Trotz der Hilfe der Elementarkräfte war dies eine körperlich harte Arbeit. Sie mussten einen weiteren Tag für die Waldarbeit verwenden, um das ganze Holz für den Hausbau der jungen Familie in dem Ort Gran Bellisen zusammen zu bekommen. Die Arbeitspläne hatten sie bereits angefertigt und die Berechnungen angestellt, um später an den richtigen Stellen die Holzverbindungen auszuarbeiten. So ließ sich die Holzkonstruktion nachher einfach zusammenfügen und mit Holzschrauben aus härterem Holz verbinden.
Ja, die Samobalikis bauten zumeist Holzhäuser. Nur vereinzelt mauerten sie mit Stein oder Lehmziegeln. Da das Klima fortwährend warm und angenehm war, reichten leichte Konstruktionen. Oft wurden nicht einmal Gläser eingesetzt. Ein Dach mit großen Überständen, gedeckt mit gebrannten Tonziegeln, sorgte dafür, dass der oft reiche Regen nicht in das Innere des Hauses gelangte.
Bevor die Sonne unterging, waren die Fünf in ihr Haus am Rande von Gran Bellisen zurückgekehrt. Das Haus lag auf einer kleinen Anhöhe keine fünfzig Meter entfernt von dem Fluss Isen, den man hinter dem Uferwald plätschern hörte. Dazwischen lag eine große Wiese, auf denen Pferde, Kühe und Schafe grasten. Die Fünf ließen ihre Pferde auf die Wiese und gaben ihnen für die Tagesarbeit zum Dank einige Körner Getreide und Obst. In der Küche machte sich bereits Jabos Frau zu schaffen. Sie hieß Pia, war etwas jünger als Jabo und ebenfalls Einheimische, eine rundliche Frau mit einem gütigen Blick. Die Ankömmlinge wurden herzlich begrüßt und mit einem herrlich duftenden Abendessen empfangen. Dankbar setzen sich an den Tisch und machten sich hungrig darüber her.
Satt und müde, doch noch nicht ausreichend bettschwer, nahm Mikel seine Flöte, Amon seine Trommeln und Linus seine Gitarre, und schon spielten sie lustige Weisen. Britta stimmte ein und sang dazu. Jabo und Pia hatten Spaß und summten die Melodie oder klatschten im Takt. Als die beiden zu späterer Stunde Abschied nahmen und zu ihrem nicht weit entfernten Haus im selben Ort aufbrachen, musizierten auch die vier Hausbewohner nicht mehr lange, sondern zogen sich für die Nacht in ihre Zimmer zurück.
An einem Tag in der Woche pflegten die Samobalikis auszuruhen. Dann dankten sie ihren Göttern für den Reichtum, den sie besaßen, genossen die Freude am Leben und unternahmen, wonach ihnen der Sinn stand, zum Beispiel einen Ausflug, Musizieren, Theater zu spielen oder Jemanden zu besuchen. Die Samobalikis nannten ihn den Tag der Götter.
Eine Brieftaube brachte Linus die Nachricht, dass seine Schwester Mira an diesem Tag zu Besuch kommen wolle. Sie würde jemanden namens Ult mitbringen, ein verwegener Reisender, der nach zehn Jahren Abwesenheit nach Samobali zurückgekehrt war. Das hörte sich spannend an, und sämtliche Hausbesucher freuten sich auf den Besuch aus der großen Stadt Citta am Lichtsee, die etwa 30 Kilometer entfernt lag und in der Mira Falong lebte. Üblicherweise kamen hier die Schiffe an, die ihre Ladung zum Handel anbieten wollten. Scheinbar hatte Ult auf seinen Reisen den Händler Michelunka getroffen, der ihn dann nach Samobali zurückbrachte. So musste auch Amons Schwester Wita wieder in Samobali sein.
Besonders freute sich Amon über den Besuch von Mira. Er hatte sich in sie verliebt. Mira war eine Schönheit, graziös, lange, schwarze Haare, strahlend blaue Augen, elfenhafte Gesichtszüge, und hatte die von Männern geliebten Kurven einer Frau in vorzüglicher Weise mitbekommen, einfach ein glückliches Geschöpf. Glücklich war Amon deshalb, weil Mira die Sympathie, die er für sie empfand, erwiderte. Noch waren sie kein Paar, aber sie hatten aneinander geschnuppert und es könnte etwas daraus werden.
