Jan-Peter Schneider
Auf der Via Tolosana
Die abenteuerlichen Erlebnisse eines Wanderers
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Inhaltsverzeichnis
Titel Jan-Peter Schneider Auf der Via Tolosana Die abenteuerlichen Erlebnisse eines Wanderers Dieses ebook wurde erstellt bei
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Impressum neobooks
Kapitel 1
1. Arles – Saint Gilles du Gard: Das Abenteuer beginnt
Eine innere Stimme drängt mich zum Aufbruch. Die Via Tolosana, eine der wildesten und unberührtesten Wanderstrecken in Europa, ruft immer lauter. Die Via Tolosana führt von Arles durch das Rhônes-Delta, streift die zerklüfteten Ausläufer der Cevennen, schlängelt sich um die Rigole de la Plaine, durchzieht die sanfte Hügellandschaft der Gascogne und erklimmt schließlich in den Pyrenäen, auf steilen und gefährlichen Bergpfaden, den Col du Somport. Am Rande der Via Tolosana, die als „Grande Randonnée 653“ zum Netz europäischer Fernwanderwege gehört, erwarten mich einige bedeutende kulturhistorische Zeugnisse aus der Zeit des Römischen Reiches.
Aber noch stehe ich bewundernd vor dem Hauptportal des Amphitheaters von Arles. Durch mehrere Reihen aus breiten Steinbögen hindurch erhasche ich einen Blick auf die Arena und die steil ansteigenden Zuschauerränge. In römischer Zeit hatte das Amphitheater ein Fassungsvermögen von 25.000 Zuschauern. Ein raffiniertes System aus Auf- und Abgängen ermöglichte es den Ausrichtern der Gladiatorenspiele, die große Anzahl von Zuschauern innerhalb weniger Minuten auf ihre Sitzplätze zu leiten und, nach Abschluss der Veranstaltung, in genauso kurzer Zeit auch wieder zu evakuieren. Eine ingenieurstechnische Meisterleistung! Beim Anblick der Arena fällt es einem nicht schwer, die spannungsgeladene Atmosphäre zu erahnen, die bei einem Gladiatorenkampf auf den Rängen geherrscht haben muss: Unter Fanfarenklängen betreten zwei Gladiatoren die Arena und stellen sich unter dem Jubel des Publikums in der Mitte auf. Kaum hat der Schiedsrichter, in weißer Toga gekleidet, den Stab gesenkt, stoßen die beiden Schilder – unter dem Johlen der Zuschauer – krachend gegeneinander. Eilig holt der Murmillo zu einem Schlag mit dem Kurzschwert aus, doch der Thraex zieht sich flink zurück. Anfeuerungsrufe der Zuschauer schallen durch die Arena. Mit seinem kleinen gewölbten Schild tänzelt der Thraex leichtfüßig um den Murmillo herum, während dieser mit dem großen Rechteckschild schwerfällig um seine eigene Achse tapst. Der Thraex hebt sein Krummschwert drohend zum Schlag, doch der Murmillo versteckt sich geschickt hinter seinem großen Schild. Plötzlich springt der Thraex vorwärts und schlägt mit dem Krummschwert zu. Holz splittert. Der Murmillo wankt unter dem Schlag, ächzt unter dem Gewicht seines großen Rechteckschildes, fängt sich aber wieder. Im direkten Gegenzug schlägt er – unter dem begeisterten Toben der Zuschauer – mit seinem Kurzschwert zurück, erwischt den Armschutz des Thraex. Leichtfüßig weicht der Thraex zurück, hält aber den blutenden Schlagarm nur noch unter großen Schmerzen oben. Der Murmillo, der nun seine Chance wittert, tapst auf den verwundeten Thraex zu und schlägt mit seinem Kurzschwert heftig auf den Oberkörper ein. Der Thraex kann gerade noch sein kleines Schild zur Abwehr heben, dann kracht das Kurzschwert schon gegen sein Schild, bevor er strauchelt und – unter dem Johlen der Zuschauer – auf den Boden stürzt. Mit einem Satz steht der Murmillo mit gezücktem Schwert über ihm, bereit ihm in die Kehle zu stoßen. Als der Thraex das Schwert fallen lässt und die Hand hebt, schreitet der Schiedsrichter mit seinem Stab ein und beendet den Kampf. Unter dem Beifall der Zuschauer verlassen die beiden Gladiatoren die Arena, während der Ausrichter bereits den nächsten Programmpunkt ankündigt: Hinrichtung ad bestiam. Als die zum Tode Verurteilten – in Begleitung von bewaffneten Soldaten – die Arena betreten, ist aus dem Untergeschoss des Amphitheaters bereits das Brüllen der wilden Raubtiere zu hören. Die Zuschauer auf den Rängen johlen höhnisch: „Mörder!“ „Verfluchte Aufständische!“ Die Toten der Gladiatorenkämpfe wurden vor den Stadttoren von Arles auf dem Alyscamp an der Via Aurelia beerdigt, einer römischen Fernstraße, die Arles unter anderem mit Aix-en-Provence, Genua, Pisa und Rom verband. Der Name der Nekropole, Alyscamp, spielt auf das Elysium, die paradiesische Insel der Seligen, an, auf der die Götter nach griechischer Mythologie die von ihnen besonders geliebten Helden entrückten, wenn sie ihnen Unsterblichkeit schenkten.
