Das ist eigentlich sehr schade, oder?
Auf den zweiten Streich folgte sogleich der Dritte.
Nun fehlten nur noch die Nachtfahrten. In meiner Fahrschule war es so Tradition, dass man die Nachtfahrten zu dritt macht. Man leistet also noch einem zweiten Fahrschüler Gesellschaft, oder dieser einem, gerade so aus welcher Perspektive man es betrachten mag. Das hat den Vorteil, dass man sich so schon an die Situation gewöhnt, wenn man Freunde oder die eigenen Eltern im Auto mitnimmt. Tags darauf sollte es soweit sein. Eigentlich könnte man dieses Unternehmen auch als „Blind Date“ vergleichen, weil ich meinen Leidensgenossen noch nie vorher gesehen hatte. Ich ließ mich dennoch auf das Abenteuer ein. Es sollte wieder in den „Wilden Osten“ gehen. Es stand mir an diesem Abend ein nicht unbedingt schlanker junger Mann gegenüber. Er schien sich seiner Sache total sicher zu sein. Er fing an, weil ich wegen meines Drahtesels so oder so zurück zur Fahrschule musste. Sonst wäre es natürlich selbstverständlich gewesen mich nach Hause zu bringen. Hätte ich das vorher gewusst, wäre ich zu Fuß zur Fahrschule gekommen. Nun gut, er machte also den Anfang. Wir fuhren in die Dunkelheit. Ich nahm erstmals in dem Golf auf der Rückbank Platz. Es war schon ein komisches Gefühl, in dem Fahrschulwagen hinten zu sitzen. Selbst, wenn ich mit meinen Eltern unterwegs war, hatte ich mir längst meinen Stammplatz auf dem Beifahrersitz erfolgreich ergattert. Meine Mutter begnügte sich dann mit der Rückbank. Außer, wenn wir verreisten. Dann überließ ich ihr lieber das Kartenlesen rechts neben meinem Vater, der dann meist das Steuer in der Hand hat.
Kaum war mein Partner „eingefahren“, sollte ich für die Unterhaltung sorgen. Auch das sei Tradition, klärt man mich auf. Trotzdem vergewisserte ich mich, ob es den Fahrer nicht stört. „Nein!“, war die Antwort. Ich erzählte einen Witz. Ich glaube es war so ein blöder Ostfriesenwitz. Aber beschwören kann ich es nicht. Nachdem mir die Witze ausgingen, weil ich mir Witze sehr schlecht merken kann, übernahm mein Fahrtrainer, die Unterhaltung. Es kam eine recht ausgelassene Stimmung auf. 30min später durfte ich dann auch mal ans Steuer. Dieser Wechsel wurde nicht ohne ein hämisches Grinsen des anderen Fahrschülers vollzogen. Das war so ein kleiner Macho- Typ. Ich glaube, der hatte wirklich ein Problem damit, dass eine junge Frau mit 1,50m Körperlänge nun ihn durch die Stadt fahren sollte. Und das auch noch abends bei Dunkelheit. Die Straßen waren leer und breit. Es gab daher für mich kaum Gründe zur Besorgnis. Ich legte eine sichere wie sauber Fahrt hin das konnte man von meinem Vorgänger nicht behaupten. Mehrfach schlug unser Fahrlehrer die Hände über dem Kopf zusammen. Oftmals wurden Stoppschilder nicht beachtet, weil ja eh keiner kam, war die mehr als arrogante Begründung meines Weggefährten. „Der traut sich was“, dachte ich so bei mir. Mehrfach hätte ihm das an diesem Tag seine Prüfung gekostet. Trotzdem fühlte ich mich mit ihm am Knüppel relativ sicher. So weit das bei so einem Fahrschüler halt möglich ist. Ich weiß nicht, ob es an seiner Ausstrahlung lag. Er war ein netter junger Mann mit Macho- Ansetzen. Ungefähr 25 Jahre alt. Alles in allem ein Kumpel zum Liebhaben Mein Typ war er dennoch nicht. Muss er ja auch nicht!
Obwohl ich mir während meiner ganzen Fahrschulzeit keine Straßennamen merken konnte, geht mir eine Straße nicht aus dem Kopf: Die ALLEE DER KOSMONAUTEN. Für alles Nicht-Berliner: Diese Straße befindet sich im östlichen Teil der Stadt und schlängelt sich durch den berliner Stadtbezirk Mahrzahn. Das Kuriose dabei ist, man hat das Gefühl, sie verläuft schnurgeradeaus. Schaut man dann auf einen Stadtplan, stellt man fest, dass sie einen Zickzack-Kurs beschreibt. Mindestens drei Spuren auf jeder Seite, wenn nicht vier oder fünf. Also, ein Highway mitten in der Stadt, sozusagen. Und wie sollte es auch anders sein, gut befahren. Völlig überwältigend. Diese Straße gab mir ein Gefühl von Freiheit. Wie das halt auf einer amerikanischen Autobahn so üblich ist. So stellte ich es mir zumindest vor. Plötzlich war ich irgendwie unabhängig. Sie schien eine Verbindung zwischen zwei Welten zu sein. Irgendwann vergaß ich, dass ich mich in fremden Gefilde befand und fuhr, ganz den Umständen entsprechend, befreit. Was für mich in dieser Situation wahrlich nicht selbstverständlich war. Das übertrug sich positiv auf meinen Fahrstil. Locker und vorsichtig. So, wie es optimaler Weise sein muss.
