Impressum
Michael Marrak: Das Haus Lazarus
Die besten Erzählungen von Michael Marrak • Band 2
© 2020 Michael Marrak (Text)
© 2020 Michael Hutter (Titelbild)
© dieser Ausgabe 2020 by
Memoranda Verlag Hardy Kettlitz
Alle Rechte vorbehalten
Korrektur: Christian Winkelmann
Gestaltung: s.BENeš • www.benswerk.com
Satz: Hardy Kettlitz
Memoranda Verlag
Hardy Kettlitz
Ilsenhof 12 · 12053 Berlin
www.memoranda.eu
ISBN: 978-3-948616-44-1 (Buchausgabe)
ISBN: 978-3-948616-45-8 (E-Book)
Inhalt
Impressum Impressum Michael Marrak: Das Haus Lazarus Die besten Erzählungen von Michael Marrak • Band 2 © 2020 Michael Marrak (Text) © 2020 Michael Hutter (Titelbild) © dieser Ausgabe 2020 by Memoranda Verlag Hardy Kettlitz Alle Rechte vorbehalten Korrektur: Christian Winkelmann Gestaltung: s.BENeš • www.benswerk.com Satz: Hardy Kettlitz Memoranda Verlag Hardy Kettlitz Ilsenhof 12 · 12053 Berlin www.memoranda.eu ISBN: 978-3-948616-44-1 (Buchausgabe) ISBN: 978-3-948616-45-8 (E-Book)
HALBES MÄNNLEIN UND TOD
DIE PARABEL VOM ZWIELICHT
EINE MORITAT AUS WOLKEN UND DUNKELHEIT
ENDEMION
DAS HAUS LAZARUS
TAGEBUCH EINES FRONTALZUSAMMENSTOSSES
RELICON
INSOMNIA
Nachbemerkungen und Quellen
Bücher bei MEMORANDA
HALBES MÄNNLEIN UND TOD
Eine Vignette
Es war an einem mit goldenen Wolken überhangenen Herbstabend, als Halbes Männlein unter den Wurzeln des Ahorns hervorkroch und seinen Arm und sein Bein streckte. Der Wald war wieder etwas lichter geworden, und bis zum nächsten Baum, einer Buche mit elf riesigen, rotbraunen Blättern, in deren Schatten sich Eintagsfliegen tummelten, waren es immerhin vierzig Schritte.
Tod lehnte an der Buche und kaute genüsslich an einem getrockneten Storchenbein.
»Hallo, Fänger!«, begrüßte ihn Halbes Männlein und hüpfte zu ihm hinüber.
»Grüß dich, Beseelter!«, antwortete Tod. »Wie geht es uns dieses Jahrzehnt, mein Freund? Wusstest du, dass die Finken und die Störche ihren Soll bereits geleistet haben?«
Halbes Männlein kicherte verschlafen. »Oh, wenn du es sagst, dann wird’s wohl so sein.«
»Ich warte schon seit Wochen, dass du endlich aus deinem Bau gekrabbelt kommst.«
»Ich hatte geträumt, mit einer alten Lokomotive durch die Sterne zu schweben«, entschuldigte sich Halbes Männlein. »Doch sie ging kaputt, und ich musste allein zurückfliegen. Hätte das nicht so lange gedauert, wäre ich schon ein paar Jahre früher aufgestanden.«
Tod grinste amüsiert. »Jaja, die Menschen-Maschinen. Hinter der Mauer soll’s noch welche geben, doch was kümmert’s mich? Ich bin nur der Tod in dieser Region.« Er griff in seinen Mantel und zog einen kleinen Kopf heraus. »Den habe ich vor einigen Jahren in einer ihrer alten Städte gefunden. Ich dachte, er gefällt dir vielleicht.«
»Ein Strohhaar!« Halbes Männlein riss den ängstlich dreinblickenden Kopf aus Tods Hand. »Ein kleiner Strohhaar!« Erfreut hob es das Geschenk in die Luft. Ein leises Wimmern drang aus dem Mund des Kopfes.
»Er gefällt dir!«, stellte Tod zufrieden fest. Erneut griff er in seinen Mantel, holte einen Raben hervor und trank ihn in einem Zug leer. Seine Federn steckte er sich mit einer andächtigen Bewegung hinter seine Kapuze. »Ich bin der Geist einer ausgestorbenen Welt«, flüsterte er Halbem Männlein ins Ohr und tanzte einen Indianertanz um die Buche.
»Ist sie wirklich ausgestorben?«
Tod hielt inne. »Wenn ich’s dir sage.« Er putzte sich mit einem Knochenfinger seine leeren Augenhöhlen und sah auf Halbes Männlein herab. »Glaubst du mir etwa nicht, Beseelter?«
»Wir sind doch noch da«, erwiderte Halbes Männlein.
