Vorsichtig zieht Petermann sich so erst aus dem Bad, dann aus dem schmucklosen Doppelzimmer zurück, in dem er die letzten Tage mit Finn verbracht hat. Rasch greift er sich Schüttes Brieftasche, die eigene baumelt schweißnass vor dem Bauch. Dass seine Sandalen vor Nässe triefen und quietschend Spuren hinterlassen, fällt ihm nicht weiter auf. Zurück auf dem Hotelflur, zieht er die Tür hinter sich zu. Zielstrebig wendet er sich der Hintertreppe zu und beginnt, die Stufen hinabzuspringen. Auf halber Höhe hört er Frauenstimmen. Zwei Putzfrauen, die Gesichter kennt er schon, kommen die Treppe herauf. Instinktiv will Petermann noch schneller werden, doch er reißt sich am Riemen. Nur nicht auffallen jetzt! Erst als sie vorbei sind, nimmt er wieder zwei Stufen auf einmal.
Kurz vor der Bar hört er von oben gellende Schreie. Augenblicklich fällt er zurück in einen betont ruhigen Gang. Was kümmert einen wazungu das Gekreische von Hotelbediensteten! Die beiden beschäftigungslos herumstehenden Kellner aber fangen aufgeregt an zu murmeln und wenden sich zum Treppenhaus; den vorbeigehenden mzungu mit den hageren, markanten Zügen beachten sie nicht. Auf der Straße wird Petermanns Schritt wieder schneller. Sein Gedächtnis hilft ihm, instinktiv die richtige Richtung einzuschlagen. Am Morgen hatte er sich den Stadtplan eingeprägt: Bis zur Botschaft sind es keine zwei Kilometer links die Samora-Machel-Avenue hinunter.
Unterwegs murmelt er zweifelnd vor sich hin. War Finn wirklich tot? Ermordet?! Hätte er nicht noch etwas für ihn tun können? Hatte er einfach so davonlaufen dürfen? War er nicht gerade deshalb jetzt besonders verdächtig? Schüttes Geld, Pass und Papiere steckten unter seinem Hemd, gerade so, als hätte er sie geraubt. Angst keimt auf. Warum die Sache jetzt künstlich komplizieren? Er hat mit Finns Tod doch nichts zu tun! Die Anmeldung im Hotel lief unter Schüttes Namen, seinen eigenen Ausweis trägt er bei sich, was sonst in dessen Zimmer weist auf seine, Jens Petermanns Identität? Warum also sollte er sich überhaupt in die Sache hineinziehen lassen?
Niemand hatte Schüttes Geld geklaut, weit und breit auch keine Eifersucht: Wenn Finn ermordet worden war, dann kann das nur wegen der Schatzsuche passiert sein! Das allerdings können nur Petermann selbst und der Mörder wissen, andere könnten glatt an Raubmord denken. Warum zum Teufel hatte er nur Finns Brieftasche mitgenommen? Und der Mörder läuft noch frei herum! Was kann der von Petermann groß wissen? Hatte er sie beobachtet? Wann? Bislang waren sie ja nie zusammen aus dem Hotel gegangen, überhaupt nur ein einziges Mal gemeinsam aufgetaucht, beim Einchecken nach Petermanns Ankunft. Nein, ginge er zur Polizei, würde er den Mörder nur auf seine eigene Fährte locken.
Überhaupt, die Polizei: Die würde doch zwangsläufig als erstes ihn verdächtigen und dann nötigen, überflüssige Sachen zu bezahlen, bevor sie ihn, wenn überhaupt, jemals wieder in Ruhe ließe. Tote kosten Geld. Wen eigentlich was? Wie ist das denn geregelt unter Freunden in der Fremde? Soll doch die Botschaft die Leiche auslösen, das ist nun wirklich nicht sein Job. Finns Körper kann er noch früh genug zurück nach Deutschland überführen. Dessen Schatz aber wartet seit fast 100 Jahren auf seine Bergung.
Gründe genug, ganz einfach zu verschwinden.
2. Superintendent Makaïdi ermittelt
Zweieinhalb Stunden nach dem Alarm der Zimmermädchen steht Superintendent Makaïdi – seinen Vornamen kennen selbst engste Mitarbeiter nicht – auf dem Flur vor Zimmer 22 im „Continental“. Seine massige Gestalt – Makaïdis Umfang liegt zu dieser Jahreszeit deutlich über seiner kaum weniger imposanten Größe von einsdreiundneunzig, „Maße wie einst Idi Amin selig!“, sagt seine Mutter – lässt niemanden rechts und links vorbei. Der „Sup“, wie ihn seine Untergebenen ehrfürchtig rufen, ist in frühen Jahren einmal bei Scotland Yard in England auf Fortbildung gewesen, seitdem ist ihm nicht mehr beizukommen.
