„Ins Bordell? Ich dachte, so was ist in unser grünen Superdemokratie verboten?“
„Na, Sie sind mir vielleicht ein blauäugiger kleiner Nigger“, sagte Rita und klinkte den Stecker wieder an Dupins Zentraleinheit ein. „Nichts, was menschliche Bedürfnisse deckt, kann jemals mit Erfolg verboten werden.“
„Hm … aus der Perspektive hab ich’s noch nie betrachtet.“
Dupin stieß einen verächtlichen Schnaufer aus, machte eine abrupte Bewegung auf dem Drehstuhl und begann vorgebeugt einen Code in die Tastatur einzugeben. Anscheinend hatte er ihn auswendig gelernt, denn er machte keinen einzigen Fehler dabei.
Auf dem Bildschirm erschienen graphisch aufbereitet jene Basenfolgen seiner DNS, die den Zugangscode von EPOS-X und den Schlüssel zu den Daten des gesamten Codierungssystems darstellten. Im Grunde war es nicht viel mehr als eine dreizehnstellige Zahl, sah man einmal von den abzweigenden Zuordnungsbestimmungen ab.
Als er fertig war, wandte er sich nach Rita um und sah sie an wie ein Hund, der einen Stock apportiert hatte.
„Na, was sagen Sie jetzt?“
„Sieht eigentlich auch nicht anders aus als die Codierungssysteme früher“, sagte Rita, während sie die Daten musterte.
„Der Unterschied liegt im Zugang. Nicht mal der stärkste gegenwärtige Hochleistungscomputer könnte ihn knacken.“
„Und woran liegt das?“
„Ich denke, Sie haben das System mitentwickelt?“, fragte Dupin.
„Nein, habe ich das wirklich behauptet?“, fragte Rita lachend.
Mach jetzt keinen dummen kleinen Fehler, Rita! dachte ich mit angehaltenem Atem hinter der Scheibe. Wer weiß, ob wir schon alle Informationen haben. Er könnte sich den Stecker aus dem Kopf ziehen und …
„Ich sagte, ich habe in der Expertenkommission zur Herstellung des neuen Datensicherungssystems mitgearbeitet. Das war nur eine beratende Funktion. Welche Sicherheitskriterien soll das neue System erfüllen, wenn es einen militärischen Zusammenschluss der beiden Supermächte gegen die Militärstrategen der Dritten Welt organisieren muss? Die eigentliche Programmierarbeit haben andere erledigt.“
„Verstehe“, nickte Dupin. „Fangen wir an?“
„Auf los geht’s los“, sagte Rita.
Ich schüttete mir zur Feier Tages ein Glas echten Rotwein aus der Flasche im Vitrinenschrank ein. Anscheinend war der Inhaber des Büros jemand, der’s sich leisten konnte. Ich dachte an die 100.000 Euro und an den Bauernhof meines Bruders auf Guernsey. Und natürlich dachte ich auch an meine widerspenstige schöne Rita und wie ich sie doch noch dazu bewegen konnte, mit mir ein gemütliches Nest auf der Insel zu bauen.
Aber zwischen Kunstwein und echtem Rothschild Mouton Cadet ist heutzutage kein erkennbarer Unterschied mehr. Oder anders gesagt: Der Unterschied ist nur noch psychologischer Natur. Und vielleicht war das ja schon das der eigentliche Anfang eine Reiher von unglaublichen Pleiten und Fehlschlägen … und nicht, was sich da gerade drüben im Raum abspielte!
„Wo, verdammt noch mal, sind Ihre Daten, Dupin“, fragte Rita zurückgelehnt in ihrem Sessel.
Dupin starrte kaum weniger überrascht auf den Bildschirm als sie.
„Sie wollen mich schon wieder verarschen, Dupin – ist es das?“
„Nein, wirklich … ich bin selber platt… ich verstehe das alles nicht …?“
„Sie haben ganz offensichtlich keinerlei Daten über Epos-X gespeichert.“
„Vielleicht ist das ja der Programmierungsfehler?“, fragte er unschlüssig.
„Hm, nein …“
„Nein, wieso nicht? Was macht Sie da so sicher?“
„Es ist nicht der Fehler.“
„Dann verstehe ich die Welt nicht mehr“, sagte Dupin ratlos. Er fummelte an dem Stecker in seinem Kopf und drehte ihn ein wenig hin und her, als sei es vielleicht nur ein mechanischer Übertragungsfehler. Irgend etwas in seiner Haltung verriet mir, dass er die Wahrheit sagte.
