Gandulf stand vom Bett auf und ging zur Tür. Wenig später stützte er sich auf dem Geländer der Veranda ab, und blickte zu einem sternenklaren Himmel auf, an dem die volle Scheibe des Mondes sein Licht über die Wolfshügel ergoss.
Als schwarzer Schatten zeichnete sich die schlanke Gestalt des Wächters gegen den Mondschein ab, als er seine linke Hand hob und den Ring, den er trug betrachtete. Der Stärke der Schwingungen nach zu urteilen, musste der ungebetene Gast in der näheren Umgebung in diese Welt gekommen sein.
Schwach glühte der Smaragd in der Fassung des Ringes auf, als ihn Gandulf anhob. Diesen Ring bekam Gandulf von seinem Lehrer Orwin, der ihn an ihn weitergab, nachdem er ihn zu seinem Nachfolger bestimmte.
Dieser Ring, so berichtete Orwin, sei mit den ersten Wächtern, vor langer, sehr langer Zeit auf diese Welt gekommen und seither vom Lehrer auf den Schüler übertragen worden. Dieser Ring weise ihm stets die Richtung, in der er nach dem Eindringling zu suchen hatte.
Gandulf vollführte mit der Hand eine geschwungene Bewegung, indem er sie von Süd nach Nord schwenkte. Je weiter der Ring nach Norden zeigte, umso intensiver begann der Stein des Rings, zu glühen.
* Nordost *, stellte Gandulf befriedigt fest. Nach einer letzten Überprüfung der Richtung, in der das Wesen aus der anderen Welt zu finden war, überlegte er, ob es sinnvoll war in dieser Nacht noch danach zu suchen. Nach einigem Abwägen kam er zu dem Schluss, es trotzdem zu versuchen. Je eher er sich aufmachte um so frischer war die Spur.
Der Mond stand etwa eine Handbreit über den Ausläufern der Hügel im Osten und überschüttete die Landschaft mit silbrigem Licht. Die Sterne des schwarzen Nachthimmels glänzten wie Diamanten in den verschiedensten Größen, und funkelten in voller Pracht. Alles schien ruhig und friedlich, nur das gelegentliche Schnauben oder Scharren eines Pferdes auf der Koppel klang hin und wieder zu ihm herüber.
Gandulf begab sich ins Haus zurück, nachdem er einen letzten prüfenden Blick in die Richtung warf, in die er reiten wollte. Er nahm vom Haken, der in der Wand neben der Türe steckte seinen Bogen mit dem Köcher, den er sich über die Schulter warf. Anschließend holte er die Satteltaschen und legte den Gürtel mit dem Jagdmesser um.
Ohne Eile packte er in der Küche etwas Proviant in die Taschen und machte sich auf den Weg zum Stall. Dort suchte er sich ein weißbraun geflecktes Pony aus, sattelte es und führte es hinaus auf den Hof. Das Licht des Mondes reichte aus, um ohne Gefahr losreiten zu können. Wenn er Glück hatte, lag das Wesen noch in dem Schockzustand, der den Übertritt begleitete. Dies war eine der Nebenwirkungen, die dabei auftraten.
Je nach der körperlichen Verfassung des Wesens, das hier eingedrungen war, konnten Stunden vergehen, bis es sich davon erholte.
Gandulf blickte noch einmal zum Haus, das im dunklen Schatten der Scheune lag, dann saß er auf und ritt im Schritt vom Hof. An den Bienenstöcken bei den alten Eichen vorbei lenkte Gandulf seine Stute nach Nordosten, direkt auf die Hügel zu. Je weiter er sich von der Farm entfernte, um so deutlicher spürte er die Ausstrahlung des Wesens, das in diese Welt eingedrungen war. Mit halb geschlossenen Augen ritt er weiter, die Stute nur mit den Füßen lenkend.
Nebenbei kreisten seine Gedanken um die Frage, welchem Lebewesen es diesmal gelungen sein mochte die Grenzen seiner Welt zu überschreiten, und hier zu landen. Handelte es sich dabei um ein intelligentes Wesen, welches Magie verwendete, oder um eines das die Grenze unabsichtlich überschritten hatte? Meistens kamen sie den Abgrenzungen, ohne es zu ahnen zu nahe und fanden sich unversehens in einer anderen Welt wieder.
