Jen verdrehte die Augen. „Oh je, das muss ziemlich arrogant klingen.“
„Nicht in meinen Ohren. Ich habe auch mal als Stewardess gearbeitet.“
Erstaunt blickte Jen sie an.
„Deswegen kann ich mir deine Probleme als Alleinerziehende sehr gut vorstellen. Ich bin froh, wenn wir uns gegenseitig helfen können.“
„Dann muss ich dir nicht erklären, dass ich öfter für drei oder vier Tage am Stück weg bin. In der Zeit könnte meine Mutter selbstverständlich helfen. Obwohl ich meist am Wochenende fliege“, fügte sie hinzu.
Cora winkte ab. „Das wird sich alles einpendeln. Ich bin an den Wochenenden ja zu Hause.“
Jen seufzte auf. „Das wäre klasse. Meine Mutter lässt sich von Tim um den kleinen Finger wickeln. Ihm fehlt eindeutig etwas Disziplin. Versteh mich nicht falsch“, sagte sie schnell, als sie merkte, wie das klang. „Tim ist kein Rowdy oder so. Er ist …“
„… ein ganz normaler Junge, der rausgefunden hat, dass seine Oma eben seine Oma ist und nicht seine Mama. Keine Regeln. Ich kenne das.“
Seit langer Zeit fühlte sich Jen das erste Mal nicht mehr so verzweifelt, so taub. Dankbar lächelte sie Cora an.
„Lass uns in Ruhe frühstücken, und dann zeige ich dir das Haus.“
„Bin ich die Erste, die dich angerufen hat?“
Cora nickte. „Aber ich denke, eine dritte Mama sollten wir noch suchen. Den Platz habe ich allemal. Fällt dir jemand ein?“
„Leider nein. Ich habe nicht viel Kontakt zu den Müttern.“ Jen merkte selber, wie abfällig das geklungen hatte.
Cora schmunzelte. „Du meinst diese Übermütter, die einfach alles auf die Reihe kriegen, die Erziehung, ihren Haushalt, ihren Job und dabei auch noch aussehen, als wären sie gerade frisch vom Frisör gekommen?“
„Genau die.“
„Dazu gehöre ich auch nicht. Und unsere dritte Mitbewohnerin wird mit Sicherheit auch nicht zu dieser Riege zählen.“
„Ich finde das Haus bezaubernd. Die beiden Zimmer für Tim und mich sind hervorragend. Tim wird sich sicher wohl fühlen. Und die Miete ist mehr als angemessen.“
„Dann sind wir uns ja einig. Ich freue mich.“
„Und ich erst.“ Spontan umarmte Jen Cora, bevor sie hinzufügte: „Ich habe das Gefühl, dass sich mein Leben ab jetzt einfacher gestaltet.“
„Zumindest entspannter.“
„Das reicht mir für den Anfang.“
Zwei Wochen später zogen Jen und Tim ein. Wie nicht anders zu erwarten, war Tim Feuer und Flamme. „Jetzt bekomme ich einen kleinen Bruder und eine kleine Schwester.“
Lara protestierte, da sie nicht klein sei. Nils freute sich. Und Jen und Cora verbrachten ihren ersten gemeinsamen Abend vor dem Kamin, mit einem Glas Wein in der Hand, nachdem sie die Kinder ins Bett gebracht hatten.
„Hat sich niemand mehr gemeldet?“
Cora schüttelte den Kopf. „Wir werden wohl erstmal zu zweit klarkommen müssen.“
„Das klappt schon. Wie gesagt, meine Mutter hilft gerne. Ich muss übermorgen für drei Tage nach New York.“
„Alles klar. Ich gebe dir morgen die Einkaufsliste“, scherzte Cora.
Jen grinste. „Das habe ich nicht gemeint, obwohl ich dir gerne etwas mitbringe. Aber ich bin für drei Tage weg. Und das mitten in der Woche. Du musst sicherlich arbeiten.“
„Muss ich nicht.“
„Hast du Urlaub?“
„Sozusagen. Ich wurde gefeuert.“
Jen starrte sie erstaunt an.
„Die offizielle Stellungnahme lautet, dass mein Arbeitsplatz wegrationalisiert wurde. Willst du die inoffizielle hören?“
„Klar!“
„Ich musste notfalltechnisch einmal zu oft in den Kindergarten.“
„Zum Kotzen! Das sind die Dinge, die mich einfach ärgern. Deutschland braucht Kinder, aber wehe sie funktionieren nicht so, wie sie sollten.“
„Da hast du was Wahres gesagt.“
„Trotzdem kann ich Tim in der Zeit zu meiner Mutter bringen. Gleich am Anfang drei Tage alleine ist bestimmt ganz schön anstrengend.“
Cora schüttelte den Kopf. „Das kommt überhaupt nicht in Frage. Deswegen wohnen wir ja zusammen. Ich krieg das schon hin. Auf ein Kind mehr oder weniger kommt es nicht an.“
Und was ist dann passiert?
