Arthur Doyle - Das getupfte Band

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Im Dezember 1883 erhält die Bakerstreet 221b Besuch von einer höchst aufgeregten Dame. Helen Stoner berichtet Sherlock Holmes vom Tode ihrer Schwester. Julia Stoner ist vor zwei Jahren, unmittelbar vor ihrer Hochzeit mit einem Marineoffizier, unter mysteriösen Umständen gestorben. Dazu muss man folgendes wissen: Die Damen Stoner sind die Töchter des vor einigen Jahren verstorbenen Generalmajor Stoner. Dieser hat seiner Gattin und den Kindern gut angelegtes Kapital in Wertpapieren hinterlassen. Mrs. Stoner, die Mutter der beiden jungen Damen, hat einige Zeit nach dem Tode ihres Gatten erneut geheiratet. Dr. Grimesby Roylott ist der letzte Spross einer einst wohlhabenden Familie, nämlich der Roylotts von Stoke Moran. Der Familienbesitz geriet jedoch im Laufe der Zeit mehrmals in leichtsinnige, ungeeignete Hände. Und so verblieb dem letzten Roylott lediglich ein wenig verwilderter Grundbesitz rings um das alte Herrenhaus Stoke Moran. Dort führte er bis zu seinem Tode das kärgliche Leben eines verarmten Edelmannes. Sein einziger Sohn, Miss Stoners Stiefvater also, lieh sich Geld, um damit sein Medizinstudium zu finanzieren. Er zog darauf nach Indien, wo er sich in Kalkutta niederließ und alsbald eine ansehnliche Praxis führte. Leider ist Dr. Grimesby Roylott ,vom menschlichen Standpunkt gesehen, kein sehr angenehmer Zeitgenosse.

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Table of Contents

Das getupfte Band

Der Daumen des Ingenieurs

Die verschwundene Braut

Die Geschichte des Beryll-Kopfschmuckes

Silberstrahl

Das Landhaus in Hampshire

Arthur Conan Doyle

Das getupfte Band

und andere Detektivgeschichten

Impressum

Covergestaltung: Steve Lippold

Digitalisierung: Gunter Pirntke

ISBN: 9783955012274

2014 andersseitig.de

andersseitig Verlag

Dresden

www.andersseitig.de

info@new-ebooks.de

(mehr unter Impressum-Kontakt)

Das getupfte Band

Die Haushälterin hatte eben den Nachmittagstee hereingebracht. Nun zog sie die Vorhänge vor den Fenstern zu und zündete die Stehlampe an, die ein warmes Licht über den gedeckten Tisch warf. Das Feuer im Kamin verbreitete eine angenehme Wärme. Doktor Watson saß in einem bequemen Sessel und las, als sich die Türe öffnete und Sherlock Holmes eintrat. »Das ist heute mal wieder ein Nebel!« sagte er und rieb sich die Hände vor dem Feuer warm. »Ein scheußliches Wetter draußen! Keinen Hund möchte man da hinausjagen!« Dann wandte er sich dem Hausgenossen zu: »Was liest du denn da so interessiert, Doktor?«

Watson legte rasch, fast in leichter Verlegenheit, die Blätter beiseite. Es waren eine Anzahl fortlaufender Nummern des »Telegraph«.

»Ach, nichts weiter«, sagte er in offensichtlichem Bemühen, der Sache keine weitere Bedeutung zuzuschreiben. »Komm, setz dich lieber her und trinke gleich einen heißen Tee, wenn du so ausgefroren bist.«

Damit füllte er ihm eine Tasse, rückte einen Sessel zurecht und bot ihm einen Teller mit belegten Broten an. Kaum hatte Holmes sich gesetzt, so klingelte es. Sie stellten beide zugleich, wie auf Verabredung, ihre Tassen nieder und lauschten.

War es ein Besuch oder ein Ruf? Und wem von ihnen beiden mochte er gelten?

Dr. Watson hatte zwar seit seiner Rückkehr aus dem afghanischen Feldzug, an dem er als Militärarzt teilnahm, offiziell noch keine Praxis aufgenommen. Aber es kam doch vor, daß er gelegentlich, etwa bei Unglücksfällen, zur dringenden Hilfeleistung geholt wurde und sie dann selbstverständlich nicht verweigerte.

Die Haushälterin kam herein. »Ein Kind ist überfahren worden, Herr Doktor – –«

»Ich komme«, unterbrach Watson ihren Bericht und stand sofort auf. Ein Mensch in Gefahr – da wurde jede Frage nach Zeit und Wetter gleichgültig für ihn. Er eilte hinaus, und Holmes hörte noch, wie er draußen mit einem Mädchen verhandelte, sich Name und Wohnung sagen ließ, während er alles Nötige zur Hilfeleistung einpackte. Gleich darauf fiel die Haustüre ins Schloß. Frau Hudson kam mit ihrem schweren Schritt die Treppe herauf und verschwand in der Küche.

Es war wieder still geworden im Hause. Nichts war mehr zu hören, als das Aufflackern des Feuers im Kamin. Der Lärm der Straße und der vorbeifahrenden Wagen drang nur gedämpft herauf, wie etwas Fernes, das die Abgeschlossenheit dieses Raumes nicht stören konnte.

