Nach vielen erholsamen roten Ampeln und unentschlossenen Fußgängern erreichten wir tuckernder Weise unsere Heimatstation. Schon an den ersten komischen undefinierbaren Lauten, die der Prüfungsmensch von sich gab, spürte ich, dass Einiges im Argen lag. Gespürt- geschehen. Er zählte mir gnadenlos meine Fehler auf, drückte mir den dazugehörigen Zettel in die Hand und rügte mich abschließend ansatzweise, warum ich so früh schon die Prüfung machen wollte. Ich wäre noch längst nicht reif für den gefährlichen Berliner Straßenverkehr. Dabei hatte mich doch der dicke Herr neben mir angemeldet. Er war es doch der es hätte wissen müssen. Wie mir in diesem Moment zumute war, kann sich jeder vorstellen. Ich fühlte mich betrogen. Schließlich kostet so eine Unternehmung nicht nur ein Haufen Nerven sondern auch ziemlich viel Geld. Vielleicht hätte es funktioniert, wenn ich in meinen Schein mehr investiert hätte- für den Prüfer. Aber das wäre mit meiner Moral nicht vereinbar gewesen. Lieber ehrlich durchfallen als unehrlich durchkommen und eine Gefahr für die „fahrende Gesellschaft“ darstellen. Auch, wenn eine Welt zusammenbrach; mein Trieb zur Ehrlichkeit war nach wie vor ungebrochen. Ein kleiner Trost. Ich wollte zwar den Schein erwerben, aber nicht um jeden Preis. Soviel stand fest.
Trotzdem verstand ich die Welt nicht mehr. Warum ließ man mich vor meiner Schule einparken, wenn ich sowieso keine Chance mehr hatte? Wahrscheinlich ging es über die Vorstellungskraft des Prüfers hinaus, dass man nicht unbedingt erpicht darauf ist, vor seiner eigenen Schule den Wagen abzustellen. Erst Monate später fiel mir ein, dass der Prüfer garnicht wissen konnte, wo ich zur Schule gehe.
Eine Erfahrung, auf die ich gerne verzichtet hätte. Ich war am Boden zerstört. Ich ließ mir etwas Zeit das Ganze zu verdauen bis ich bei der Sekretärin wieder neue Termine vereinbarte. Der dicke Herr, dem ich einen Teil der Schuld zuschob, schien das total locker zu sehen. Hat er das etwa vorher kommen sehen? Sofort versuchte ich diesen und ähnliche Gedanken zu verdrängen.
Unverrichteter Dinge fuhr ich nach Hause, aß etwas und setzte mich vor den Fernseher. Ich war zu nichts mehr zu gebrauchen, meine Motivation dem Nullpunkt verdächtig nah. Die Talkshows rauschten nur so an mir vorbei. Mein Kopf war so leer. Einen halbwegs klaren Gedanken zu fassen, war unmöglich.
„Wie sollte ich es meinen Eltern beichten? Was sollte ich meinen Freunden sagen, die dummerweise eingeweiht waren? Wie werden sie alle reagieren? Wird sich deswegen ihr Verhalten mir gegenüber ändern? Werden sie mich für unfähig erklären? Mich als einen „Looser“ deklarieren?“, alles Fragen, die meinen Kopf nicht verlassen wollten. Mir war das alles schrecklich peinlich. Einfach nur peinlich. Dabei macht doch jeder Idiot heutzutage den Schein. Warum blieb mir das denn verwehrt? Ist es vielleicht ein Zeichen von Andi, meinem geliebten Bruder? Nein, ihn wollte ich dafür nicht verantwortlich machen. Oder doch? Schließlich hat mich sein Tod ganz schön aus der Bahn geworfen. Unfair- ich weiß.