Cora dachte einen Moment nach. Die Kinder schliefen tief und fest und sie schrieb schon seit mindestens einer Stunde mit Daniel. Sie nahm noch einen Schluck Wein, bevor sie mutig antwortete.
Gib mir doch deine Telefonnummer. Das ist einfacher, als alles aufzuschreiben.
Einen langen Moment blieb ihr Bildschirm leer. Zulange. Hatte sie sich jetzt zu weit aus dem Fenster gelehnt? War es falsch gewesen, ihn nach seiner Nummer zu fragen? Andererseits würden sie sich in knapp vier Wochen wiedersehen. Warum nicht vorher telefonieren? Cora hatte einen denkwürdigen Tag hinter sich und niemanden, mit dem sie reden konnte, da Jen in New York war. Daniel wusste immer noch nichts von ihrer Trennung. Vielleicht fand er es komisch, dass sie seine Nummer haben wollte.
Es wäre klasse, deine Stimme nach so langer Zeit wiederzuhören. Dann folgte eine Festnetznummer.
Bevor Cora es sich anders überlegen konnte, nahm sie den Hörer zur Hand und rief nach achtzehn Jahren ihre unerfüllte Jugendliebe an.
„Hallo, Kleine. Schön, deine Stimme zu hören.“
Seine Stimme jagte genau wie damals kleine Schauder über ihren Rücken. Sie lächelte. „Hallo, Schmierlappen“, begrüßte sie ihn mit dem für Köche üblichen Spitznamen.
Sie hörte ihn durchs Telefon lachen. „Diese Beleidigungen aus deinem Mund haben mir gefehlt. Es ist, als hätten wir uns erst gestern gesprochen.“
Cora merkte, dass ihre Hände zitterten. „Ja, es fühlt sich genauso an.“
„Also, jetzt will ich aber sofort wissen, was dann passiert ist.“
„Du meinst, nachdem ich Nils aus der Pfütze herausgezogen habe, in die dieses Mädel ihn mit voller Absicht geschubst hat.“
„Genau.“
„Die Mutter kam wie der Teufel aus einem Café gerannt. Ich dachte schon, gleich geht sie auf Nils los, dabei war er gar nicht schuld. Aber Mütter neigen dazu, sich immer erstmal vor ihr Kind zu stellen.“
„Habe ich von gehört.“
„Jedenfalls schob ich vorsichtshalber Nils ein wenig hinter mich. Doch die Mutter griff nach ihrer Tochter, kniete sich neben sie und sagte Ich habe zwar nicht alles gesehen, aber genug, als dass ich weiß, dass du den Jungen ohne Grund geschubst hast. Und bevor du jetzt irgendwelche Ausreden hervorbringst, entschuldigst du dich bei ihm. Da war ich echt platt. Die Kleine hat sich dann tatsächlich bei Nils entschuldigt. Tamara, das ist die Mutter, hat uns in das eigentlich noch geschlossene Café gebeten. Das gehört ihr nämlich. Drinnen war noch ein Junge im gleichen Alter wie das Mädchen.“
„Zwillinge“, warf Daniel ein.
„Genau. Jedenfalls hat Tamara mir einen Kaffee gemacht und Nils trockene Sachen gegeben. Das Café war komplett eingerichtet, mit Tischen, Stühlen, einem Tresen, Kühlung für den Kuchen und allem, was dazugehört. Es gab einen extra Raum für die Kinder, mit lauter Spielzeug, einem Bällebad, einem Zelt und ganz vielen Kuscheltieren, in den sich alle fünf Kinder gestürzt haben. Tamara hat mir erzählt, dass es ihr Traum gewesen war, ein Café zu eröffnen, in dem die Mütter sich auf der einen Seite bei einem Stück Kuchen und Kaffee entspannen und die Kinder auf der anderen Seite in ihrem eigenen Raum spielen können. Doch kurz vor der Eröffnung ist der zweite Geldgeber abgesprungen, und alleine schafft sie das nicht. Um es kurz zu machen, ich habe ihr angeboten, ihr zu helfen. Und jetzt bin ich Teilhaberin des La Le Lu Cafés . In zwei Monaten soll Eröffnung sein.“
„So spontan habe ich dich gar nicht in Erinnerung. Aber es freut mich für dich. Warum nicht mal was riskieren im Leben?“
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