Hubert Mergili
Das Tor nach Andoran
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Inhaltsverzeichnis
Titel Hubert Mergili Das Tor nach Andoran Dieses ebook wurde erstellt bei
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Impressum neobooks
Der Geschichtenerzähler
Aufgeregtes und geschäftiges Treiben herrschten in Elveen, einem kleinen Dorf im Wolfstal an den Ufern des Duna. Dieser noch junge Fluss entspringt in den dicht bewaldeten Hügeln, die dem Varan Gebirge vorgelagert waren.
Fest eingehüllt in seinen abgewetzten löchrigen Umhang, saß der alte Mann im Schatten der Veranda seines Hauses. Mit wachen Augen blickte er zu dem weitläufigen Dorfplatz hinüber. Dort waren die Männer und Frauen eifrig mit den Vorbereitungen für das Fest heute Abend beschäftigt.
Die Sonne hatte ihren höchsten Punkt seit Stunden überschritten und näherte sich unaufhaltsam dem Westen. Jetzt am späten Nachmittag strömten die Bauern mit ihren Familien aus den umliegenden Höfen herbei. Es galt einen der Höhepunkte im Jahr mit den Bewohnern des Dorfes, zu feiern. Heute begingen alle nach althergebrachten Brauch Mittsommer, den längsten Tag und die kürzeste Nacht.
Jeder Einwohner, vom kleinen Jungen bis hin zu den Alten war damit beschäftigt, die dazu notwendigen Vorbereitungen zu treffen. Jedermann wollte sein Bestes zum Gelingen des Festes beitragen. Die Männer stellten lange Tische auf, worauf die Frauen und Mädchen die leckersten Speisen, Kuchen und Süßigkeiten abstellten. Seit dem frühen Morgen standen sie an ihren Öfen, wo sie fleißig arbeiteten.
An anderen Tagen im Jahr diente der Ortskern als Marktplatz, doch heute gehörte er den Feiernden. Einige Halbwüchsige waren damit beschäftigt in der Mitte des weitläufigen Dorfplatzes, einen gewaltigen Holzstapel zu errichten. Der sollte bei Einbruch der Dunkelheit, begleitet vom lauten Jubel der Anwesenden in Flammen aufgehen.
Andere wiederum befeuchteten die mit Holzschindeln gedeckten Dächer der umliegenden Häuser mit Wasser aus dem nahen Fluss. Eine reine Vorsichtsmaßnahme, schließlich wollte man ein Fest feiern und nicht das ganze Dorf anzünden. Zudem stellte man gefüllte Eimer bereit, um für alle Fälle gewappnet zu sein.
Seit dem frühen Vormittag drehten sich die Spieße mit Schweinen, Schafen und Ziegen, deren verlockender Duft durch das ganze Dorf zog. Der leichte Südost Wind trug das Aroma bis hinauf zu dem alten Mann, dem in freudiger Erwartung das Wasser im Munde zusammenlief.
Wie jedes Jahr drehten die jüngeren Kinder unter den Augen von Levin die eisernen Stangen, an denen die Braten befestigt waren. Levin, ein Bär von einem Mann bekleidete das Amt des Dorfvorstehers und seinen Anweisungen leistete man widerspruchslos Gehorsam.
Die Sonne senkte sich langsam dem Horizont entgegen und die ersten kleineren Feuer und Fackeln wurden von den Dorfbewohnern entzündet.
Der wache Blick Julians, wie die Dorfbewohner den alten Mann nannten, wandte sich von dem geschäftigen Treiben auf dem Dorfplatz ab. Er wanderte nach Norden zu den sanft ansteigenden Hügeln. Hinter ihnen erhob sich das mächtige Massiv des Varan-Gebirges, mit seinen das ganze Jahr über mit Schnee bedeckten Gipfeln. Dort in den Hügeln begann die Geschichte, die er heute Abend seinen Zuhörern anlässlich des Festes erzählen wollte.
Julian musste lange mit sich ringen, den Einwohnern die Geschichte, die er als junger Bursche erlebte, zu erzählen. Am Ende siegte aber doch das Gefühl, mit der Vergangenheit endlich abschließen zu müssen. Lange Zeit galt Julian im Dorf als Eigenbrötler, als er sich vor vielen Jahren in Elveen niederließ. Die Einwohner mieden ihn, weil sie nicht wussten, was sie von dem Sonderling halten sollten.
