Kisho würde misstrauisch, wenn er nicht innerhalb der nächsten beiden Tage mit den Hörnern auf der schwarzen Festung erschien. Er würde glauben Gallan wolle die Hörner für sich behalten und er würde ihn als Verräter abstempeln, was keinen Unterschied zu einem Versager machte. Das Ende war das Gleiche.
Alle Sucher des Barons, unterstützt von den Wurrler würden ihn jagen. Es gab dann in keiner der vielen Welten einen Ort, an dem er sich sicher vor den Nachstellungen und der Rache des Barons fühlen konnte. So oder so, der Baron würde ihn auf alle Fälle jagen, bis er sein vermeintliches Eigentum zurück bekam.
Eine neue Frage drängte sich Gallan förmlich auf. * Was hatte der Baron mit den Hörnern vor? * Gallan wusste von der Machtgier seines Herrn und er verspürte bei dieser offenen Frage einen kalten Schauer zwischen seinen Schulterblättern.
* Erhoffte sich der Baron durch die Hörner noch mehr magische Macht zu erlangen? Ja …, die Antwort lautete eindeutig ja. *
Seit Gallan in Kishos Dienste trat, handelten sich die meisten Aufträge um magische Artefakte, die er unbedingt in seinen Besitz bringen wollte. Er schickte seine Sucher in die entlegensten Welten, um diese Gegenstände zu stehlen. Zu diesem Zweck trug jeder seiner Sucher einen goldenen Ring mit einem roten Rubin, der mit den richtigen Worten das Tor zu anderen Welten öffnete.
Gallan wusste von einem Kristallschädel, den ein Volk in einer Welt die Jaselon hieß, als ihr Heiligtum verehrte. Kisho wählte zwei Sucher aus, die den Auftrag erhielten den Schädel zu stehlen egal wie. Viele Monate später kam einer der Sucher schwer verletzt und dem Tode nahe zurück.
In einem Leinensack überreichte er unter Aufbietung seiner letzten Kräfte dem Baron den Schädel und brach tot zusammen.
Weder eine würdige Bestattung oder ein Wort der Trauer, fand Kisho für nötig, nein er machte sich sogleich zu seiner Artenfaktenkammer auf und ließ sich vier Tage lang nicht sehen. Gallan und einige Sucher gaben ihrem Kameraden das letzte Geleit und beerdigten ihn außerhalb der Festungsmauern, nahe bei einem Hügel.
Oder der reich verzierte Opferdolch eines Stammes im Westen von Andoran, dem man nachsagte, er hielte die Seelen der geopferten gefangen. Kisho nahm sich selbst der Angelegenheit an und beseitigte so nebenbei den ganzen Stamm, um in den Besitz des Dolches zu kommen.
Es gab noch zahlreiche Beispiele von Kishos Gier nach solchen magischen Gegenständen und jeden, den er in seiner Kammer aufbewahrte, hatte eine Geschichte zu erzählen.
Gallan konzentrierte seine Gedanken wieder auf sein eigenes Dilemma. Selbst wenn er die abgeschlagenen Hörner an einem sicheren Ort versteckte, konnte er den Baron damit nicht unter Druck setzen. Kisho besaß perfide Mittel, um ihn zum Sprechen zu bringen und auch wenn Kisho ihn nicht sofort tötete, sondern in seine Kerker sperrte, kam es im Endeffekt auf dasselbe hinaus.
Mit Schaudern dachte Gallan an die nassen, dreckigen und finsteren Verliese in der Festung des Barons. In sie kam man zwar schnell hinein, aber nicht mehr heraus, solange der Baron nicht damit einverstanden war.
Keine seiner Überlegungen führte zu einem befriedigenden Ergebnis. Ihm blieb also nichts anderes übrig, als herauszufinden, wo sich die Stute versteckte.
Der Sucher zog seinen Speer aus der Erde und wandte sich um.
Gallan stieß einen lang gezogenen Pfiff aus, dem ein leises Wiehern antwortete. Am Kamm des Hügels erschien ein nachtschwarzer Rappe, der sich im Schritt auf seinen Herrn zubewegte und dann regungslos neben ihm stehen blieb. Der Sucher befestigte seinen Speer mit den dafür vorgesehenen Riemen neben dem Sattel und bestieg mit einem eleganten Schwung sein Pferd.
*Es bleibt dir nichts anderes übrig, als alle erreichbaren Welten nach der Stute abzusuchen, * dachte er sich beim Aufsteigen. »Jarduk alter Junge wir haben noch eine Menge zu erledigen,« sagte er mehr zu sich selbst als zu dem Rappen.
