Hektor wollte gerade an die Tür mit der Aufschrift, Lehrerzimmer klopfen, als die Tür von innen geöffnet wurde.
Eine junge Frau, Hektor schätzte sie auf etwa dreißig Jahre, stand, die Hände voller Bücher, vor ihm. Das halblange, blonde Haar fiel ihr in weichen Wellen auf die Schultern. Eine gute, nicht zu schlanke Figur, helle, blitzende Augen. Nicht schlecht, dachte Hektor.
Die Lehrerin nahm schmunzelnd zu Kenntnis wie der Fremde sie musterte.
„Wie kann ich Ihnen helfen?“
Sie lachte. Nun war Hektor noch mehr fasziniert. Außer in Werbespots für Zahnpasta, hatte er noch nie so weiße Zähne gesehen.
„Ach, oh, Entschuldigung. Ich suche Frau Kreisel. Ich muss mit ihr über einen ihrer Schüler sprechen.“
Die Frau aus der Werbung lachte erneut.
„Sie haben die Gesuchte bereits gefunden. Aber wer sind Sie, wenn ich fragen darf.“
Hektor streckte ihr die Hand entgegen. Mit einem entschuldigendem Blick wies sie auf den Berg Bücher in ihren Händen.
„Gehen wir doch rein“, sagte sie und ging zum Schreibtisch um ihre Last abzulegen. Dann hielt sie Hektor ihren ausgestreckten Arm hin. Hektor nahm ihre Hand.
„Kommissar Hektor Stark.“, stellte er sich vor.
Sein Händedruck war kräftig. Die Lehrerin zog ihre Augenbrauen hoch. Hektor ließ los und hob beide Arme.
„Bitte nicht entschuldigen. Ich liebe starke Männer.“
„Also, ich würde gern mit ihnen über Martin sprechen.“
Der Blick der Lehrerin wurde traurig.
„Martin ist, ein außergewöhnlicher Junge.“ Sie stutzte. „War ein außergewöhnlicher Junge.“
Sie blickte auf ihre Hände, die auf der Tischplatte fest zusammen gefaltet lagen.
Hektor legte beruhigend eine Hand auf Ihre.
„Es ist wirklich furchtbar was diese Familie im Moment durchmacht. Gerade deswegen brauche ich jede Hilfe die ich kriegen kann.“
Frau Kreisel nickte heftig.
„Leider kann ich nicht viel dazu sagen. Ich wüsste niemanden der Martin hätte etwas antun wollen. Aber ich kann Sie in die Klasse mitnehmen. Vielleicht weiß einer seiner Mitschüler etwas?“
Als die Lehrerin den Kommissar vorstellte, hatte Hektor augenblicklich den Eindruck, das ihn alle Schüler liebten. Schließlich schrumpfte die Zeit der Mathematikstunde durch sein Erscheinen erheblich. Als Hektor nach einer guten halben Stunde das Klassenzimmer verließ, war er zwar keinen Schritt weiter, aber einigermaßen verwundert. Kein Einziger der Schüler hatte auch nur ein böses Wort über Martin verloren.
„Unheimlich“, flüsterte Hektor als er das Gebäude verließ.
Im Kommissariat herrschte eine seltsame Ruhe. Hektor kaute auf seinem Kuli herum und seine Kollegen schienen allesamt abwesend.
„Keinerlei Spuren. Wie hat der Mistkerl den Jungen ungesehen auf den Waldweg geschafft?“ Hektor runzelt die Stirn.
Kai wollte gerade etwas erwidern, als Hektor auch schon weitersprach.
„Naja, der Kleine hat ja kaum was gewogen. Aber trotzdem. Umgebracht worden ist er wo anders. Danach muss er seine Leiche bis zur Geldübergabe irgendwo versteckt haben.
Er schaute auf die Karte an der Wand, welche die Umgebung des Tierparkgeländes zeigte.
„Irgendeine Spur muss es geben. Es müssten doch Reifenspuren oder Schleifspuren zu finden sein. Ich bin sicher, dass wir etwas übersehen haben.“
Plötzlich flog die Tür auf.
„Habt ihr nichts zu tun?“
Wie ein wild gewordener Mustang stürmte Normen, der Big Boss, wie er genannt wurde, durch den Raum. Schnaubend blieb er vor Hektor stehen. Sein breites glatt rasiertes Gesicht war zornesrot.
„Ich erwarte in zwei Minuten einen vollständigen Bericht.“
Hektor erhob sich wie in Zeitlupe von seinem Stuhl und folgte ihm ins Büro.
