Marion Selbmann - Grausame Wahrheit - Das dritte Opfer

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Hektor Stark ist ein Kommissar mit Ecken und Kanten. Seine Fälle sind speziell und erfordern immer vollen Einsatz seines gesamten Teams. Der junge Kommissar löst nicht nur die schwierigsten Fälle, er trägt auch ein schreckliches Geheimnis aus seiner Kindheit mit sich herum.

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Grausame Wahrheit

Mary Specter

Kapitel 1

Die von Bäumen gesäumte Straße strahlte eine gewisse Eleganz aus.

Ein Eigenheim reihte sich an das Andere. Die Vorgärten waren gepflegt und man spürte einen Hauch von Luxus.

Kommissar Hektor Stark parkte sein in die Jahre gekommenes Auto, gegenüber des Hauses mit der Nummer Vierundachtzig.

Er drückte seinen Zeigefinger kurz auf den Knopf am schmiedeeisernen Tor.

Nach einigen Sekunden öffnete eine schlanke, sehr blasse Frau die Haustür und eilte den schmalen Weg entlang, welcher zwischen korrekt geschnittenen Büschen bis zum Eingangstor führte.

„Hallo, schön dass Sie so schnell kommen konnten. Ich bin Doris Mehner.“

Sie reichte Hektor die Hand und bat ihn ins Haus.

„Sie wohnen hier aber wirklich idyllisch“, sagte Hektor und meinte es auch so. Die Hausherrin nickte. Sie führte ihn durch einen langen Flur in das geräumige Wohnzimmer. Bot ihm Platz in einem der beigefarbenen Ledersessel an, welche um einen wuchtigen Holztisch standen.

Die Frau strich sich nachdenklich eine Strähne ihres halblangen, rotblonden Haares hinter das Ohr.

„Ich kann im Moment leider nichts von Idylle spüren.“

Ihre Stimme klang traurig. Hektor bemerkte, wie sich Tränen in ihren Augen sammelten. Sekundenlang legte sich bleierne Stille über den Raum. Hektor schaute sich in dem Wohnzimmer um. Möbel und Dekoration passten perfekt zusammen. Die Farbe der Wände, wie auch die des Fußbodens waren aufeinander abgestimmt. Auf einem breiten Fenstersims standen fünf Orchideen in voller Pracht. Hektor räusperte sich.

„Was genau ist geschehen, Frau Mehner?“

Sie blickte auf. Hektor schaute verwundert in Augen so grau wie der Ozean, wenn der Himmel bewölkt ist. Er räusperte sich erneut.

„Bitte schildern sie mir genau, was passiert ist.“

Zögerlich begann Frau Mehner zu erzählen:

„Mein Sohn Martin ist heute Morgen zur Schule gegangen. Danach sollte er wie immer, zum Geigenunterricht.“

Sie machte eine kleine Pause.

„Nur ist er da nie angekommen. Frau Lasch, die Geigenlehrerin rief mich vor zwei Stunden an. Da wusste ich sofort, dass etwas nicht stimmt.“

Hektor beugte sich etwas nach vorn. Dieses Gesicht faszinierte ihn.

„Hat ihr Sohn das schon mal gemacht? Ich meine, den Geigenunterricht geschwänzt.“

Frau Mehner schüttelte kaum merklich den Kopf.

„Martin ist mit seinen 10 Jahren bereits sehr pflichtbewusst, vielseitig begabt und ungewöhnlich intelligent.“

Sie lächelte.

„Er ist perfekt würde ich sagen, aber das denkt sicher jede Mutter über ihr Kind.“

Sie strich mit zitternden Fingern die Tränen von ihren Wangen.

„Wissen sie, wir hatten schon gar nicht mehr damit gerechnet, dass ich noch einmal schwanger werden würde. Schließlich bin ich ja nicht mehr jung.“

Sie lächelte erneut.

„Also, Max mein Großer, ist fast sechs Jahre älter als sein Bruder. Ich war fast vierzig als Martin geboren wurde.“

Hektor rechnete kurz nach. Demzufolge musste diese Frau fast fünfzig Jahre alt sein.

„Ich habe bereits sämtliche Freunde von Martin und alle unsere Verwanden und Bekannten angerufen. Niemand weiß wo mein Sohn sein könnte.“

Sie schlug die flache Hand vor ihren Mund und schluchzte heftig.

Der Kommissar spürte die Verzweiflung der Frau und auch ihn beschlich ein ungutes Gefühl.

„Es kann natürlich einen ganz harmlosen Grund für das Fernbleiben Ihres Sohnes geben, trotzdem werden wir sofort mit den Ermittlungen beginnen und eine Suchmeldung herausgeben. Schließlich ist ihr Sohn ja nach Ihren Angaben ein sehr zuverlässiges Kind, das sicher nicht aus Blödsinn seine Eltern ängstigen würde, indem es einfach mal so abhaut.“

Er versprach Frau Mehner sofort anzurufen wenn er etwas erfahren würde.

