»Na, dann wäre ja alles geklärt. Wir lassen euch jetzt allein, damit ihr packen könnt.«
Nach der Schlüsselübergabe umarmten sich die Freunde, verabschiedeten sich herzlich mit Küsschen und wünschten gute Fahrt und einen schönen Urlaub.
Jonas und Clara zogen sich in ihr Gärtchen zurück. Am Sitzplatz vor dem Haus ließen sie sich im Schatten des knorrigen Olivenbaums nieder, freuten sich über die üppig blühenden Oleanderbüsche, den Duft von Lavendel und Thymian, den laut anschwellenden Gesang der Zikaden. Gemeinsam schmiedeten sie Pläne für die nächsten Tage.
Da platzte der Klingelton von Jonas' Handy in die nachmittägliche Ruhe des ersten Urlaubstages.
»Jonas Winter ... ja hallo Herr Dr. Bader ... ja, Sonne pur, über 30 Grad ... nein, sprechen Sie mit Frau Lechner, sie hat alle schon fertigen Kapitel für die Technologiebroschüre ... ja, etwa Ende September könnte ich den vollständigen Entwurf im Vorstand präsentieren ...«
Clara wandte sich ab und ging nach draußen. Sie wusste, dass derartige dienstliche Gespräche mit Jonas' Chef meist länger dauerten und in der Regel schlechte Laune bei ihrem Mann hervorriefen, zumal er im Urlaub seine Ruhe haben wollte. Ein paar Minuten später kam Jonas in den Garten und schaute in der Tat etwas griesgrämig drein.
»Kann die Firma ITaNS nicht mal eine Woche auf dich verzichten!? Was ist los?«, entrüstete sich Clara.
»Gut, diesmal verstehe ich seinen Anruf, das mit der Technologiebroschüre war nur ein Vorwand. Der eigentliche Grund hängt mit Joes Verschwinden zusammen.«
»Wieso, das ist doch schon fast zehn Jahre her, als Joe noch für ITaNS gearbeitet hat.«
»Die Kripo war bei Bader und wollte alles mögliche über Joes frühere Tätigkeit wissen. Die stochern jetzt in seiner Zeit in Florida rum, als Patricia 2003 bei einem Autounfall ums Leben kam. Bader fragte, was ich von dieser ominösen Erfindung wüsste, die Joe und seine Mitarbeiter in Arbeit hatten, die aber dann nie zum Patent angemeldet wurde, weil die Unterlagen verschwunden sind.«
»Und weißt du davon, hast du dem Bader was gesagt?«
»Klar weiß ich das, es war furchtbar und ziemlich verzwickt. Als ich 2004 auf einem meiner Business Trips Joe in Miami besucht habe, hat er mir alles über diese Erfindung und die katastrophalen Folgen erzählt.«
»Ja, ich erinnere mich, Joe hat wegen Patricias Tod die Firma verlassen. Aber von einer folgenschweren Erfindung hast du mir damals nichts erzählt. Wieso denn die Geheimniskrämerei? Warum weiß ich davon nichts? Seit Tagen sorgen wir uns um Joe und grübeln über sein Verschwinden und du legst die Karten nicht offen auf den Tisch. Wo bleibt da das Vertrauen? Mich lässt du im Unklaren, aber der Bader bekommt Informationen, die du mir verschweigst!«, regte sich Clara auf.
»Dem Bader habe ich nichts erzählt, was er nicht schon wusste«, sagte Jonas trotzig. »Und die Details dieser Erfindung sowie ihre Auswirkungen sind überhaupt nur Security-Spezialisten zu erklären. Dazu zählst du ja wohl nicht Clara, oder?«
»Der technische Kram interessiert mich herzlich wenig. Aber offensichtlich hat Joe dir etwas anvertraut, was mit dem Unfall zu tun hat. Vermutlich hatte er irgendeinen Verdacht und ist dann selber in Gefahr geraten. Pass nur auf, dass du da nicht auch noch reingezogen wirst! Einsame Wölfe leben gefährlich!«
***
Am nächsten Morgen zeigte sich die Provence wieder von ihrer besten Seite. Die Sonne strahlte, kein Wölkchen trübte den tiefblauen Himmel, die Temperatur war noch angenehm frisch. Clara kümmerte sich um das Frühstück, während Jonas zum Nachbaranwesen ging, um die Katzen zu versorgen. Ganz in der Früh waren die Nachbarn schon abgereist.
Als Jonas das schwere eiserne Tor aufschloss, lief ihm schon Mimí, das grau getigerte Kätzchen entgegen. Sogleich sprang auch Sohn Benni herbei, hochbeinig, dunkel getigert. Zutraulich rieb er seinen Katerkopf an Jonas' Bein. Zu dritt marschierten sie die Auffahrt zum Mas entlang. Voraus Mimí, gefolgt von Benni, steuerten sie zielstrebig auf den Eingang zu. Während Jonas die Tür aufsperrte, waren die Tiger durch die Katzenklappe ins Haus geschlüpft.