Es war kurz bevor die Sonne den Höhepunkt über dem Horizont erreichte, als Mira und Ult eintrafen. Ult hatte die Statur eines Kriegers, kräftig gebaut, fast zwei Meter groß, 30 Lenze alt, blondhaarig gelockt, ein kräftiger, dunkler Bart, blaue Augen. Ein paar kleinere Narben im Gesicht und an den Händen zeigten, dass er wohl hatte kämpfen müssen. Er war mit einem umgehängten Schwert und Messern an den Gürteln bewaffnet, was in Samobali eher unüblich war. Mira lächelte Amon sonnig an, aber er spürte, dass sie etwas bedrückte. Sie umarmten sich lange, und auch Ult wurde, obwohl er vor Waffen strotzte, herzlich empfangen. Man kannte ihn von einem Nachbardorf, das er vor zehn Jahren verließ. Amon erinnerte sich nicht an ihn. Seine Eltern lebten zu diesem Zeitpunkt noch in Medrich, einem Ort in einem anderen Bezirk im Norden der Insel. Man lud die beiden zum Mittagsmahl ein und schon bald fing Ult an zu erzählen.
Ult hatte auf dem Westkontinent einige aufständische Nester der Menschen besucht. Amon erfuhr zu seiner Überraschung, dass Ult seinen Bruder Gorgen getroffen hatte. Er halte sich in einem Stollen unterhalb der Dumpo-Hauptstadt Hatallma auf, aus denen heraus sie einen erbitterten Überlebenskampf führen würden. Die Dumpos, die nicht selbst arbeiteten, versuchten die Menschen in den Stollen auszulöschen. Sie siedelten Rottas an, die sich rasch in Höhlen auf den Schreckensinseln ausbreiteten. Rottas waren rattenartige Wesen, doch liefen sie auf zwei Beinen und waren nur etwa zwergengroß. Innerhalb weniger Jahre wurde den Dumpos klar, dass sie einen Fehler begangen hatten. Die Rottas vermehrten sich rasant. Als ihre Beutezüge gegen die Menschen in den Stollen wegen deren heftigem Widerstand nicht genug Beute brachte, um der schnell wachsenden Horde Futter zu bieten, griffen sie auch in der Oberwelt an. Sie erbeuteten Sklaven und unaufmerksame Dumpos oder deren Haustiere.
Die Dumpos holten sich aus diesem Grunde das nächste schreckliche Wesen heran, das inzwischen auf den Schreckensinseln die Herrschaft übernahm, die Warmardare. Warmardare waren die absoluten Killerwesen. Sie waren etwas größer als Menschen, mehr als doppelt so schnell und etwa siebenmal so kräftig. Sie hatten schwarze Nasen, spitze Zähne, funkelnde, schwarze Augen und waren vollkommen behaart. Die Dumpos zogen ihnen Uniformen an und versprachen ihnen reichhaltige Beute. So begannen die Warmardare unter den Rottas aufzuräumen. Ab und zu wurde auch ein Mensch in den Stollen ihr Opfer. Doch auch mit ihnen bekamen die Dumpos Schwierigkeiten. Denn die Warmardare hielten sich nicht an die Absprachen. Sie verselbstständigten sich und bildeten bald Gangs mit eigenen Gesetzen.
So war das Leben in den Stollen für die Menschen die reinste Hölle. In den Gängen drohten Angriffe der Rottas und ab und zu verfolgte sie auch ein Warmardar, die nur mit größter Mühe zu besiegen waren. Die Menschen hatten mit aufwendigen Spiegeln etwas Sonnenlicht unter die Erde gebracht. Da der Großteil der Stollen aber dämmrig blieb, ernähren sich die tausend Krieger und Kriegerinnen hauptsächlich von gezüchteten Pilzen. Gorgen sähe jedenfalls entsprechend bleich aus, berichtete Ult weiter. Er habe eine Frau, eine Kriegerin, gefunden, und sie hätten mittlerweile ein gemeinsames Kind, einen Sohn im Alter von knapp einem Jahr. Gorgen würde gerne der Hölle den Rücken kehren und mit seiner Familie zurück nach Samobali reisen. Er hätte den Überlebenskampf in den Tunneln satt. Doch die Tunnel mit seiner Familie lebend zu verlassen gestalte sich schwierig. Und noch schwieriger wäre es, ein geeignetes Gefährt für die Seereise nach Samobali zu finden.
Ult selbst wurde von Dumpos im Süden Sadinos ergriffen, als er von seinem Besuch in der Wüste bei einem anderen Widerstandsnest der Menschen zurück an die Küste gelangen wollte. Er wurde versklavt und nach Hatallma gebracht. Dort konnte er entkommen und gelangte wie durch ein Wunder unbehelligt in die Tunnel der Menschen. Fast wäre er geradewegs in ein Rottaloch hineingelaufen. Doch ein Mensch entdeckte und bewahrte ihn vor dieser tödlichen Gefahr. Mit Hilfe der Menschen fand er auch wieder hinaus. Ausreichend bewaffnet, durchquerte er die stinkenden Kanäle Hatallmas in einem rostigen Fass bis ans Meer. Dort fischte ihn der Händler Michelunka aus dem Kanal, der mit seinem Schiff auf ihn wartete.
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