Als Hektor Stark das Haus verließ, war sein Herz schwer.

Er konnte es auch nach so vielen Jahren bei der Polizei immer noch nicht ertragen, Menschen leiden zu sehen. Besonders nahmen ihn jedoch Fälle mit vermissten Kindern mit.

Hektor Stark war ein großer, immer ein wenig verwildert aussehender Mann. Er trug einen drei Tage Bart und Jeans. Sein immer schwer zu bändigendes, braunes Haar war halblang. Hektor wusste, dass er gut aussah. Die breiten Schultern, das kräftige Kinn und vor allem die strahlend blauen Augen verfehlten die Wirkung bei Frauen fast nie.

Dass er mit fast achtunddreißig Jahren noch Junggeselle war, konnte demzufolge nur an seinem Beruf liegen, glaubte er. Hektor blickte sich um. Der Mai lockte mit Blüten in allen Farben.

Seine Gedanken schweiften wieder zu Doris Mehner. Eine wirklich gutaussehende, beeindruckende Frau. Er stieg in sein Auto und verdrängte die für ihn ungewohnten Gefühle.

Kapitel 2

Am nächsten Tag im Präsidium angekommen, ging Hektor ohne Umwege zu seinem Schreibtisch. Wie so oft vergaß er seinen Kollegen einen Guten Morgen zu wünschen.

„Man siehst du Scheiße aus.“

Sein jüngerer Partner zog die Augenbrauen hoch und rümpfte die Nase.

„Wann hast du den zum letzten Mal geduscht?“

„Kai, halt die Schnauze!“

Hektor hatte so gut wie nicht geschlafen. Er hatte stundenlang gegrübelt, ob das Verschwinden des Mehner Jungen eine Parallele zu dem vor sechs Wochen verschwundenem Mädchen ergab.

„Sag mir lieber ob ihr irgendwas Neues erfahren habt. Sei es von der Kleinen aus Adorf, oder von dem aktuell vermissten Jungen.“

„Weder, noch.“

Kai trank einen Schluck Kaffee aus einer übergroßen Tasse mit der Aufschrift “ Arme Sau “.

Er war gerade sechsundzwanzig Jahre alt. Er hatte dunkles, kurz geschnittenes Haar und sah im Gegensatz zu Hektor sehr gepflegt aus.

Er bewunderte seinen Partner, obwohl er seine Vorgehensweise nicht immer gut fand.

„Ich sage dir.....“, der Satz blieb ihm im Hals stecken, weil das Telefon klingelte. Hektor nahm den Hörer ab. Kai bemerkte wie sein Kollege blass wurde.

„Wir kommen sofort. Bitte beruhigen sie sich, Frau Mehner.“

Er legte den Hörer hart zurück.

„Komm, wir müssen los!“

Die Morgensonne schien durch das offene Fenster ins Wohnzimmer der Familie Mehner.

Doris Mehner saß kreidebleich in einem der Sessel. Hinter ihr stand ihr Mann Walter. Er hatte haargenau dieselbe Blässe wie seine Frau. Während er wie eine Statue steif, mit leerem Blick aus dem Fenster starrte, hatte seine Frau ein verweintes Gesicht und schluchzte heftig. Hektor konnte sie kaum verstehen, als sie vom Anruf sprach, welcher vor einer Stunde bei ihnen eingegangen war.

„Eine halbe Million, er will eine halbe Mil...“

Ihr Satz wurde von einem Weinkrampf unterbrochen.

„Sonst wird er unseren Sohn umbringen.“

Herr Mehner vollendete mit rauer Stimme den Satz seiner Frau.

Hektor blickte von einem zum anderen.

„ Hat er bereits irgendwelche Angaben gemacht wann, wo und wie die Übergabe stattfinden soll?“

„ Nein, er will sich noch einmal melden.“. Walter Mehner blickte zu seiner Frau.

„ Ich werde das Geld schon auftreiben, Dora.“

Hektor musterte ihn.

Doras Gatte war ein stattlicher Mann mit dunklem Haar und grauen Schläfen. Er trug einen schwarzen Anzug und ein weißes Hemd. Keinen Schlips wie Hektor feststellte. Herr Mehner bemerkte, dass der Kommissar ihn musterte. Er lächelte ein wenig.

„Ich muss leider gleich wieder weg. Meine Firma expandiert in China und wenn ich nicht fliege platzt das Geschäft.“

Er senkte den Blick und nahm entschuldigend die Hand seiner Frau.

Der Kommissar wandte sich wieder Frau Mehner zu.

„ Ist Ihnen sonst noch etwas aufgefallen. Kam Ihnen die Stimme bekannt vor? Waren da irgendwelche Geräusche im Hintergrund?“

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