Erst im Laufe der Zeit gelang es ihm den Schmerz hinter sich zu lassen, und nach vorne zu schauen. Mit einem leisen Ächzen erhob sich der alte Mann, mit seinem langen bis auf die Brust herabfallenden weißen Bart.
Seine schneeweißen Haare, die langsam dünner wurden, reichten ihm bis auf die Schultern herab. Auf seinem am oberen Ende gebogenen Stab gestützt ging Julian in das Haus zurück.
Vor der langen Truhe, die unter dem Fenster neben dem Eingang in einer Ecke stand, blieb er stehen. Mit dem Stab angelte er sich einen der Hocker und ließ sich darauf nieder. Es bereitete ihm einige Mühe den schweren Deckel der Kiste anzuheben, doch als er den Inhalt erblickte, fingen seine Augen zu glänzen an.
Mit einem Seufzer rückte er den Hocker näher an die Kiste, damit er besser deren Inhalt betrachten konnte. Nachdenklich strich Julian mit den vom Alter runzligen und fleckigen Händen über den oben liegenden verblichenen ausgewaschenen braunen Umhang.
Seine Rückenmuskeln strafften sich und mit einem Ruck setzte sich Julian gerade hin. Sein Blick wanderte zu dem Rechteck des Fensters, in dem man schon ganz deutlich die Abenddämmerung erkennen konnte. Der Inhalt der Truhe mahnte Julian, seine vermutlich letzte große Aufgabe in seinem Leben in Angriff zu nehmen.
„Die Suche nach einem Nachfolger“
Viel zu lange schon schob er diese Pflicht vor sich her, obwohl ihn die mahnende Stimme in seinem Inneren dazu drängte. Aber es war keine leichte Aufgabe, die auf die Schnelle erledigt werden konnte, denn sein Nachfolger musste einige Eigenschaften mitbringen, die er unbedingt vorweisen sollte.
Er musste eine gehörige Portion Mut, den Glauben an das Übernatürliche und absolute Verschwiegenheit mitbringen. Zudem benötigte sein Nachfolger einen wachen Verstand und körperliche Kraft, um die Aufgaben, die auf ihn warteten zu bewältigen.
Julian nahm den alten Umhang aus der Truhe und legte ihn auf den aufgeklappten Deckel. Unter ihm kamen ein Jagdbogen aus Eschenholz und ein Jagdmesser zum Vorschein. Beides legte er behutsam neben die Truhe auf die Bretter des Fußbodens. Mit seinen Fingern tastete er weiter suchend zwischen der Kleidung und anderen Gegenständen nach dem dicken Buch.
Seine Hände spürten unvermittelt weiches Leder, über das Julians Finger liebevoll und ehrfürchtig glitten. Bilder tauchten vor seinem geistigen Auge auf, bei denen auch nach so vielen Jahren eine oberflächlich verheilte Wunde aufgerissen wurde.
Der Jagdanzug aus feinem Hirschleder fing bei der Berührung in seinen Händen zu vibrieren an. Er schien nach all den Jahren noch Reste der Magie zu beherbergen, mit denen er einst in Berührung kam.
Doch Julian wusste, dass es nur die Erinnerungen waren, die seine Hände zitternd machten. Rasch schob er den Anzug beiseite und setzte seine Suche nach dem Buch fort. Julian fand es zuunterst in der Truhe zwischen Hosen und Hemden. Er nahm es heraus und legte es auf seine Oberschenkel. Dieses Buch erhielt Julian vor langer Zeit von seinem Lehrer, obgleich es ihm erschien, als wäre es erst gestern gewesen. Dieser weihte ihn in die Geheimnisse des Buches ein und bestimmte Julian zu seinem Nachfolger. Seine Augen schweiften zu dem Rechteck des Fensters und seine Gedanken glitten in weite Ferne.
Er musste an den Tag denken, als Gandulf sein Lehrer in sein Leben trat. Gandulf und der Troll Granak hatten sein Dasein mit einem Schlag verändert. Und nicht zuletzt das Einhorn, das mit einem gewaltigen Knall in sein Leben trat. Dieses Ereignis gab seinem bisherigen Leben eine Richtung, an die er zu dieser Zeit nicht in seinen kühnsten Träumen gedachte hätte.
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