„Wir haben inzwischen, außer mit dem Onkel, mit allen die Martin kannten gesprochen.“
„Und?! Polterte der Chef.
„Nichts, dieses Kind hatte absolut keine Feinde. Nicht einen.“
Hektor setzte sich auf die Tischkante des Schreibtisches seines Chefs.
„ Es gab keinen Hinweis, der uns weiterhelfen könnte.“
Einige Sekunden war es so still, das man eine Stecknadel hätte fallen hören. Dann räuspert sich Normen.
„Macht weiter. Verhört als nächstes den Onkel. Vielleicht kommt dabei ja was raus.“
Das Wetter machte an jenem Freitag im Mai der Bezeichnung Wonnemonat jede Ehre. Die Sonne schien bereits um neun Uhr warm und golden vom wolkenlosen Himmel. Hektor und Kai waren auf den Weg zu den Mehners. Dort waren Sie mit Martins Onkel verabredet. Als sie ankamen bat Dora die Kommissare ins Haus.
„Tut mir Leid. Mein Bruder ist noch nicht da. Er ist sehr unzuverlässig und Pünktlichkeit ist nicht gerade seine Stärke.“
Dora kochte den Männern Kaffee. Er schmeckte außergewöhnlich gut und die Beiden genossen die kleine Pause.
Es klingelte. Dora kam mit einem Mann mittleren Alters ins Zimmer, welcher ihr kein bisschen ähnelte.
„Mein Bruder Kurt“, stellte sie ihn vor.
Kurt begrüßte die Kommissare mit einem herzlichen Handschlag. Dann ließ er sich in einen der Sessel plumpsen und bat seine Schwester ihm doch auch einen Kaffee zu bringen.
„Wissen Sie“... , begann er beinahe im Flüsterton und beugte sich dabei nach vorn,
„… mein Schwesterchen ist immer so überkorrekt. Martin war genau wie sie. Immer pünktlich, immer wollte er der Beste sein.“
„Sozusagen das Gegenteil von ihnen,“ konnte sich Kai nicht verkneifen zu sagen.
Sein Gegenüber lächelte überlegen.
„Es hat durchaus Vorteile, alles etwas entspannter anzugehen.“
Hektor räusperte sich.
„Sie scheinen nicht besonders um ihren Neffen zu trauern.“
Das Gesicht seines Gegenübers wurde ernst.
„Doch, ich vermisse den Jungen wirklich. Er war ein so liebes Kind, zu Jedermann freundlich und er lachte als Einziger über meine Witze.“
Er schüttelte den Kopf. Plötzlich wurden seine Augen groß.
„Es kann niemand gewesen sein der ihn kannte. Das ist schlicht unmöglich.“, er hob beschwörend die Hände.
„Aber vor einem halben Jahr etwa, ist nicht weit von hier, unten am Bach, ein entlassener Kinderschänder hingezogen. Das hat sich schnell herumgesprochen.“
Er hob den rechten Zeigefinger.
„ Ich habe alle gewarnt und gesagt, wir müssen etwas unternehmen, damit der wieder abhaut. Aber niemand hat auf mich gehört.“
Er beugte sich noch weiter nach vorn.
„Als dann die Kleine verschwand, habe ich mir so meine Gedanken gemacht.“
Er lehnte sich zurück.
„Und nun Martin.“
Hektor atmete hörbar.
„Uns wurde berichtet, dass sie ihren Neffen als Streber und Muttersöhnchen bezeichneten.“
Kurt Weis drehte sich um als ob er schauen wollte ob seine Schwester in der Nähe sei.
„Ehrlich Herr Kommissar, welcher Junge schlägt nicht mal über die Stränge, macht Unfug oder gehorcht nicht.“
Er verdrehte die Augen.
„Martin war so anders. So ausgeglichen. Ich kann mich nicht erinnern, dass er auch nur einmal Blödsinn gemacht hätte, irgendeinen Mist, freche Antworten oder so.“
Dora betrat das Wohnzimmer und brachte den gewünschten Kaffee.
„Danke Schwesterchen. Ja also, ein hervorragender Schüler, begabt in vielerlei Hinsicht. Mehr kann ich dazu nicht sagen.“
Doras Bruder gab mit einer Geste zu verstehen, dass dieses Gespräch für ihn beendet war. Er trank genüsslich den Kaffee aus und hielt dann seiner Schwester wortlos die Tasse hin, so als sei es selbstverständlich dass sie ihm noch eine bringe. Hektor klopfte sich auf die Knie bevor er sich aus dem Sessel erhob.
„Gut, Herr Weiß. Das war es vorerst. Könnte sein, das wir noch mal auf sie zurückkommen müssen.“
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