Die neuen Modelle konnten sogar ein dreidimensionales, holografisches Bild im Raum erzeugen, und das war, als stehe man mitten in den Trümmern eines abgestürzten Lufttaxis oder vor dem Totenbett eines Soldaten der Europäischen Union, der im Kampf gegen die Terroristen der Dritten Welt gefallen war.
Dupin war eingebürgerter Nigerianer, ehemaliger Sekretär im Unterausschuss des Außenministeriums, Experte für Datenverschlüsselung. Leicht jähzornig, misstrauisch, traut dem eigenen System nicht mehr über den Weg , hieß es in der geheimen Zusatzinformation der Demokratie-Polizei, die Rita in diesem Augenblick grinsend mit einem Zusatzcode auf den Bildschirm zauberte.
„Er schwankt, ob er seine Informationen zu Geld zu machen oder sie lieber zur Demaskierung des Systems verwenden soll“, sagte sie.
„Im Ernst? Wo steht das? Ich sehe nichts davon auf dem Bildschirm …?“
„Ist nur meine ganz persönliche Interpretation.“
„Deine Interpretation, aha. Oder die Interpretation deiner Auftraggeber?“
„Kein Kommentar, Frank.“
„Findest du wirklich, ihr müsst mich so knapp mit Informationen halten?“, fragte ich. „Das könnte im Ernstfall riskant werden.“
„Reden wir später darüber“, seufzte sie. „Meine Auftraggeber haben momentan noch wenig Grund, dir zu vertrauen, oder?“
In diesem Augenblick meldete sich der Lautsprecher des Zolls über der Tür:
„Gerald Dupin auf dem Weg zum Verhör …“
„Hereinbringen“, sagte sie in Richtung des Apparats.
„Alle Achtung, wie habt ihr das denn hingekriegt?“, fragte ich. „Hat Dupin nicht seine Regierungspapiere, um die üblichen Kontrollen zu umgehen?“
„Frag mich das, wenn ich etwas weniger nervös bin“, Frank.“ Sie breitete eilig ein paar Paare aus ihrer Umhängetasche auf dem Tisch aus. „Es muss echt aussehen, das ist das Wichtigste …“
Der Rest der Vorstellung gehörte nach unserer Abmachung mir. Rita Baré kümmerte sich um den technischen Ablauf, sie war die Datenexpertin. Sie war es schließlich, die zwei Diplome in Informatik besaß, beide mit Auszeichnung. Ich hatte Dupin soweit einzuwickeln, dass er sich einer unvorhergesehenen Untersuchung wegen eines angeblichen Datendefekts unterzog.
Das war kein leichtes Stück Arbeit. Freiwillig würde er die in seinem Nervensystem eingespeicherten Daten nicht herausrücken wollen. Und mit Gewalt gab es kaum einen Weg, es in weniger als acht bis vierzehn Tagen zu schaffen – falls überhaupt. Wir konnten Dupins Nervensystem mit dem modernsten verfügbaren Hochleistungscomputer analysieren, aber die Stelle in seiner DNS, die den Codeschlüssel zum neuen Datenübermittlungssystem „EPOS-X“ enthielt, war mit genau diesem Schlüssel abgeschirmt.
Für Dupin bedeuteten die Kontrollen an den Flughäfen kaum eine Gefahr, obwohl er vorsichtshalber einen weiten Bogen um sie machte.
„Sehen Sie, was das ist, Dupin?“, fragte ich. „Ein Befehl der Regierung, Sie zur Überprüfung in ein nahegelegenes Labor zu bringen.“
„Unsinn – ich bekomme meine Order nur von Raoul Weber persönlich.“
„Ihre verehrte Präsidentin hat heute morgen bei einer Pressekonferenz zur angestrebten Allianz zwischen den beiden Machtblöcken Europa und Amerika einen Schlaganfall erlitten. Sie ist auf dem Wege der Besserung, aber sie kann noch nicht reden. Ihre Amtsgeschäfte werden von der Außenministerin Annette Drob wahrgenommen.“
Ich gab Rita ein Zeichen, die fingierte Nachrichtensendung über den Unfall der Präsidentin auf den Bildschirm zu holen. Dupin sah sich schweigend die dreist gefälschte Reportage an – die Schultern leicht nach vorn gebeugt und ab und zu hüstelnd. Seine Rechte Hand steckte in der Jackentasche des dunkelgrauen Nadelstreifen-Sakkos – vielleicht, weil sich darin ein Speicherchip befand, um unser Gespräch mitzuschneiden. Seinem skeptischen Gesicht war anzusehen, dass er uns nicht traute.
