Brustwarze seiner grünen Haut sehen. Wenn sie nicht an den Stuhl gefesselt wäre, würde sie ihn aus dem kleinen, vergitterten Fenster werfen können.
„Bist du hier, um mich zu verhören? Wie bist du denn an diesen Posten gekommen?“
„Oh, nein nein.“, der Mann sortierte das Werkzeug am Tisch, „Mein Herr persönlich wird dich verhören.“
„Dein Herr persönlich, huh?“
„Ja, das ist schon was wert.“, er lachte, „Du musst sauber etwas angestellt haben!“
„Ehh... ja... wahrscheinlich.“, sie hielt kurz inne, klopfte mit den Füßen gegen die Stuhlbeine. „Hast du eine Ahnung, wo der Zweite hingebracht wurde?“
Fragend sah der kleine Mann von seiner Arbeit auf: „Welcher Zweite?“
„Ein Halbengel, Lyze.“, ihre Augen weiteten sich, „Ist er etwa nicht mit mir hierher gebracht worden!?“ Oh nein – Lydia wird ihn doch nicht vor Ort....!
„Was sollen denn die ganzen Fragen?! Sei still, Kleine – du sitzt hier am Verhörstuhl!“
„Das ist kein Verhörstuhl.“, Sari plusterte wieder ihre Backen auf; der Gedanke daran, Lyze könnte nicht mehr am Leben sein, machte sie zornig: „Und nenn' mich nicht klein, du Zwerg!“
Das war ein imaginärer Schlag gegen seine Komplexe.
„Wie war das!?“, er stampfte auf Sari zu und blieb vor ihr stehen, „Sag' das noch einmal und ich reiße dir ein Ohr ab!“
Da holte Sari mit dem Bein aus – und das war ein echter Schlag gegen seine Weichteile. Der kleine Mann ging in die Knie, fing sich aber relativ rasch wieder. Er atmete schwer und ging breitbeinig zu den Werkzeugen, unter denen er ein scharfes Messer mit mehreren Einkerbungen hervorholte. „So-“, keuchte er, „Jetzt bist du fällig!“, als plötzlich die Eisentür ein zweites Mal aufging.
Ein im Verhältnis ihm riesiger Mann, mit dunkler Rüstung, langem Umhang und schwarzen Hörnern auf dem Haupt trat hinter ihn. Der kleine Mann zuckte bei dem Gefühl des Unbehagens zusammen: er ließ das Messer fallen und fiel, noch kleiner als er sowieso schon war, vor dem Mann auf die Knie: „Herr...! Ihr seid aber schnell gewesen!“
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