Das einzig Stressige an diesem Ausflug waren die ewigen Raucherpausen. Sowohl mein Kollege als auch der dicke Herr neben mir, auch Fahrlehrer genannt, frönten dieser Droge exakt im Stundentakt. Da im Wagen absolutes Rauchverbot herrschte, kann man sich vorstellen, was jetzt folgte. Genau, wir brachten den fahrbaren Untersatz an einer dafür extra vorgesehenen Stelle zum Halten, stiegen aus und die beiden Süchtigen steckten sich einen Glimmstengel in die Visage. Normalerweise habe ich eigentlich nichts gegen solche Aktionen, aber heute empfand ich sie für meine Konzentration einfach nur störend. Leider wäre ein Protest sinnlos gewesen. Schließlich war ich überstimmt.
Nun gut, ich versuchte so gut es ging meine Gehirnwindungen fit zu halten und möglichst hochkonzentriert bei der Sache zu bleiben, auf meine Weise und ohne Nutzung einer Droge. Wenn ich mir jetzt einen Kaffee gegönnt hätte, hätte meine „Mädchen- Blase“ arge Probleme gemacht. Daher verzichtete ich darauf, mir eine Thermoskanne mitzunehmen. Unter diesen Umständen meine Sinne beeinander zu behalten war ein nicht gerade einfaches Unterfangen: Bei Nacht sieht alles ein wenig verändert aus und man sieht die Verkehrsschilder im Prinzip erst, wenn man bereits vorbei gefahren ist. Dann hilft es nur noch reflexartig das Richtige zu tun. Kurz und gut, eine ziemlich merkwürdige Angelegenheit.
Noch während der Fahrt beschloss ich, nach der Prüfung, auch wenn ich nüchtern bleibe, abends mit der BVG Partys zu verlassen, per pedes nach Hause zu kommen oder mich sicher von jemand anderen nach Hause bringen zu lassen. Nachts reicht wahrscheinlich meine Konzentration als Fahranfänger nicht aus. Schließlich will doch jeder gesund zu Hause ankommen. Außerdem will ich ein Leben lang den „Lappen“ behalten, am besten ohne den „Idiotentest“ absolvieren zu müssen.
Um 23.45 Uhr endlich die erlösende Stunde. Wir bzw. ich luden meinen Leidensgenossen stilecht zu Hause ab. Glücklicherweise hat er sein Domizil nur wenige Autometer weg von der Fahrschule, wo mein Drahtesel auf mich wartete. Nach einer kurzen Bewertung seitens des Nutzgenießers, den wir vier Stunden durch die Gegend chauffiert hatten, kam auch für mich die Erlösung. Kurz vor 24 Uhr schwang ich mich todmüde auf meinen zweirädrigen Untersatz und fuhr dem Traum nah von dannen, dem Ruf meines Bettes folgend. Gut, dass ich den Weg fast im Schlaf kannte. Gott sei Dank war Freitag und ich konnte am Samstag ausschlafen. Was mich jedoch nicht davon abhielt wieder von den aufregenden Erlebnissen zu träumen. Jetzt stand die Prüfung unmittelbar bevor.
Ich weiß es noch ganz genau. Es war der letzte Schultag vor den Sommerferien. Ich hätte also die Praxis innerhalb eines Schulhalbjahres geschafft. Die Tage davor waren eine einzige Qual. Meine Gedanken kreisten immer wieder um dieses eine Thema. Ich war machtlos dagegen. Alle Ablenkungsversuche schlugen fehl.
Dabei ging es für mich über den Führerschein hinaus auch noch um das Bestehen des Schuljahres. Ich quälte mich schon zum zweiten Mal durch die elfte Klasse. Ich musste also die Versetzung schaffen, um am Leibniz überhaupt das Abitur machen zu dürfen. Oft habe ich gedacht, ich bekomme das nicht geregelt. Ich fühlte mich schwach und antriebslos. Und in so einer Situation sollte ich nun einem wildfremden Menschen beweisen, dass ich einen handelsüblichen Wagen sicher durch die Straßen Berlins führen im Stande bin?
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