„Die Gladiatorenkämpfe“, sinniere ich mit Blick auf das großartige Amphitheater, während mich ein Café au lait erwärmt, „boten den Zuschauern eine willkommene Abwechslung von ihrem Alltagsleben. Die Ausrichter sorgten mit kampferprobten Gladiatoren und furchteinflößenden Raubtieren aus allen Teilen des Römischen Reiches für spektakuläre Kämpfe. Im Rahmen der Gladiatorenspiele führten die Ausrichter aber auch blutige Hinrichtungen von Kriegsgefangenen und verurteilten Straftätern durch. Diese drakonischen Strafen sicherten – durch öffentliche Demütigung der Verurteilten und durch Einschüchterung der Bevölkerung – die Macht der römischen Aristokraten. Mit der Ausrichtung solcher Gladiatorenkämpfe“, schlürfe ich nachdenklich den Café au lait, „konnte die Unzufriedenheit der einfachen Bevölkerung, vor allem den Missmut über ihre miserablen Lebensverhältnissen in beengten Mietblöcken, die Verbitterung über die niedrigen Arbeitslöhne, die Verärgerung über die teilweise kaum bezahlbaren Lebensmittelpreise, überdeckt werden. Zudem konnten sich die Sponsoren der Gladiatorenspiele die Zustimmung und Unterstützung der einfachen Bürger bei Wahlen zu öffentlichen Ämtern sichern.“
Gegen Mittag drängt mich die innere Stimme unüberhörbar zum Aufbruch. Mit einem widerwilligen Ruck schultere ich den Rucksack, der mir in diesem Augenblick noch federleicht erscheint, und breche zur ersten Etappe der Via Tolosana auf. Gegenüber der Kathedrale Saint Trophime flattern gleich mehrere Trikoloren an der Fassade des Rathauses. Kaum habe ich den Rathausplatz überquert, pfeift mir in der Rue de la République bereits ein kühler Wind entgegen und die wenigen Passanten hasten mit zerzausten Kleidern durch die Gasse. Kurz vor der Trinquetaille-Brücke spricht mich ein älterer Herr mit kleinem Rucksack von der Seite an: „Gehst du etwa auf die Via Tolosana?“ „Ja,“ entgegne ich „Sie etwa auch?“ und deute auf seinen Rucksack. „Nein,“ antwortet er lachend, „aber vor einigen Jahren bin ich selbst auf der Via Tolosana und dem Camino Francès nach Santiago gewandert.“ Dann mustert er mit einem Blick meine Ausrüstung „Hast du denn keinen Wanderstab dabei?“ „Nein. Braucht man denn einen?“ frage ich skeptisch. „Ja, klar, um dich gegen bösartige Hunde zur Wehr zu setzen. Du schlägst Ihnen auf die Schnauze und sie lassen von dir ab.“ erklärt er mit einem spitzbübischen Lächeln. „Und wenn der Weg über kleine Bäche oder durch sumpfiges Gelände führt, kannst du dich auf dem Wanderstab abstützen.“ Ich merke schon: Die Wanderung auf der Via Tolosana verspricht wirklich ein spannendes Abenteuer zu werden. Je näher wir der Rhône kommen, desto kräftiger zerrt der Luftzug an mir und meinem Rucksack. Auf der Trinquetaille-Brücke schließlich brausen derart heftige Sturmböen, dass ich mich dem Wind mit aller Kraft entgegenstemmen muss, um nicht auf den Boden geworfen zu werden. „Heute bläst aber ein kräftiger Mistral.“, bemerkt der ältere Herr trocken. Tatsächlich peitscht der Mistral die Rhône zu meterhohen, schäumenden Wellen auf und treibt diese stromabwärts Richtung Mittelmeer. „In dieser Jahreszeit musst du auf den Etappen in den Cevennen mit Niederschlag und niedrigen Temperaturen rechnen.“ gibt der ältere Herr mir noch mit auf den Weg, bevor er sich auf der anderen Seite der Rhône mit einem freundlichen „Bonne chance!“ verabschiedet.
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