»Du hast Suzie dazu angestiftet?« Meine Stimme klingt seltsam dünn, ich zittere am ganzen Leib.
Carl nickt. »Sie wollte unbedingt in die Zentrale. Ich habe ihr gesagt, sie hätte es mehr verdient als du. Es war nicht einmal schwer, sie zu überreden. Suzie war nie die Hellste, wie du weißt. Ich war froh, als mein Plan aufzugehen schien. Doch dann habe ich die Fetzen des Briefs auf der Treppe gefunden. Suzie muss sie verloren haben. Als du plötzlich verschwunden warst und nicht wiedergekommen bist, habe ich ernsthaft mit dem Gedanken gespielt, mir das Leben zu nehmen, weil ich wusste, dass ich versagt hatte.«
»O Carl, alles ist so anders gekommen. Ich bin nur über Umwege in die Zentrale gelangt. Aber jetzt bin ich hier, die V23er haben kein Blut von mir und sie werden mich auch nicht wieder bekommen. Das verspreche ich.«
Ich greife über die Tischplatte hinweg nach Carls Hand. Sie ist kühl. Richard sagt überhaupt nichts mehr. Ich habe den Eindruck, dass er sich für sein Verhalten schämt. Ein fürchterliches Missverständnis, und es stand so viele Jahre zwischen ihnen. Ich bin sehr erleichtert, dass sie es ausgeräumt haben.
Cade räuspert sich. »Ist ja alles schön und gut, aber wenn wir uns doch darüber einig sind, dass die V23er Holly nicht in ihre Finger bekommen dürfen, dann frage ich mich, weshalb wir Holly hierher gebracht haben. Ist das nicht irrsinnig? Ich hätte mit ihr nach Philadelphia fahren können, dort wäre sie sicherer gewesen.«
»Ich bin nirgendwo sicher. Ich kann mir sogar vorstellen, dass sie mich hier am allerweinigsten erwarten. Davon abgesehen bedeutet es mir unendlich viel, dass ich Carl wiedergefunden habe.« Erst recht, nachdem ich weiß, was er alles für mich getan hat, füge ich in Gedanken an.
»Ich habe Freundschaften noch nie verstanden«, knurrt Cade. Ich ringe mir ein Lächeln ab. Mag er schmollen, so viel er will, es war die richtige Entscheidung, hierher gekommen zu sein.
In diesem Moment klopft es erneut an der Tür. Richard schiebt seinen Stuhl geräuschvoll zurück. »Ich werde nachsehen, wer es diesmal ist.« Mit diesen Worten verlässt er den Raum.
Kurze Zeit später höre ich, wie die Haustür sich öffnet. Ich halte den Atem an, doch das aufgeregte Geplapper, das daraufhin zu uns heraufdringt, lässt mich Gutes hoffen.
Ich stürme zur Treppe und tatsächlich sind es die anderen Rebellen - sehr zu meiner Freude vollzählig. Richard und die anderen umarmen sich.
Wenig später drängen wir uns zu neunt in den kleinen Gemeinschaftsraum, Zac liegt in Suzies ehemaligem Zimmer im Bett. Er hat eine Schussverletzung am Knie und kann nicht laufen, die anderen haben ihn den ganzen Weg hierher tragen müssen. Er ist sehr blass, aber Elijah meinte, dass er sich erholen würde.
Alle sprechen durcheinander, begrüßen sich, stellen sich Carl vor und berichten von ihren Erlebnissen. Cade ist aufgestanden und steht mit dem Rücken an die Wand gepresst nahe der Tür. Er fühlt sich sichtlich unwohl. Er ist ein Einzelgänger und kann der Geselligkeit einer Gruppe nur wenig abgewinnen. Ich lasse ihn in Frieden und wende meine Aufmerksamkeit wieder Shelly zu, die ihren Kopf auf meinen Schoß gelegt hat. Wir sitzen auf dem nackten Fliesenboden und lauschen den Gesprächen der anderen. Ich streiche mit der Hand über ihren Kopf und genieße die Nähe des Mädchens. In diesem Moment fühle ich mich - trotz der bedrohlichen Umstände - wohl. Wir sind alle wieder vereint.
***
Wir verbringen noch drei volle Tage in Carls Haus. Ich schlafe mit Cade und Shelly nachts in meinem alten Zimmer, tagsüber schmieden wir mit den Rebellen Fluchtpläne. Zac ist noch immer nicht wieder auf den Beinen, aber wir sind guter Dinge, dass er alsbald wieder aufrecht steht. Richard und die anderen sind fast den ganzen Tag in der Stadt unterwegs, um Nahrung für uns zu besorgen, was alles andere als einfach ist. Trinkwasser bekommen wir zum Glück aus der Wasserleitung in unserem Badezimmer, zumindest ist die Wasserversorgung noch nicht zusammengebrochen.
In manchen verlassenen Häusern finden die Rebellen noch unangetastete Versorgungspakete der Obersten, doch das wird immer seltener. Viele Einwohner sind tot oder verschwunden, andere zu Acrai mutiert. Cade ist tagsüber oft stundenlang unterwegs, um die Biester zu töten und um nach Lucas zu suchen, bei dem er die Ursache allen Übels vermutet.
Unser Plan sieht vor, in einigen Tagen, wenn es Zac wieder besser geht, den Rückweg anzutreten, weil uns keine zufriedenstellende Lösung einfällt, wie wir die übrig gebliebenen Einwohner Manhattans retten könnten. Die V23er halten noch immer an ihrer Barriere fest. Mittlerweile haben die Schießereien auf den Straßen nachgelassen, weil mehr und mehr Oberste sich in die Zentrale zurückziehen. Es scheint, als hätten sie die Stadt aufgegeben und würden sie fortan sich selbst überlassen. Inzwischen sind wir uns sicher, dass sie die Barriere nur noch deshalb aufrecht erhalten, um die wildernden Monster davon abzuhalten, die Grenze zu passieren und um die Folgen der Epidemie einzudämmen. Mir tun die vielen noch lebenden Einwohner leid, die nicht fliehen können und einen baldigen Tod erleiden werden. Cade nannte die Stadt abfällig eine »riesige Quarantänestation«, wobei ich nicht weiß, was er damit meinte. Auch für uns gibt es keinen Grund mehr, länger zu bleiben. Die Situation verschärft sich mit jeder Stunde, denn Überfälle und Plünderungen sind an der Tagesordnung. Mir haben die Rebellen verboten, das Haus zu verlassen, was mich an den Rand des Wahnsinns treibt. Stundenlang sitze ich am Fenster und spähe auf die verlassene Straße hinaus. Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als endlich mit Carl und den anderen zu verschwinden. Die Stadt ist verloren.
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