„Sari- was tust du!?“
Sie zog an den Armen der bewusstlosen Dämonin: „Wir können sie nicht im Regen liegen lassen! Sie wird sich erkälten und sterben – oder ertrinken...“
Seufzend sah ihr der Halbengel zu, wie sie sich abmühte. Doch als er den Weg zurück blickte, wurde ihm etwas klar: Lydia konnte hier wirklich nicht bleiben. Suchtrupps würden direkt über sie stolpern und somit wieder auf die Fährte der Gejagten kommen.
An einen Baum gelehnt, sprach er: „Tracy... bitte hilf ihr.“
„Sie liegt zu auffällig, nicht wahr?“, sogleich trat die Animo zur Dämonin. Sie packte sie an den Schenkeln und hob sie mit Sari hoch. Gemeinsam platzierten sie Lydia hinter Sträuchern, unterhalb eines Baumes. „Hier gut?“
Sari sah sich um, „Ja, denke schon.“, und wurde sarkastisch: „Hier kann nur ein Blitz einschlagen und sie in Brand stecken.“
„Hahah- da muss sie schon sehr viel Pech haben.“, die Animo schmunzelte. Ihr Blick richtete sich zu ihrem Freund, der allmählich ungeduldig am Baum lehnte. „Komm, Lyze wartet auf uns.“
In luftiger Höhe lief ein aufgebrachter Engel über das weiße Gras seiner Heimat. Feiner Dunst wurde dabei aufgewirbelt, doch schenkte er diesem keine Beachtung.
Völlig außer Atem erreichte er die höchste Stufe des Palastes und trat ein, in das links daneben gelegene Gebäude der Kommandozentrale. Er stieß die goldverzierte Tür auf und rief gleich im ersten Raum nach seinem Vorgesetzten.
„Kommandeur Viturin! Kommandeur, er ist wieder erfassbar!“
Aus einem Hinterzimmer trat der erst kürzlich zum zweiten Rang erhobene Engel hervor. Arme hinter dem Rücken verschränkt, schien er fast auf seinen Untergebenen herab zu blicken: „Wie war das?“
„Sir, Lichtsoldat Nosheiru ist wieder zu sehen. Der Sender ist etwa drei Kilometer vom Dorf Sincila entfernt aktiv geworden. Das Signal ist ab und an schwach, sodass wir davon ausgehen, dass er sich in einem Wald aufhält.“
„Hervorragend.“, der Kommandeur nickte, mit einem nur schwachem Lächeln.
„Kommandeur, sollen wir nun Truppen aussenden?“
„Nicht nötig. Noch nicht...“, er trat zu einem Pult und machte eine Notiz. „Verfolgt das Signal. Ich will eine tägliche Aktualisierung, wo er sich aufhält.“
„Ja, Sir!“, nun salutierte der Untergebene. Er trat aus dem Raum, immer noch von seinem weiten Weg in die Kommandozentrale außer Atem.
Der gesuchte Lichtsoldat war mit dem nur grob geklärten Fall der Menschenfrau spurlos auf dem Boden Desterals verschwunden. Das letzte Signal des Senders, welcher in der geliebten Puppe seiner kleinen Schwester versteckt war, erlosch nur kurz nach dem Verlassen des ihm vorgegeben Pfades. Der Verdacht war groß, dass er von Dämonen gefasst wurde. Nun, wo das Signal wieder aktiv war, konnte Viturin annehmen, dass ihm die Flucht gelang – und das hoffentlich nicht alleine.
Denn durch den Lichtsoldaten, so hoffte er, konnte er das große Rätsel der Menschenfrau lösen, die im eindeutigen Zusammenhang mit den Dämonen stand.
...Und schließlich durch seine Taten einen weiteren Schritt näher an die Seite seiner Majestät Alaphantasa rücken.
3. Handelsstadt Comerence
Die Gesuchten hatten es geschafft: die furchterregende, dämonische Festung lag hinter ihnen. Nun waren sie erschöpft. Ein Lager musste her, am Besten eines, dass nicht leicht zu finden war.
Wegen dem nassen Unterholz des Waldes war es schwer, ein Feuer zu entfachen. Noch dazu würde sie der Rauch schnell verraten. So gingen die zwei Frauen, den Halbengel stützend und selbst schon müde auf ihren Beinen, zwischen all dem dichten Gestrüpp voran. Die Flucht war eine Herausforderung gewesen, doch dieser Marsch war ein regelrechter Kampf.
Sari seufzte tief und wäre durch ihre Unachtsamkeit fast gestolpert. So hielten ihre Freunde kurzzeitig an, um sicher zu gehen, dass sich nicht noch eine Person verletzt hatte.
