1 ...6 7 8 10 11 12 ...19 Seufzend legte ich die Füße auf den schweren, alten Schreibtisch meines verstorbenen Patenonkels, und lehnte mich im Sessel zurück.
Claire ging mir unter die Haut. Sie hatte etwas an sich, das mich berührte, mich anzog, wie die Motte das Licht. Sie war atemberaubend schön, mit ihrem herzförmigen Gesicht, den langen blonden Haaren, die in der Sonne wie ein Strahlenkranz um ihren Kopf leuchteten, und ihren smaragdgrünen Augen, in denen kleine braune Pünktchen funkelten, wenn sie wütend war. Ein amüsiertes Grinsen hob meine Mundwinkel, als ich mich an ihre funkelnden Augen erinnerte, die sie mir mit einem überraschend zornigen Blick gezeigt hatte. Diese Frau hatte nicht die geringste Ahnung, wie unglaublich sexy sie war, wenn sie ihre Wut zeigte. Gespannt wie eine Feder hatte sie vor mir gestanden, der zierliche Körper hatte gebebt, vor unterdrücktem Zorn. Ihre vollen Lippen hatten sich geöffnet, als müsse sie nach Luft japsen und als ihre kleine Zunge vorschnellte und die Lippen benetzte, musste ich mich zusammenreißen, um nicht laut aufzustöhnen. Hingerissen hatte ich ihr nachgesehen und schamlos ihren süßen Hintern bewundert, als sie sich vor der Spülmaschine bückte. Das brachte mir einen tadelnden Blick von Bella ein, deren Anwesenheit ich zugegebenermaßen vergessen hatte.
Als ich dann jedoch Claires bebende Schultern sah, kam ich mir vor wie der allerletzte Arsch. Verdammt, sie weinte und ich war auch noch schuld daran. Dabei war ich nur überrascht über Claires Backkünste ….
In Ordnung, ich war tatsächlich ein Arsch. Sie konnte ja nicht wissen, dass die bisherigen Frauen in meinem Leben nicht mal Tütensuppe zubereiten konnten, ohne sie anbrennen zu lassen. Vivian hatte es beim Rührei braten immerhin zu einem Küchenbrand gebracht, und an das Mikrowellenkuchen Experiment von Sonja, einer Gelegenheitsfreundin, wollte ich besser nicht denken, obwohl ich durch sie jetzt immerhin wusste, dass eine Mikrowelle explodieren kann. So gesehen war eine Frau, die Apfelstrudel buk, und anschließend die Küche noch nutzbar war, wirklich eine Überraschung für mich.
Claire konnte all das jedoch nicht wissen. Sie fühlte sich angegriffen und das zu Recht. Hinzu kam, dass sie bei diesem Ungeheuer schlechter als ein Tier behandelt wurde und es ihr dadurch an Selbstvertrauen fehlte.
Als ich zu ihr ging und sie vor einem Sturz bewahrte, hörte ich auf zu denken. Ich handelte instinktiv, indem ich sie in eine Umarmung zog.
Claire hielt nur schwer Berührungen aus, was bei ihrer Vergangenheit nachvollziehbar war. Ich hatte sie förmlich damit überrumpelt und ja, es war nicht ungefährlich, was ich getan hatte. Sie hatte sich gewehrt, ihre Fäuste gegen meine Brust gestemmt und ich hätte sie sofort losgelassen, wenn nicht ihr ganzer Körper das genaue Gegenteil ausgedrückt hätte, indem er sich regelrecht an mich presste. Claire sehnte sich nach Berührungen, doch ihre Überlebensinstinkte warnten sie davor. Dass sie in meinen Armen die Kontrolle über sich abgeben konnte, löste etwas in mir aus, das ich mir nicht erklären konnte. Es war nicht nur das Bedürfnis, eine traumatisierte Frau zu trösten und ihr Schutz zu geben. Da war mehr. Und genau dieses Mehr bereitete mir Kopfzerbrechen. Sie weckte meinen Beschützerinstinkt, aber auch mein Verlangen.
Verärgert über den Weg, den meine Gedanken gingen, fuhr ich mir durch die Haare und verschränkte die Hände im Nacken. Mein Blick ging zur obersten Schreibtischschublade, die ich vor ein paar Minuten erst verschlossen hatte. Ich bewahrte darin hochsensible Papiere auf, zu denen auch Claires Akte gehörte. Es handelte sich nicht um ihre Scheidungspapiere, die lagen in meinem Büro bei Gericht. Es war eine Akte, die Ralph erstellt hatte und deren Inhalt nur ihm, Kim und mir bekannt war.
Eigentlich war ich bisher davon überzeugt, dass mich nichts mehr erschrecken könnte. Das, was Claire widerfahren war, ging jedoch über meine Vorstellungskraft hinaus. Es gab Unmengen an Bild- und Videomaterial, auf dem die abscheulichsten Dinge zu sehen waren. Benedikt von Erlenfels hatte seine Kunden heimlich gefilmt, um sie später damit zu erpressen.