Tod zog den Kopf ein und stemmte seine Hände in die Hüften. »Na und?« Er machte auf der Ferse kehrt und schritt davon.
»Ich werde den Strohhaar neben meinen Ichthyodonten hängen«, überlegte Halbes Männlein laut.
Es kratzte sich mit seiner Hand hinter dem Ohr und sah Tod nach, der auf eine Birke geklettert war und Finkenschnäbel in ihrem Gezweig versteckte. Dann warf er den kleinen Kopf übermütig in die Luft und rief: »Tod! Tod, so hör’ doch!«
»Aber ja, ich höre dich!«, riefen die Finkenschnäbel an dessen Stelle.
Tod setzte sich auf einen Ast und sah zu Halbem Männlein herab. »Was gibt es denn, mein Freund?«
»Bring mir noch ein paar Köpfe, und ich baue mir ein Mobile, das mir Geschichten erzählen kann, während ich träume!«
»Das wird nicht leicht, sage ich dir.«
»Vielleicht einen roten oder einen braunen. Wenn auch nur irgendeinen.«
Tod überlegte. »Ich müsste über die Mauer«, murmelte er. »Aber ich denke, ich werde irgendwo noch einen finden. Vielleicht einen alten, der mehr erzählen kann.«
»Mehr Geschichten über das Land!«, freute sich Halbes Männlein und lief mit dem kleinen Kopf zurück unter die Wurzeln seines Baumes.
DIE PARABEL VOM ZWIELICHT
Stets wandeln wir am Abgrund dicht,
wo Tief und Dunkel schrecken,
aus dem ein Tod und letzt’ Gericht
die Drachenhälse recken!
Carl Spitzweg
Tabula sinistra: Nathan
»Ich kenne diesen Blick.« Van de Dageraads Pupillen huschten hin und her, während er mir abwechselnd ins linke und ins rechte Auge starrte. »Er ist mir vertraut, denn ich habe ihn bereits Tausende Male gesehen.« Er schob die geöffnete Holzschatulle mit beiden Händen ein paar Zentimeter näher zu mir heran. »Dieses sehnliche Verlangen, exklusive Wahrheit zu erfahren«, sagte er dabei. »Die einmalige Chance, auf die Schultern eines Riesen klettern zu dürfen, um weiter zu blicken als alle anderen … Ja, ich kenne den Ausdruck in Ihren Augen!«
»Hoffen Sie etwa, ich wäre dem nicht gewachsen?«, fragte ich.
»Nun, van Aken hat für die Wahrheit einen nicht gerade geringen Preis gezahlt. Denken Sie nicht, der Ihre sei annehmlicher, nur weil unsere Welt ein wenig moderner und aufgeklärter geworden ist. Viele Geheimnisse verleiben sich ihre Erschauer früher oder später ein …«
Ich musterte mein Gegenüber, uneins darüber, ob er das Gesagte ernst meinte oder nur flunkerte, um den Profit zu erhöhen.
Es war eine Odyssee gewesen, das in den Altstadtgassen von Herzogenbusch versteckte Antiquariat zu finden. Mein Informant hatte mir zwar seinen Namen verraten, aber weder eine Hausnummer noch die Straße, in der ich es finden würde. Es gab keine Schaufenster mit plakativen Exponaten, welche die Aufmerksamkeit geneigter Besucher erregten. Über dem Eingang wies lediglich eine kleine, im Jugendstil gehaltene Bronzetafel auf das im Haus verborgene Geschäft hin, kaum größer als das Hinweisschild einer Arztpraxis:
D A G E R A A D
Antiquariat & Kunsthandel
Inhaber: Nathan van de Dageraad
Hinter der Eingangstür führte eine abgetretene Holztreppe in die im ersten Stockwerk gelegenen Räumlichkeiten. Kaum hatte ich sie betreten, war es, als wäre ich in ein Taschenuniversum eingedrungen. Es roch nach Firnis, Terpentin, Druckerschwärze und etwas Undefinierbarem, das ich nur im Vorübergehen wahrnahm. Für ein, zwei Schritte drang es mir unangenehm in die Nase, dann erreichte ich den bühnenartig erhöhten hinteren Ladenbereich, wo die Luft erfüllt war von einem Odeur aus altem Harz, Leim, Wachs, Pfeifentabak und modriger Vanille. Was mich umgab, waren keine Plagiate, billig reproduzierter Tand oder dekorativer Nippes, sondern jahrhundertealte Originale. Beeindruckt schritt ich entlang üppig gefüllter Sammelfächer mit Zeichnungen, Kupferstichen und Radierungen historischer Ortsansichten, Landkarten und Stadtpläne, über denen die schönsten in antike Rahmen gefasst Kante an Kante an den Wänden hingen.
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