Erwartungsvoll standen die beiden schon in der Küche. Blitzblank geschleckt waren die Tellerchen, in einer Schüssel gab es noch Brekki. In der Ecke hatte Marie stapelweise Kartons mit Katzenfutter bereitgestellt. Jonas füllte alle Fressnäpfe, über die sich Mimí und Benni gleich hermachten. Aus dem Salon tauchte Idefix auf, verdrängte Mutter und Sohn. Benni machte bereitwillig Platz, Mimí fauchte, der Macho schleckte kurz und trollte sich dann wieder. So war er halt, der Chef. Jetzt klapperte die Katzenklappe, eine hungrige Coco leckte ein volles Tellerchen leer. Zufriedene satte Katzen putzten sich, ließen sich gern von Jonas streicheln, nur Nummer 5, der neue Kater war nicht da.
Nach dem Frühstück wurde Jonas nun langsam ungeduldig: »Bitte lass uns zuallererst nach St. Remy fahren und nach Joes Haus schauen. Wenn dann noch Zeit bleibt, können wir auf dem Rückweg Wein holen und auf dem Markt in Eygalières einkaufen.«
Als sie losfuhren, war es richtig heiß geworden, das Thermometer im Touring zeigte schon über 30 Grad. Sie öffneten das Schiebedach, ließen die Scheiben herunter, der Fahrtwind umschmeichelte die Urlauber, die die kurvige Fahrt auf engen Nebenstraßen durch die hügelige, von hellen Felsen durchzogene Landschaft der Alpilles, der Alpenkette des Parc Naturel Régional des Alpilles genossen. Die Sonne strahlte vom azurblauen Himmel. Silbergrün glänzten die Olivenbäume im Sonnenlicht, mit Weinreben bedeckte sanfte Hügel wechselten sich ab mit der wilden Garrigue, einer Strauchregion, bewachsen mit würzig duftenden Kräutern und niedrigen Sträuchern, die genügsam auf dem steinigen Boden gedeihen. Durchs offene Schiebedach erklang das unermüdliche Zirpen der Zikaden.
Im quirligen St. Remy lag Joes Haus am Stadtrand in absolut ruhiger Lage. Jonas stellte schnell fest, dass alles abgesperrt und geschlossen war, auch sämtliche Fensterläden. Mehrmaliges Klingeln blieb unbeantwortet, leider auch beim Nachbarn, der offensichtlich verreist war. Enttäuscht fuhren die beiden wieder fort und erledigten die Weineinkäufe.
Nach zahlreichen Aufenthalten in der Provence, die ihnen inzwischen zur zweiten Heimat geworden war, hatten sie einige Lieblingswinzer auserkoren, deren Weine sie besonders schätzten. Während Jonas eher den Roten bevorzugte, liebte Clara die provençalischen Roséweine, die man in der Provence schon seit alters her produziert und gern kühl getrunken hat, lange bevor sie in der übrigen Welt in Mode gekommen sind. In der Erzeugung von Roséweinen sind die provençalischen Winzer weltweit Spitzenreiter.
Heute war das Ziel Mas St. Bernard, ein Weingut in der Nähe von Maussanne, malerisch gelegen unter dem trutzigen Massiv von Les Baux, dem leider viel zu bekannten und von Touristen überlaufenen Ort mit engen Gässchen, der als eines der Plus Beaux Villages de France gilt, als eines der schönsten Dörfer Frankreichs. Die imposante Burgruine aus dem 11. Jahrhundert liegt auf einem Hochplateau, das 200 m steil aus der Hügelkette der Alpilles emporragt. Von dort oben bietet sich ein grandioser Ausblick übers Land, soweit die Touristenmassen dies im Hochsommer überhaupt zulassen.
Nach dem Einkauf beim Winzer ging die Fahrt weiter nach Eygalières. Wie immer am Markttag war der Parkplatz am Ortseingang rappelvoll. Die Stände reihen sich entlang der Hauptstraße durch den Ort, das Angebot an Produits Regionaux, regionalen Erzeugnissen, ist groß und wegen der Qualität und Auswahl bei den Einheimischen ebenso beliebt wie bei den zahlreichen gut situierten Ausländern, die sich hier in der Gegend angesiedelt haben. Auch Touristen schätzen das Ambiente des kleinen, aber feinen Marktes. Die malerisch dekorierten Marktstände mit den verführerischen Düften der Provence locken Käufer wie Schaulustige gleichermaßen an. Wer hier einkaufen will, braucht Zeit.
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