Gallan streifte seinen linken Handschuh ab blickte kurz auf den Ring und sprach die Formel, die den Ring zum Leben erweckte. Der goldene Ring mit dem daumennagelgroßen Rubin glühte blutrot auf.
Ein feiner roter Lichtstrahl verließ den Ring, wanderte über Jarduks Ohren hinweg immer weiter nach vorne, bis er zehn Schritte entfernt plötzlich verharrte. Ein kleiner Kreis entstand, der sich rasch vergrößerte. Die Ränder des Kreises gerieten in eine wirbelnde Bewegung, die schneller und schneller wurde, während sich das Gebilde langsam ausdehnte.
Im Zentrum des wirbelnden Objekts herrschte tiefschwarze Dunkelheit, die allmählich bis auf einen schmalen Rand den Ring ausfüllte. Gallan wartete, bis ihm die Öffnung für Pferd und Reiter groß genug erschien, dann gab er seinem Rappen die Sporen.
Mit einem bemerkenswerten Satz nach vorne verschwanden beide in der von Blitzen erleuchteten wirbelnden Luft. Wie Geister lösten sich Reiter und Pferd in der nebligen Luft auf, als sich der Übergang in die andere Welt schloss. Ein lauter Donner erschütterte die Erde und die Senke mit den verendeten Einhörnern erzitterte.
Gallan sah die kleine Gestalt mit dem grauen Gesicht nicht mehr. Mit tränenfeuchten Augen verfolgte die Gestalt verdeckt vom hohen Gras hinter einem Baum, wie Gallan sich daran machte Riana zu verfolgen.
Der Weltenwächter
Verden
Irgendetwas hatte ihn geweckt. Gandulf schreckte von der strohgefüllten Unterlage seiner Schlafstatt hoch und versuchte sich in der Dunkelheit, die in seinem Zimmer herrschte zu orientieren. Sein Kopf dröhnte von dem Donnerhall, der sein Innerstes zum Schwingen gebracht hatte.
Gandulf wusste, was dieses „Geräusch“ bedeutete.
Ein Wesen aus einer anderen Sphäre hatte die Grenze in diese Welt überschritten. Bei diesem Vorgang öffnete sich eine Membran, die sich mit lautem Knall wieder schloss. Der Donner entstand beim Schließen der Membrane und war für ihn das Zeichen sich auf die Suche nach diesem Wesen zu begeben.
Nur ein „Wächter“ vernahm diese Detonation.
Sie glich keinem Donnerschlag, wie jener, der ein Gewitter begleitete. Vielmehr brachte die Erschütterung der Membrane sein Innerstes zum Vibrieren. Normalen Menschen blieb dieses Phänomen verborgen, denn ihnen fehlte das Wissen und das Gespür für einen solchen Vorgang.
Diese unsichtbare Außenhaut, wenn man so wollte, hielt die unzähligen Welten, welche auf verschiedenen Ebenen nebeneinander existierten, davon ab sich zu überschneiden oder zu kollidieren.
Eine kleine Schar Weltenwächter, die diese Gabe besaßen, wachte darüber, dass kein Lebewesen aus einer anderen Welt das Gleichgewicht dieses Lebensbereichs gefährdete. Es geschah aber dennoch, dass sich Bewohner anderer Welten verirrten und nicht mehr zurück fanden, oder einfach nicht mehr in ihren Lebensraum wollten.
Dann wurden die Weltenwächter aktiv.
Es wäre zum Beispiel ein prekärer Umstand, für die Bewohner dieser Welt, wenn ein rot geschuppter Feuerdrache von Vulkan hier auftauchte.
Er würde ohne lange zu zögern alles in Schutt und Asche legen. Glücklicherweise gab es nur wenige magische Wesen, die mit ihren Fähigkeiten dazu in der Lage waren. Viel öfter geschah es jedoch, dass sich irgendeins gerade zufällig an den Schnittpunkten zweier Welten befand und sie unbewusst überschritt.
Gandulfs Aufgabe, oder die der anderen „Wächter“ bestand dann darin diese Wesen in ihre Welt zurückzuführen, was freilich nicht immer eine leichte Angelegenheit darstellte.
Mühsam, noch schlaftrunken schälte sich Gandulf aus der Decke, die ihn gegen die nächtliche Kälte schützte und schlüpfte in seine Stiefel. Durch das kleine Fenster seiner Schlafkammer fiel ein schmaler Streifen Mondlicht an sein Bett, der ihm half, sich zurechtzufinden.
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