Beim Käsemann mit der riesigen Auswahl an französischen Köstlichkeiten stehen immer viele Kunden an, die nicht nur gut beraten und bedient werden wollen, sondern dabei auch ein Schwätzchen und Späßchen zu schätzen wissen. Das gehört in der Provence einfach dazu. Einkaufen ist hier kein notwendiges Übel, sondern Genuss mit allen Sinnen. Clara und Jonas hatten die Qual der Wahl. Sie entschieden sich für Chèvre, einen cremigen Ziegenweichkäse, St. Marcellin, einen würzigen Rohmilchkäse, sowie Cantal, einen deftigen Hartkäse.
»Jetzt brauchen wir nur noch ein Baguette«, freute sich Jonas, »dann können wir heute Abend leben wie Gott in Frankreich.«
Sie schlenderten vorbei am Gewürzstand, sogen all die betörenden Düfte ein, hier vermischten sich provençalische mit orientalischen Duftnoten.
Ihr nächstes Ziel war der Gemüsestand, frisch und farbenfroh türmten sich die Produkte der provençalischen Gärten vor ihnen auf. Clara war begeistert vom reichlichen Angebot an reifen Früchten, Gemüse aller Art, Tomaten, reif und prall, von grün über gelb bis knallrot, ein Formen- und Sortenreichtum, den es nur hier in der Provence gibt.
Nachdem sie ihren Einkaufskorb mit Obst, Gemüse, Tomaten und Kräutern gut gefüllt hatten, zogen sie beschwingt weiter zum Lachsmann. Meist stehen vier bis sechs Leute geduldig an dem kleinen Stand am Ende des Marktes an. Hier gibt es Lachs von allerbester Qualität und Frische. Der Lachsmann, ein uriger Typ aus Marseille, immer freundlich und gut gelaunt, ist ein richtiges Showtalent. Mit witzigen Sprüchen, Geschichten aus seinem Leben und Gesangseinlagen verkürzt er den Kunden die Wartezeit. Mit einer Stunde Anstehen muss man schon rechnen. Doch das lohnt sich, vor allem wenn man im Urlaub alle Zeit der Welt hat.
Hier gibt es feinsten Räucherlachs, zart und hauchdünn geschnitten. Eine besondere Delikatesse ist das Carpaccio vom frischen Lachs. Die Scheiben sind so dünn, dass sie fast schon transparent sind. Zu Hause mit einem Spritzer Zitrone, etwas Fleur de Sel, dem handverlesenen Meersalz aus der Camargue und dem ausgezeichneten Olivenöl von Les Baux mariniert, mit frischem Baguette serviert, ist es ein Hochgenuss par excellance. Einfach, aber allerbeste Zutaten, dazu einen gut gekühlten erfrischenden Rosé, was gibt es Besseres?
Die Stammkunden wissen, dass sich hier das Anstehen lohnt. Jeder kauft große Mengen fürs Wochenende ein. Der Lachsmann holt einen ganzen Lachs nach dem anderen aus den großen mit Eiswürfeln gefüllten Behältern, zerlegt die stattlichen Fische fachgerecht und sorgfältig, keine einzige Gräte bleibt in den Tranchen zurück. Das braucht Zeit, während der die wartenden Kunden miteinander ins Gespräch kommen, Rezepte austauschen und sich die Zeit mit Small Talk vertreiben, bis sie endlich an der Reihe sind. Mit Vergnügen beobachteten Jonas und Clara das Treiben auf dem Markt und am Stand, versuchten, sich hin und wieder ins Gespräch einzumischen, was allerdings schwierig war, weil der provençalische Dialekt schwer zu verstehen ist.
Trotzdem begegnete man den Fremden freundlich und honorierte, dass sie sich bemühten, Französisch zu sprechen. Die Leute wollten wissen, woher sie kämen und nachdem sie erzählten, dass sie aus München seien, stießen sie allseits auf positive Resonanz.
»O là là, Munich, la Fête de la Bière.«
Nachdem sie ihren Lachs im wahrsten Sinn des Wortes erstanden hatten, kauften sie noch beim Bäcker ein.
»Jetzt aber nichts wie nach Hause, damit der Lachs noch vor der Mittagshitze frisch in den Kühlschrank kommt«, drängte Jonas.
»Ja, aber ich möchte noch eine Postkarte für Tante Berta, und La Provence, die Zeitung mit den neuesten Nachrichten aus der Gegend. Und dann brauchen wir noch eine Süddeutsche, könnte ja sein, dass die Polizei inzwischen mehr über Joes Verschwinden herausgefunden hat.«
Sie parkten das Auto vor Tante Bertas Häuschen, brachten die Einkäufe zum Eingang, wo Idefix schon auf der Bank auf sie wartete. Der kleine Fuchs interessierte sich für die Tüte mit dem Lachs und folgte ihnen in die Küche.
