Arthur Doyle - Das Zeichen der Vier

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Das Zeichen der Vier ist der zweite Sherlock-Holmes-Roman von Sir Arthur Conan Doyle. Er erschien zuerst 1890 in der Februar-Ausgabe von Lippincott's Monthly Magazine unter dem Titel The Sign of the Four und wurde noch im selben Jahr von Spencer Blackett unter dem Titel The Sign of Four als Buch veröffentlicht.
Sherlock Holmes und Dr. Watson werden von Miss Mary Morstan beauftragt, bei der Suche nach ihrem verschollenen Vater zu helfen. Dieser war Offizier in Indien und verschwand vor zehn Jahren bei seiner Rückkehr nach England.
Ein anonymer Brief bringt die drei auf die Spur von Thaddeus Sholto. Von ihm erfahren sie, dass dessen Vater mit dem Gesuchten befreundet war und zusammen mit ihm in Indien in derselben Kompanie gedient hat. Außerdem berichtet er vom Tod der beiden Männer, von einem Schatz, den diese mit aus Indien brachten und wie er und sein Bruder den Schatz entdeckten.
Kurz darauf wird der Bruder unter mysteriösen Umständen ermordet und der Schatz gestohlen. Thaddeus Sholto wird der Tat verdächtigt und festgenommen. Da Sherlock Holmes an dessen Unschuld glaubt, nimmt er sich des Falles an.
Nach mehreren Rückschlägen kommt Holmes aufgrund seines hervorragenden Beobachtungs- und Kombinationstalentes auf die Spur des wahren Täters. Nach einer aufregenden Verfolgungsjagd auf der Themse können sie ihn stellen. Bei der Vernehmung des Täters gesteht dieser seine Taten und erzählt die Hintergrundgeschichte um die Morde und den Schatz.

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Inhaltsverzeichnis

1. Die Wissenschaft der Deduktion

2. Die Darlegung des Falles

3. Auf der Suche nach einer Lösung

4. Die Geschichte des kahlen Mannes

5. Die Tragödie von Pondicherry Lodge

6. Sherlock Holmes gibt eine Demonstration

7. Die Episode mit dem Faß

8. Die Baker-Street-Spezialeinheit

9. Die Kette reißt ab

10. Das Ende des Insulaners

11. Der große Agra-Schatz

12. Die seltsame Geschichte des Jonathan Small

Editorische Notiz

Anmerkungen

Arthur Conan Doyle

Das Zeichen der Vier

Impressum

Covergestaltung: Steve Lippold

Digitalisierung: Gunter Pirntke

ISBN: 9783955012304

2014 andersseitig

andersseitig Verlag

Dresden

www.andersseitig.de

info@new-ebooks.de

(mehr unter Impressum-Kontakt)

1. Die Wissenschaft der Deduktion

Sherlock Holmes langte die Flasche von der Ecke des Kaminsimses herunter und nahm seine Spritze aus dem fein gearbeiteten Saffian-Etui. Mit seinen langen, weißen, nervösen Fingern setzte er die feine Nadel auf und rollte sich die linke Manschette hoch. Eine Zeitlang verweilte sein Blick nachdenklich auf dem sehnigen Unterarm und dem Handgelenk, die von den Flecken und Narben unzähliger Einstiche gesprenkelt waren. Endlich stieß er die dünne Nadelspitze hinein, drückte den kleinen Kolben durch und ließ sich dann mit einem langen Seufzer der Befriedigung in die Samtpolster seines Lehnstuhls zurücksinken.

Dreimal täglich, viele Monate lang war ich Zeuge dieses Schauspiels gewesen, aber seine Regelmäßigkeit hatte nicht dazu geführt, daß ich mich damit abgefunden hätte. Ganz im Gegenteil; von Tag zu Tag fiel es mir schwerer, diesen Anblick zu ertragen, und des Nachts regte sich mein Gewissen bei dem Gedanken, daß ich nicht die Courage gehabt hatte, meine Mißbilligung auszudrücken. Wieder und wieder hatte ich geschworen, mir die Sache vom Herzen zu reden; aber etwas in der kühlen, nonchalanten Art meines Gefährten bewirkte, daß er der letzte war, bei dem man sich auch nur annähernd so etwas wie Freiheiten herausgenommen hätte. Seine großen Fähigkeiten, sein überlegenes Auftreten und die vielen Male, da ich selbst dabeigewesen war, wenn er seine außergewöhnlichen Eigenschaften unter Beweis stellte, all dies schüchterte mich ein und ließ mich davor zurückschrecken, ihm entgegenzutreten.

An diesem Nachmittag jedoch – ich weiß nicht, war es der Beaune, den ich zum Mittagessen getrunken hatte, oder daß meine Verbitterung durch die Planmäßigkeit seines Vorgehens noch gesteigert worden war – an diesem Nachmittag jedenfalls fand ich, ich könne nicht länger an mich halten.

»Was ist es denn heute«, fragte ich ihn, »Morphium oder Kokain?«

Träge hob er seinen Blick von dem alten Folianten, der aufgeschlagen vor ihm lag.