Dabei musste Gandulf unwillkürlich an die riesenhafte Raupe denken, mit der er es vor vielen Jahren zu tun bekam. Mit einem Donnerschlag, der Gandulf wochenlange Kopfschmerzen einbrachte, landete diese Kreatur nahe bei Panderan, einer großen Stadt in der Tiefebene nahe dem Meer. Kaum ließ der Schock des Übertritts bei der Raupe nach, machte sie sich über die Felder und Obstgärten der Bauern her. Eine breite Spur der Verwüstung begleitete die Spur dieses unersättlichen Monstrums, das eine Länge von zwei Wagengespannen und zehn Schritte im Durchmesser hatte.
Nur gut, dass die Raupe sich nicht schnell fortbewegte, sonst wären auch Menschen zu Schaden gekommen. Dieses Wesen schützte ein Chitinpanzer, den selbst die schwersten Katapultspeere nicht durchdringen konnten und es so praktisch unverwundbar machte. Die lächerlichen Versuche einiger Ritter, der Raupe mit ihren Turnierlanzen und Schwertern beizukommen, störten die Raupe nicht im Geringsten.
Bald setzten sie sich dem Gelächter der Zuschauer aus, die ihnen bei ihren verbissenen Bemühungen zusahen, dem Ungeheuer beizukommen. Binnen Kurzem jedoch machte sich Verzweiflung über die Plage breit, die wie einige Priester behaupteten, von den Göttern geschickt wurde, um die Menschen zu strafen.
Gandulf, der sich die Bemühungen der Ritter und Bauern die Raupe zu töten oder zu vertreiben aus sicherer Entfernung ansah, wartete einen günstigen Augenblick ab.
Eines Abends, als Gandulf keine Beobachter befürchten musste, beförderte er die Kreatur in seine Welt zurück. Es blieb den Menschen ein Rätsel, wohin das gefräßige Tier verschwunden war. Noch heute geisterte die Raupe als Lindwurm durch die Geschichten und Sagen dieser Gegend. Gandulf erledigte seine Aufgabe im Geheimen und jeder der ihn kannte hielt ihn für den harmlosen Pferdezüchter aus den Wolfshügeln. Aber es gab auch andere Zeitgenossen, die eine größere Gefahr für diese Welt und ihre Bewohner darstellten.
Gandulf musste dabei an die beiden Blutsauger denken, die vor gar nicht so langer Zeit die Najim, ein Wüstenvolk terrorisierten und unzählige Leichen hinterließen. Gandulf traf eine Woche nach der Ankunft der Blutsauger in der Wüstenstadt Na-Talim ein.
Diese unbedeutende Stadt lag am Rande der großen Salzwüste, deren Lehmgebäude sich unter der unerträglichen Hitze der alles versengenden Sonne dicht gedrängt zusammen quetschten. Argwöhnisch folgten Gandulf die Blicke der Bewohner, die sich Najim nannten, als er die einzige Straße die durch die Stadt führte ritt und vor einer kleinen Herberge abstieg. Nachdem Gandulf sein Pferd versorgt wusste, machte er sich vorsichtig daran die Wesen aus der anderen Welt zu suchen, stieß bei den Bewohnern aber auf eine Mauer des Schweigens.
Der Wirt der Herberge, ein mürrischer alter Mann, der keinen Hehl aus seiner Abneigung Gandulf gegenüber machte, knurrte auf jede Frage, die Gandulf ihm stellte, stets ein undeutliches, »keine Ahnung«.
Gandulf wusste, dass sich das Wesen in der Nähe aufhalten musste, weil er ganz schwach seine Schwingungen empfing.
Undeutlich und verschwommen so kamen sie bei ihm an, als wolle das Wesen nicht, dass es entdeckt werden konnte. Gandulf kam zu der Überzeugung, hier ein vernunftbegabtes Wesen zu suchen, das sich vor ihm verbarg.
* Warum zeigte sich das Wesen nicht, oder besser gefragt, was führte es im Schilde? * Um das herauszufinden, benötigte er Hilfe, aber er wusste nicht, woher die kommen sollte, bis ihm eines Tages der Zufall zu Hilfe kam. Oft genug bekam Gandulf zu hören, er solle verschwinden und sich um seine Sachen kümmern und nicht die Nase in fremde Angelegenheiten stecken. Die Najim wollten niemanden der herumschnüffelte und Staub aufwirbelte.
Eines Nachts, Gandulf lag im Bett seiner Herberge und versuchte zu schlafen, als ihn ein leises Geräusch aufmerksam werden ließ. Aus halb geöffneten Augen beobachtete er einen Schatten, der fast lautlos durch das Fenster gekrochen kam. Nur das leise schabende Geräusch seiner Kleidung hatte ihn verraten. Vorsichtig näherte sich der Schatten seinem Sattel in der Ecke des Raumes und machte sich an den Taschen zu schaffen.
Читать дальше