„Möchten Sie mit der Außenministerin persönlich darüber reden?“, fragte ich und zeigte zum Telefon.
Ich wusste, dass es Annette Drob gewesen war, die ihn seinen lukrativen Job als Staatssekretär im Unterausschuss des Außenministeriums gekostet hatte. Er mochte sie ungefähr so gern, wie Säuglinge Spinat essen.
„Annette Drob wurde nicht in meine Mission eingeweiht“, sagte Dupin. Er warf uns einen stirnrunzelnden Blick zu und fummelte nervös mit seinen dicken Fingern am Goldchip seiner Zentraleinheit. „Aber wieso wissen Sie eigentlich davon?“
„Wissen – wovon?“, fragte ich.
„Von meiner Mission.“
„Ehrlich gesagt weiß ich so gut wie gar nicht darüber. Ich habe lediglich den Auftrag, Sie in ein Regierungslabor zu bringen. Mein Kollegin Rita Wang wird sich dort um Sie kümmern. Was ist das für eine Mission?“, erkundigte ich mich vorgebeugt.
„Eine geheime Mission, verdammt noch mal …“
„Oh, bitte verzeihen Sie. Darüber war ich nicht informiert. Rita – übernehmen Sie das?“ Ich zeigte auf den Überführungsbefehl.
„Die Überführung ins Labor ist Ihr Job“, wehrte Rita mit gespielter Entrüstung ab. „Ich werde mir keine Flöhe in den Pelz setzen und meine Befugnisse überschreiten. Ich bin nur für den technischen Ablauf zuständig. Sie passen auf, dass unserem schwarzen Chorknaben da drüben von keinen weißen Knabenhänden belästigt wird.“
Also bitte, ich weiß nicht recht …“, sagte ich und zog eine uralte Lesebrille mit kreisrunden Gläsern aus der Hemdtasche, als seien meine Augen noch nicht durch Laserkorrektur auf Höchstleistung getrimmt. Ich begann umständlich den kleingedruckten Text auf dem Blatt zu studieren.
„Werden Sie sich denn beide heute noch einig?“, fragte Dupin unwillig. „Meine Maschine nach UA geht um dreizehn Uhr.“
„Dieser Flug wurde annulliert. Ich hob das Blatt und schlug mit dem Handrücken darauf. „Sie fliegen ein oder zwei Maschinen später. Hängt ganz davon ab, welchen Datenschrott Rita Ihnen abzapft.“ Ich grinste, als sei das ein gelungener Scherz.
„Sehr komisch“, sagte Dupin. „Wenn überhaupt irgend jemand an meine Daten gelangt, dann sind es die persönlichen Mitarbeiter der Präsidentin. Ich bin nicht befugt, jemandem Zutritt zu meinen Informationen zu verschaffen. Es handelt sich um die höchste Geheimhaltungsstufe.“
„Steht alles hier in Ihrem verdammten Einweisungsbescheid“, bestätigte ich. „Wenn Sie nicht mit uns kooperieren, bin ich befugt, Sie mit Gewalt in ein Regierungslabor zu überführen.“
„Das ist nicht Ihr Ernst?“
„Es ist sogar meine verdammte Pflicht.“
Dupins Blick wanderte unsicher durch den Raum und über die billigen Kunststoffmöbel und den abgeschalteten Bildschirm, um irgendein Indiz dafür zu finden, dass wir ihn verarschten – aber es gab kein solches Indiz .
Rita spielte ihre Rolle, wie es sich für ein gerissenes Weibsbild ihrer Fasson gehörte. Ihre Auftraggeber konnten zufrieden mit ihr sein. Uns falls sie uns jetzt auf irgendeine Weise abhorchten, dann waren sie es auch mit mir.
Ich lehnte mich zufrieden zurück und deutete auf die Handschellen vor mir auf dem Tisch.
„Unterstehen Sie sich …“ warnte Dupin.
„Möchten Sie vorher mit der Flughafenpolizei reden?“
„Nein, wozu? Entweder stecken Sie alle unter einer Decke oder dies ist ein echter Notfall …“ sagte er unschlüssig. „Von wem wurde der Überprüfungsbefehl unterzeichnet?“
„Raoul Weber.“
„Sagten Sie nicht, die Präsidentin habe heute morgen auf der Pressekonferenz einen Schlaganfall erlitten?“
„Sie hat’s noch im Krankenwagen unterzeichnet“, sagte ich. „Sehen Sie, wie holprig ihre Unterschrift ist …?“
Er nahm das Blatt und betrachtete es.
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