„Sie sind in Brüssel programmiert worden, aber Sie haben keine Daten“, stellte Rita fest. „Was bedeutet das?“ Sie blickte fragend zur Scheibe.
Dann sprang sie ruckartig auf und gab mir ein Zeichen.
„Verschwinden wir hier … kommen Sie Dupin! Wir sind in Gefahr.“
„In Gefahr? Wieso?“
„Man uns hereingelegt. Kommen Sie mit uns, wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist …“
Dupin war ebenfalls aufgestanden. „Was hat mein Leben damit zu tun, dass wir keine Daten bei mir finden?“, fragte er vorgebeugt.
„Sie waren nur ein Köder, Dupin. Und die Demokratie-Polizei wird Sie für Ihren Verrat bestrafen. Wie lautet Ihrer Order? Niemand ist berechtigt, sich Zugang zu Ihren Daten zu verschaffen, es sei denn, er besitzt den Zugangscode?“
„Aber Sie haben mir doch ein Schreiben mit der Unterschrift der Präsidentin …?“
„Kommen Sie, Dupin …!“
Wir liefen den Flur entlang und dann hinüber in den Wintergarten, von wo aus ein überdachter Weg zum Uferweg und zu den Brücken führte.
Rita hatte richtig vermutet, denn gleich darauf ertönte aus der Straße hinter dem Haus der so charakteristische hohe und mit nichts zu verwechselnde Sirrton, der einen Einsatz der Demokratie-Polizei signalisierte.
„Einsatz“ hieß, dass niemand außer den höchsten Regierungsbeamten Vorrang hatte, nicht einmal der Notdienst der Hospitäler oder die Feuerwehr.
Ich nahm an, dass sie jetzt schon unseren Zapper-Volt unter die Lupe nahmen, und das bedeutete, dass sie über das Identifizierungssystem der Mietwagenfirma unsere falschen Personendaten gefunden hatten.
„Schalten Sie Ihre Zentraleinheit ab, Dupin“, warnte Rita, während wir in Richtung des Flusses liefen. „Damit bieten Sie eine zu gute Zielscheibe.“
Der Sender diente als Peilobjekt, mit dem ihre automatischen Waffen fast todsicher ihr Ziel erreichten. Die neue Mikrocomputer-gesteuerte Munition verfehlte zwar dank ihrer eingebauten Miniaturkameras auch nur selten ihr Objekt, aber ein Leitstrahl war nun einmal wie eine Schiene, die zum Opfer führte.
„Unsere Leute werden doch nicht auf mich schießen!“, sagte Dupin. Er war stehen geblieben und starrte sie ungläubig an.
Rita blieb ebenfalls stehen; sie legte vorgebeugt und außer Atem ihre Hände auf das Geländer des Weges, der hier unter den hohen Brücken zur Straße hinaufführte.
Dann richtete sie sich auf und drehte demonstrativ an dem Goldchip hinter ihrem Ohr.
„Es ist mir nicht erlaubt, mich vom System abzuschalten“, sagte Dupin. „und ich weiß auch überhaupt nicht, warum ich hier wie ein Idiot hinter ihnen herlaufe?“
„Um zu überleben. Ich sag’s nicht noch mal, verdammter Narr!“
„Schalten Sie das blödsinnige Dinge ab“, sagte ich zu Dupin, während ich an ihm vorbeilief. „Sonst schaltet die Demokratie-Polizei Sie ab!“
Wir liefen weiter den steil ansteigenden Weg zu den Brücken und der Durchgangsstraße hinauf, und mir blieb langsam die Luft weg.
Als ich mich umwandte, sah ich, dass Dupin uns im gemütlichen Schlenderschritt folgte.
Dann hörten wir den ersten Polizeihelikopter in der Luft. Die Dinger machen fast keine Geräusche, man erkennt sie nur noch am leichten Gurgeln ihrer Fusionsmotoren. Und vom Haus her sahen wir ein Kommando der Demokratie-Polizei in ihren albernen grün-weiß-gelben Kampfanzügen durch den Wintergarten stürmen. Diese Burschen meinen immer, wenn sie ohne Unionsflagge herumlaufen, würde man sie nicht für voll nehmen.
Es waren ihre Schnellfeuergewehre neuester Bauart, die ihnen genau das Maß an Autorität verliehen, das sie brauchten, um uns abzuschießen wie Kaninchen.
Wir beeilten uns die schützenden Brücken zu erreichen. Aber die erste Salbe aus dem Helikopter deckte uns bereits ein, bevor wir den Betonpfeiler erreicht hatten.
„Bleiben Sie stehen und gehen Sie mit erhobenen Händen ans Geländer!“ tönte ein Lautsprecher über uns.
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