Um 15.00 Uhr kam mein Papa von der Arbeit nach Hause. Nie werde ich seinen Gesichtsausdruck vergessen, als ich ihm mein Mißgeschick offenbarte. „Oh, das tut mir aber leid!“, war sein erster Satz. Und der war ziemlich ernst gemeint. Er war mit soviel Mitgefühl gesagt worden, dass ich fast meinen eigenen Vater nicht mehr wieder erkannte. Mit einem, „Beim nächsten Mal schaffst Du es bestimmt!“, nahm er mich in seine starken, beschützenden und beruhigenden Arme. An diesem Tag hatte ich zwar den Kampf um den Führerschein verloren, aber neue Erkenntnisse über meinen Papa gewonnen. Das ist auch etwas wert. Zumal ich mich sehr oft mit ihm einfach nicht verstehe. Es gab mir Trost, dass er trotzdem noch hinter mir und der „Aktion Führerschein“ stand.
Meine Mutter nahm es fast noch lockerer auf. Schließlich hatte es bei ihr erst beim dritten Mal hingehauen. Ich hatte folglich noch zwei Versuche.
Es dauerte noch ein Weilchen bis ich die Leere in meinem Kopf wieder los wurde.
Ich musste jetzt sehr stark sein, um den Spott, der sich unweigerlich über mich ergoss, ertragen zu können. Besonders einer aus meinem Semester, den ich zu allem Unglück auch noch liebte, konnte sich gar nicht bremsen. Dabei hat er selbst keinen Führerschein, weil er zu faul ist, für die Theorie zu büffeln. Auch sonst ist er nicht unbedingt eine Leuchte in der Schule. „So ein Arschloch!“, rauschte es durch meinen Kopf. Einmal äußerte er dennoch den Wunsch, mit mir eine Spritztour machen zu wollen. Schnell löste er das Missverständnis auf: „ Na ja, Ich will unbedingt dabei sein, wenn sie dich anhalten, weil sie dich erst für 16 halten. „Ha, ha“, war meine nicht gerade sehr geschickte Antwort. Das war der „Brüller“ der nächsten Wochen. Die Mädchen wiederum erkundigten sich ernsthaft interessiert, wie ich das alles finanziere. Die Stimmung in meinem Freundeskreis war gemischt. Einige lachten mich aus, weil sie der Ansicht waren, ich hätte so allmählich genug Übungsgelegenheiten gehabt. Andere litten mit mir, vielleicht sogar mehr als ich es selbst tat. Besonders eine war richtig bestürzt. Ich musste ihr sogar versprechen, mir nichts anzutun. Nie werde ich es vergessen.
Nun hieß es das Erlebte durch Träume schnellstmöglich zu verarbeiten und dort weiter zu machen, wo ich auf gehört hatte. Es war absolut sinnlos irgendjemand oder irgendetwas die Schuld in die Schuhe zu schieben. Entweder waren sie zu klein oder zu schön- die Schuhe.
Noch in der Fahrschule hatte man mir den Hinweis gegeben, dass ich im Bereich des Normalen läge. Viele benötigten zwei Versuche.
Trotzdem staute sich in mir die Angst. Ich wusste nicht warum. Ich wusste nur, dass, wenn meine Eltern finanziell schlechter dagestanden hätten, ich an dieser Stelle aufgegeben hätte.
Also, auf ein Neues.
Je länger ich über die ganze Sache nachdachte, desto bewusster wurde mir die Gefahr des Autofahrens; desto mehr stieg bei mir die Besonderheit dieser Prüfung. Es war eine Prüfung, bei der man ohne Weiteres sich und die restlichen Insassen im Handumdrehen in Lebensgefahr bringen konnte. Einen Moment nicht aufgepasst und schon ist der Unfall passiert. Ich war stolz, dass mir wenigstens das nicht passiert war. Vielleicht war es vor diesem Hintergrund doch nicht so falsch gewesen mich einmal durchfallen zu lassen. Denn was hätte ich davon, wenn ich zwar das Stück Papier aber nicht die dazugehörige Qualifikation hatte?
Als ob ich es geahnt hatte, blieb ich für die ersten vier Ferienwochen in Berlin. So konnte ich in Ruhe und Frieden weiter üben. In dieser Zeit hatte ich mir geschworen Berlin nicht länger als für 72 Stunden zu verlassen, ehe ich meinen Führerschein habe. Noch hatte ich vier Wochen Zeit, diesem Vorsatz treu zu bleiben. Ich nutzte sie intensiv.
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.