„Mir geht es gut – mein Fuß ist nur umgeknickt. Ehrlich, lasst uns weitergehen.“
„Nein- wartet.“, auf Lyzes Worte hin hielten die Frauen abermals an. Er musterte Augenbrauen zusammengezogen die Gegend.
Bilder erschienen ihm vor dem geistigen Auge. Bilder aus einer längst vergangenen Zeit.
Der dunkle, nasse Ort schien lichtdurchflutet und von warmer Spätsommerluft erfüllt. Blühende Ranken hingen von Bäumen, wiesen den Weg zu einer aus festen Gestein bestehenden Klippe.
„Was ist denn los?“, sein Schweigen verunsicherte Sari. Sie dachte bereits, die Dämonen hätten sie unerwartet eingeholt.
„Ich... kenne diesen Ort.“
„Was, wirklich?! Bist du dir sicher?“
In seiner Vorstellung lief ein Kind vorbei. Es interagierte mit der lichtdurchfluteten Umgebung und steuerte auf die von Ranken verwachsenen Klippen zu. Lyze humpelte, trotz seiner Verletzung, durch das nasse Gestrüpp, dem blonden Jungen nach. Natürlich sahen das die Frauen nicht gerne – sie folgten dem Halbengel dennoch durch das Unterholz.
Als der Junge, gebückt hinter Ranken, innerhalb des Gesteins verschwand, blieb Lyze stehen. Noch ein letztes Mal blickte das Kind heraus und vergewisserte sich, dass ihm keine wilde Kreatur gefolgt war... sein vertrautes Gesicht war gezeichnet von Schmutz und Kratzern.
Lyze schloss die Augen und griff nach seiner Nasenwurzel. Die Gegend war wieder finster, das Gestein nass und die Ranken kahle Äste.
Verwundert legte ihm Tracy eine Hand auf die Schulter: „Lyze....! Was ist denn los...?“
„Ja, du kannst doch nicht einfach weglaufen. Wir hätten tot sein können!“
Mit einer Hand strich Lyze die Ranken beiseite, sodass ein Spalt innerhalb der steinigen Wand sichtbar wurde: „Hier können wir uns verstecken... und morgen direkt durch eine Höhle den Berg durchqueren.“
Staunend sahen die Frauen zum Spalt der breiten Klippen hinab. Sari wünschte sich in diesem Moment, sie wäre Lyze und könnte die Höhle mit gleichen Erinnerungen betrachten. Doch ein Blick in sein Gesicht genügte, dass ihr Lächeln verging; man konnte durch seine blauen Augen blicken, bis in sein gebrochenes Herz hinein. Vielleicht war es besser, nicht zu sehen, was er sah.
Über dem Wald, nicht weit entfernt, begann der erste Blitz eines vorbeiziehenden Gewitters zu zucken. Er umspielte den Regenguss, als sei dieser erst der Auftakt zum großen Finale gewesen. Nun hatten es die Dämonen schwer, die Gefangenen zu suchen. Nicht zuletzt waren nur wenige losgezogen, da viele im festen Glauben waren, Lydia würde sie finden.
Sie würde mit ihnen zurückkehren, so wie immer, und all den Lob von Ritter Tarrence einstreichen. Dass sie in diesem Moment schon gar nicht mehr auf der Jagd war, wusste niemand.
Gleichzeitig begann der eigentliche Höhepunkt des Unwetters keine Sekunde zu früh. Die ausgebrochenen Gefangenen betraten gerade geduckt das Innere der Höhle, da schlug nicht weit entfernt ein Blitz in den Felsen ein. Er sprengte ein paar kleinere Brocken aus dem Gestein, die nun an der Klippe entlang niederprasselten.
Bei dem einschlagenden Blitz zuckte Sari hoch. Nicht sehr weit – gerade einmal fünf Zentimeter. Doch dies reichte aus, dass sie mit dem Kopf gegen die harte Deckenhöhle stieß. Sie fiel dramatisch auf ihre Knie zurück und rieb sich die Beule. Dabei unterstrich sie ihr Missgeschick mit einem gekonnten Ausruf: „Auaaa, aua, au!“
„Du musst vorsichtig sein, Sari.“, Tracy zog ihre Lippen zusammen, „Durch die Dunkelheit sieht man die niedrige Decke nicht.“
„Was du nicht sagst!?“
„Psst!“ Nun fuhr sich die Animo mit dem Finger an den Mund. Sie deutete zu Lyze, der erschöpft in einer hinteren Ecke gegen die kalte Wand gelehnt war.
Saris braune Augen blinzelten zu ihm. „Oh.“, sie hob die Hand von der Beule und flüsterte Tracy zu: „Schläft er denn?“
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