»Treues Katerchen«, lobte ihn Clara und servierte eine Portion Katzenfutter. »Jetzt geh ich aber gleich zum Mas und kümmere mich um die anderen Katzen. Bin gespannt, ob der neue Kater endlich auftaucht.«
Im Salon schlummerten Mimí und Benni aneinander gekuschelt auf dem Sofa. Sam ließ sich nicht blicken. Clara lief ins Freie, rief, lockte und wartete. Schließlich setzte sie sich auf die schattige Bank unter der Platane. Jetzt bewegte sich etwas im Olivenhain, kam langsam näher, blieb dann in sicherer Entfernung stehen. Eine große Katze! Oder ein Kater? Hoffentlich war es Sam. Das Tier bewegte sich langsam aufs Haus zu. Das musste Sam sein, stattlich und graubraun getigert. Da tauchte Coco auf, die beiden liefen aufeinander zu und stupsten sich mit den Näschen an, freundliche Begrüßung nach Katzenart. Das Kätzchen tänzelte voraus, der Kater folgte, und schwups! schlüpfte die Kleine durch die Katzenklappe, der Kater hinterher. Das konnte nur Sam sein. Jetzt galt es mit dem Kater Freundschaft zu schließen. Da, wie jeder weiß, die Liebe durch den Magen geht, folgte Clara den beiden in die Küche.
Coco hatte sich schon über einen Fressnapf hergemacht, Sam stand abwartend daneben. Schnell füllte Clara ein extra Tellerchen und servierte es dem Kater. Zögerlich kam er näher. Beruhigend redete Clara auf das Tier ein, streichelte ihm zart über das Köpfchen. Der Kater hielt kurz inne, schaute Clara mit seinen großen Kateraugen an und begann zu fressen.
Bald war das Tellerchen leer und der Kater satt. Er trottete ins Wohnzimmer und putzte sich. Clara ließ sich im Sessel nieder und beobachtete. Immer wieder possierlich, so eine Katzenwäsche. Ganz kurz streifte er Claras Beine, dann hüpfte er aufs Sofa, wo Mimí und Benni friedlich dösten und legte sich neben Benni. Clara stand langsam auf, ging zur Couch, streichelte zuerst Mutter und Sohn, die gleich schnurrten, strich dann dem Kater behutsam über den Rücken, der ließ es geschehen, auch Streicheleinheiten nahm er gern entgegen, und bald schnurrte auch Nr. 5, der neue Kater.
Nach einem ausgiebigen Mittagessen mit exzellentem Lachs und anderen Köstlichkeiten vom Markt war es Zeit für die Zeitungslektüre. Clara schaute sich erst die Wetterprognose für die nächsten Tage an, die wie fast immer in der Provence viel Sonne und Hitze versprach und war dann gespannt auf die Neuigkeiten aus der Region Salon-de-Provence. Ganz besonders interessierte sie, welche Ortschaft zurzeit en Fête war. Jedes kleine Dorf versteht es hier, sein ganz spezielles Fest auf traditionelle Weise zu feiern.
Jonas blätterte in der SZ, fand einen kurzen Bericht über Joe Moser, neue Erkenntnisse über den Fall gab es nicht, allerdings wurde berichtet, dass die Polizei die Suche nach dem Vermissten eingestellt hat.
»So eine Sauerei! Stell dir vor, die haben die Suche nach Joe eingestellt«, schimpfte Jonas.
»Das kann doch nicht wahr sein! Nach so kurzer Zeit können die doch nicht einfach aufgeben«, empörte sich Clara. Schweigsam saßen sie da, die Stimmung blieb gedrückt.
»Lass uns einen Spaziergang machen«, schlug Clara vor.
Nachdenklich liefen sie durch die Olivengärten. Joe ging ihnen nicht aus dem Kopf. Vielleicht war er gar nicht tot. Wenn er vermisst war, könnte es doch noch Hoffnung geben.
Kurz vor ihrem Häuschen kam ihnen Coco entgegen, sprang an Jonas' Bein hoch und wollte begrüßt werden.
«Gut, dass wir die Katzen haben. Etwas Ablenkung können wir jetzt nach dem schrecklichen Ereignis zu Hause wirklich brauchen«, seufzte Clara.
Das Abendessen mit dem schönen Käse vom Markt wollte nicht so recht munden. Jeder war mit seinen Gedanken bei Joe und grübelte vor sich hin. Zu vorgerückter Stunde hatte der Wein seine Wirkung getan, die beiden wurden etwas entspannter. Jonas gähnte, man beschloss schlafen zu gehen. Doch an Schlaf war in dieser Nacht lange nicht zu denken, unruhig wälzten sie sich hin und her, Tante Bertas altes Bettgestell knarzte. Immer wieder nahmen sie sich gegenseitig in den Arm, schmiegten sich aneinander, bis sie allmählich eng umschlungen einschliefen.
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