»Kokain«, sagte er, »eine siebenprozentige Lösung. Möchten Sie mal versuchen?«

»Nein, beileibe nicht«, antwortete ich schroff. »Meine Konstitution ist vom Afghanistan-Feldzug 1 noch immer geschwächt. Ich kann es mir nicht leisten, sie noch zusätzlich zu belasten.«

Er lächelte ob meiner Heftigkeit. »Vielleicht haben Sie recht, Watson«, versetzte er. »Wahrscheinlich ist seine Wirkung auf den Körper tatsächlich von Übel. Auf den Geist jedoch, finde ich, wirkt es so über alle Maßen anregend und erhellend, daß die Nebenwirkungen kaum ins Gewicht fallen.«

»Aber bedenken Sie doch«, sagte ich eindringlich, »um welchen Preis! Ihr Gehirn mag wohl, wie Sie sagen, angeregt, ja erregt werden; aber dies ist ein krankhafter und zerstörerischer Vorgang, mit dem eine beschleunigte Gewebe-Erneuerung einhergeht und dessen Folge eine bleibende Schwächung ist. Sie wissen ja selbst am besten, welch schwarze Stimmung jeweils im nachhinein von Ihnen Besitz ergreift. Nein, dieses Spiel lohnt den Einsatz wirklich nicht. Warum in aller Welt riskieren Sie um einer nichtigen, vergänglichen Lust willen die großen Fähigkeiten, die Ihnen verliehen worden sind? Bedenken Sie auch, daß ich nicht nur als Freund so zu Ihnen spreche, sondern als Arzt, der bis zu einem gewissen Grade für Ihre Gesundheit verantwortlich ist.«

Er schien nicht beleidigt zu sein. Ganz im Gegenteil; er legte die Fingerspitzen aneinander und stützte die Ellbogen auf die Armlehnen seines Sessels wie jemand, der große Lust zu einem Gespräch verspürt.

»Mein Geist«, begann er, »rebelliert gegen den Stillstand. Man gebe mir Probleme zu lösen, man gebe mir Arbeit, man gebe mir die verworrenste Geheimschrift, die vertrackteste Analyse – da bin ich ganz in meinem Element. Dann kann ich ohne Stimulantien auskommen. Der dumpfe Trott des Daseins jedoch erfüllt mich mit Abscheu. Ich verzehre mich nach geistigen Höhenflügen. Eben darum habe ich auch meinen eigenen speziellen Beruf gewählt – oder vielmehr geschaffen –, denn ich bin der einzige meines Zeichens auf der ganzen Welt.«

»Der einzige nicht beamtete Detektiv?«, fragte ich und zog dabei die Augenbrauen hoch.

»Der einzige nicht beamtete Beratende Detektiv«, antwortete, er. »Ich bin das letzte und oberste Appellationsgericht in Fragen der Kriminalistik. Wenn Gregson oder Lestrade oder Athelney Jones 2 am Ende ihrer Weisheit sind – was bei ihnen übrigens der Normalfall ist –, dann wird die Sache mir unterbreitet. Ich begutachte das vorliegende Material als Experte und gebe ein fachmännisches Urteil ab. Ich erhebe in solchen Fällen keinen Anspruch auf öffentliche Anerkennung. Mein Name taucht in keiner Zeitung auf. Die Arbeit selbst, das Vergnügen, ein Betätigungsfeld für die mir eigenen Fähigkeiten gefunden zu haben, ist mir der höchste Lohn. Aber anläßlich des Jefferson-Hope-Falles haben Sie ja selbst einen gewissen Einblick in meine Arbeitsmethoden gewinnen können.«

»Ja, wahrhaftig«, sagte ich bewegt, »noch nie in meinem ganzen Leben hat mich etwas so beeindruckt wie dies. Ich habe es sogar zur Darstellung gebracht in einer kleinen Schrift mit dem etwas ausgefallenen Titel ›Eine Studie in Scharlachrot‹.«

Er schüttelte betrübt den Kopf.

»Ich habe sie überflogen«, sagte er. »Offen gesagt, ich kann Sie dazu nicht beglückwünschen. Die Arbeit des Detektivs ist – oder sie sollte dies zumindest sein – eine exakte Wissenschaft und bedürfte daher einer ihr angemessenen kühlen und nüchternen Darstellung. Sie haben es unternommen, sie romantisch zu verbrämen, was eine ganz ähnliche Wirkung hat, wie wenn man eine Liebes- und Entführungsgeschichte in den fünften Satz des Euklid einbaute.«

»Aber es ging doch um Abenteuerliches und Romantisches«, wandte ich ein. »Ich konnte doch nicht die Tatsachen verfälschen!«

»Bei gewissen Tatsachen wäre es besser, sie würden verschwiegen; und wenn sie schon zur Sprache kommen müssen, so sollte man wenigstens ein Gespür für die Verhältnismäßigkeit walten lassen. Das einzig wirklich Erwähnenswerte an diesem Fall war der eigentümliche analytische Gedankengang, der mich von den Wirkungen zu den Ursachen zurückführte und dank dem es mir gelang, den Fall zu lösen.«

Ich war verstimmt ob dieser Kritik an einem Werk, das eigens deswegen verfaßt worden war, Holmes zu gefallen. Auch muß ich gestehen, daß mich seine Geltungssucht ärgerte, die zu fordern schien, daß jede Zeile meiner Schrift ausschließlich seinem eigenen speziellen Vorgehen gewidmet sein sollte. In all den Jahren, die ich mit ihm in der Baker Street gewohnt hatte, war mir schon mehr als einmal aufgefallen, daß sich hinter der gemessenen und belehrenden Art meines Freundes eine gewisse Eitelkeit verbarg. Ich ließ mir jedoch nichts anmerken, sondern saß schweigend da und pflegte mein verwundetes Bein 3 . Es hatte vor geraumer Zeit eine Jezail-Kugel abbekommen, und wenn mich dies auch nicht am Gehen hinderte, so litt ich doch bei jedem Wetterumschlag unter zermürbenden Schmerzen.

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