Sherlock Holmes hatte seinen Tee getrunken. Nun saß er in behaglicher Entspannung zurückgelehnt in seinem Sessel und blickte gedankenverloren den blauen Wolken seiner Pfeife nach. Da fiel sein Blick auf die Zeitungen, die Watson achtlos liegengelassen hatte und er griff danach. Zuerst blieb sein Blick auf einem Artikel haften, in dem jemand sich weit und breit über die Notwendigkeit frühzeitiger Zahnpflege beim Kleinkind ausließ, dann folgte ein Bericht über den Stand der übertragbaren Krankheiten. Fachsimpelei, die nur Watson angeht, dachte Holmes und war schon im Begriff, den »Telegraph« wieder wegzulegen, als er plötzlich seinen eigenen Namen darin entdeckte. »Aha, Watson scheint mal wieder unter die Schriftsteller gegangen zu sein!« murmelte Holmes vor sich hin. Er überflog einige Spalten, lächelte, legte die Pfeife aus der Hand, setzte sich bequem zurecht, suchte den Anfang und las:

Das getupfte Band

Wenn ich meine Aufzeichnungen von den vielen absonderlichen Fällen überblicke, an denen ich während der letzten Jahre das Verfahren meines Freundes Sherlock Holmes studiert habe, so finde ich darunter manche von tragischer, einige auch von komischer Art; viele lassen sich einfach nur als merkwürdig bezeichnen, aber keiner als alltäglich; denn da Holmes sich bei seiner Tätigkeit weit mehr von der Liebe zu seinem Beruf als von materiellem Gewinn bestimmen ließ, so lehnte er seine Mitwirkung stets ab, wenn die Nachforschungen sich nicht auf einen ungewöhnlichen oder geradezu rätselhaften Vorgang richteten. Unter all diesen verschiedenartigen Fällen weiß ich mich jedoch keines zu entsinnen, der eine gleiche Fülle merkwürdiger Züge dargeboten hätte, wie der, welcher in der bekannten Familie der Roylotts von Stoke Moran in Surrey spielte. Dieses Ereignis fiel in die erste Zeit unseres gemeinsamen Junggesellenlebens in der Bakerstraße. Ich würde es vielleicht früher schon veröffentlicht haben, wäre mir nicht Stillschweigen darüber auferlegt gewesen – eine Pflicht, von der mich erst jetzt der Tod der Dame entbunden hat, in deren Interesse jenes Versprechen gegeben worden war. Vielleicht ist es ganz gut, daß der wahre Sachverhalt jetzt ans Licht kommt, denn wie ich hörte, haben sich über den Tod des Dr. Grimesby Roylott in weiten Kreisen Gerüchte verbreitet, die jene Ereignisse noch gräßlicher ausmalten, als sie in Wirklichkeit waren.

An einem Aprilmorgen erblickte ich beim Erwachen Holmes vollständig angekleidet an meinem Bett. Er stand sonst gewöhnlich spät auf, und da die Uhr auf dem Kaminsims erst ein Viertel nach sieben zeigte, so blinzelte ich ihn einigermaßen überrascht, vielleicht sogar etwas ärgerlich an, denn ich ließ mich selbst nicht gerne in meinen Gewohnheiten stören.

»Es tut mir sehr leid, daß ich dich wecken muß, Watson,« sagte er, »aber es geht heute morgen keinem im Hause besser. Frau Hudson ist zuerst herausgeklopft worden, sie hat mich aufgeweckt, und jetzt kommt die Reihe an dich.«

»Was gibt es denn? Brennt es?«

»Nein, eine Klientin ist da. Eine junge Dame von auswärts, die mich durchaus sprechen will. Sie soll in großer Aufregung sein. Sie wartet unten im Empfangszimmer. Wenn sich aber eine junge Dame in solcher Morgenfrühe nach London aufmacht und die Leute aus den Federn treibt, so wird sie wohl einen triftigen Grund dafür haben. Einen wirklich interessanten Fall würdest du doch gewiß gern von Anfang an verfolgen. Ich wollte dich deshalb unter allen Umständen wecken, um dich dieser Gelegenheit nicht zu berauben.«

»Das war sehr nett von dir, mein lieber Junge, natürlich möchte ich sie um keinen Preis verpassen.«

Ich kannte keinen größeren Genuß, als Holmes bei den Untersuchungen, die sein Beruf mit sich brachte, Schritt für Schritt zu begleiten und seine kühnen Schlußfolgerungen zu bewundern, die blitzschnell, als entstammten sie höherer Eingebung, und doch stets auf streng logischer Grundlage aufgebaut, Licht in das Dunkel der ihm vorgelegten rätselhaften Fälle brachten. Ich warf mich also rasch in die Kleider und war nach wenigen Minuten so weit, um meinem Freund nach dem Empfangszimmer folgen zu können.

Eine schwarzgekleidete, verschleierte Dame saß am Fenster und erhob sich bei unserem Eintritt.

Holmes stellte sich vor, begrüßte sie freundlich und erklärte ihr, indem er auf mich deutete: »Hier ist mein vertrauter Freund und Kollege Dr. Watson, vor dem Sie Ihre Sache ohne Scheu vorbringen können. – Frau Hudson hat ja Feuer angemacht, wie ich sehe, das war vernünftig von ihr. Bitte, setzen Sie sich nur an den Kamin; ich lasse Ihnen gleich eine Tasse heißen Kaffee bringen, Sie zittern ja ordentlich.«

»Aber nicht vor Kälte,« antwortete die Dame mit leiser Stimme, indem sie der Aufforderung Folge leistete.

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