Seit acht Jahren allerdings sitzt er unbefördert in seinem Sessel im Präsidium und hat nicht mehr viel dazu gelernt. Das überlässt er dem kleinen Stab subordiniert Ergebener, die ihn umwieseln. Die würden zwar kaum jemals mal nach England dürfen, sind aber nichtsdestotrotz wissbegierig, ehrgeizig, dankbar. Manchmal sogar loyal. Sie leben an Makaïdis langer Leine, und so schlecht nicht. Der kümmert sich, lässt sie Fortbildungen und Computerkurse besuchen, bezahlt von Apparaten und Geheimdienstlern nördlicher Breiten. So kommen sie rum, zuweilen gar ins benachbarte Ausland, werden seine Spesenritter, die ihm etwas schulden und Tribut zu zollen haben. Sollen sie sich dort ruhig moderneres Wissen aneignen, zum Beispiel, wie man mit aufmüpfigen Slumbewohnern umspringt. Auch die neusten mobiles besorgt Makaïdi ihnen gern, da spielen sie dann mit herum und helfen ihm beim Recherchieren. Alles ist erlaubt, solange nur er, Makaïdi, die Zügel in der Hand behält und sich sein Ruhm anhaltend mehrt. Davon gedenkt der Superintendent sich bis zur Rente zu ernähren.
Vor langer Zeit hatte er mal einen Luftpiraten festgenommen, der als Jugendlicher das damals einzige tansanische Verkehrsflugzeug – eine betagte Boeing 737, Reichweite bis kurz hinter Nairobi – über den Kontinent hinaus bis nach London entführt hatte. Nach mehrjähriger Haft im kolonialen Mutterland, die ihn zu einem gebildeten oppositionellen Wirrkopf hatte reifen lassen, hatte der Entführer die Frechheit besessen, zurück in die Heimat zu fliegen. Kein Doppelbestrafungsverbot konnte ihn da retten, direkt nach der Landung legte ihm Makaïdi höchstselbst die Handschellen an. Zwei Tage später starb der Mann in tansanischer Haft, „an einer eingeschleppten Krankheit“, wie es hieß. Der Inspektor wusch beide Hände in Unschuld, sogar amnesty international kam mit Protesten nicht so recht in Fahrt, und drei Monate später war Makaïdi Assistant Superintendent, nun nahezu unkündbar, aber dank des internationalen Aufsehens, das die Affäre erregt hatte, für höhere Aufgaben auf ewig disqualifiziert. Das zehrt.
Makaïdi hat es sich etwas kosten lassen, den Chef des Bereitschaftsdienstes dazu zu bringen, ihm den Fall aus dem „Continental“ zu übertragen. Eine Stunde lang hatte er im Präsidium intrigiert, Gerüchte quer durchs Haus gehetzt, Verdacht geschürt und Tantiemen in Aussicht gestellt, bis nur noch er und keiner sonst für diesen Job in Frage kam. Ein toter mzungu – der richtige kesi zum Jahresanfang, vielversprechend fett wie der Weihnachts-Truthahn.
Seit mehreren Minuten nun steht Makaïdi im Flur im zweiten Stock des „Continental“ und sieht seinen beiden besten Männern bei der Arbeit zu. Die Füße verschnürt in Plastiktüten aus einem kenyanischen Duty Free Shop („Nirgendwo sonst sind diese Dinger noch zu bekommen, Sup!“), durchsuchen sie Schüttes Zimmer, während ihr Chef auf den angeforderten Gesandten der deutschen Botschaft wartet. Dass es sich um eine deutsche Leiche handelt, hat der Kommissar sofort erkannt: blond, hellhäutig, Bierbauch, Pockenimpfung, Bürstenschnitt – fehlten nur noch Springerstiefel. Stand dann so auch auf der Hotelanmeldung. Den Pass allerdings suchten sie noch.
„Nackte Gewalt, Sup! Blutig geplatzter Schädel, zerschmetterter Oberarm ...“, murmelt einer von Makaïdis Assistenten in den Raum. Sie waren schon zwanzig Minuten nach Eingang des Notrufs am Tatort gewesen und haben bereits einiges entdeckt: Schuhspuren auf dem arg versifften Teppich, mit Profil, vermutlich Größe neun; ein unversehrtes Türschloss (was angesichts amerikanischer Knauföffner nicht viel zu bedeuten hat, wie Makaïdi sie erinnert); eine auf vollen Touren laufende Klimaanlage; Erbrochenes neben und auf der trotz abgestellter Dusche anfangs noch tropfnassen Leiche; Fingerabdrücke von mindestens vier Personen; eine Golftasche und zwei Rucksäcke, gefüllt mit Männerklamotten, weitgehend sauber. Kein Laptop, kein mobile , geschweige denn ein iPhone. Sechs Flaschen Safari Lager auf der Fensterbank, leider leer. 23 unverbrauchte Präser von der Abreißrolle im linken, sieben im rechten Nachttisch, normale Größe, kenyanisches Fabrikat. Könnten schon ewig dort liegen. Drei verschiedene Malariamittel, Mülleimer frisch geleert.
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