Ralph und seine Leute hatten in der Villa einen Folterkeller vorgefunden, der über alles hinausging, was ich jemals gesehen hatte. Auf fast dem gesamten Filmmaterial war Claire zu sehen. Dieses Schwein hatte sie verkauft und verliehen, wie einen Putzlappen. Er hatte ihr ihre Würde als Mensch genommen und sie seinen perversen Freunden überlassen. Diesem Abschaum ging es nicht um Sex, sie holten sich ihren Kick, wenn sie einen wehrlosen Menschen quälen durften.
Ein markerschütternder Schrei durchbrach meine Gedanken und die Stille.
Noch bevor ich auf den Flur rannte, schrie Claire wieder. Mir stellten sich die Nackenhaare auf, so furchtbar hörte es sich an. Ein Mensch schrie in Todesangst, nicht anders konnte man die Schreie interpretieren. Pure Mordlust wallte in mir auf, als ich durch den langen Flur zu Claires Zimmer hastete. Als ich die Tür so heftig aufriss, dass sie gegen die Wand hinter ihr schlug, spülte der Schmerz, den ich bei Claires Anblick empfand, sämtliche Wut aus meinen Gehirnzellen. Sie wand sich unruhig auf dem Bett, die Decke hatte sie weggestrampelt und ihr Gesicht war schmerzverzerrt. Das dünne Hemdchen klebte an ihrem verschwitzten Körper und eine wahre Tränenflut strömte aus ihren weit geöffneten Augen. Der Albtraum hielt sie noch immer gefangen, auch wenn sie jetzt nicht mehr schrie. Es war nur noch ein verzweifeltes Wimmern zu hören, doch das genügte, um mir einen Stich ins Herz zu versetzen.
Ich packte Claire an den Oberarmen und zog sie trotz ihres heftigen Widerstandes in meine Arme. Sie zappelte und kratzte wie eine Verrückte, sodass ich ziemlich kräftig zupacken musste. „Claire, wach auf! Du bist in Sicherheit!“ Immer wieder sagte ich ihr, dass sie träumte, aber es kam mir wie eine halbe Ewigkeit vor, bis sie in meinen Armen erschlaffte. Augenblicklich lockerte ich meinen Griff um ihre Oberarme. Im Stillen betete ich, dass sie morgen früh keine Blutergüsse haben würde, so fest hatte ich zugepackt.
Als sie anfing zu weinen, bettete ich ihren Kopf an meine Brust und wiegte sie sanft hin und her. Dabei murmelte ich beruhigende Worte an ihrem Ohr, damit sie wusste, dass sie in Sicherheit war.
„Tom“, flüsterte sie. Ihre Stimme klang gehetzt und heißer von ihren Schreien.
„Ich bin da. Hab keine Angst, ich passe auf dich auf, Prinzessin“, beruhigte ich das zitternde Bündel in meinen Armen.
„Bitte … lass nicht zu, dass ich … zurück muss. Das … überlebe ich nicht.“
Ihr Schluchzen schnürte mir die Kehle ab. Meine Stimme klang unnatürlich belegt, als ich ihr antwortete. „Nein, Prinzessin. Niemals würde ich das zulassen.“
„Schwöre!“ Sie hob den Kopf und sah mich flehentlich aus tränennassen Augen an. Ich verspürte einen schmerzhaften Stich, als ich die Angst in ihren Augen las, und fühlte mich erbärmlich. „Ich schwöre dir, dass du nie wieder dorthin musst.“
Sie sah mich so intensiv an, als würde sie bis auf den Grund meiner Seele blicken. Ich verlor mich in ihren wunderschönen Augen, in denen ich den Schmerz lesen konnte, den sie ertragen musste, aber auch eine unbändige Stärke, die mir schier den Atem nahm. Sie hatten versucht, sie zu brechen, doch sie hatten es nicht geschafft. Claire war eine Kämpferin und sie würde es schaffen, davon war ich überzeugt. Ich hielt einen Meter fünfundsechzig purer Lebenswille in meinen Armen. Sie würde es allen zeigen, die an ihr zweifelten. Und ich würde nichts lieber tun, als sie darin zu unterstützen.
Ich hielt Claire die restliche Nacht in meinen Armen.
Als sie eingeschlafen war, versuchte ich vorsichtig, uns in eine bequeme Position zu bringen. Meine Füße waren eingeschlafen und meine Muskeln brannten unter der Last dieses verstörten Engels, doch es war mir gleichgültig. Ich hielt sie in meinen Armen, ihr zarter Körper drückte sich vertrauensvoll an Meinen. Ich vergrub meine Nase in ihrem duftenden Haar und empfand ein Gefühl, das ich mit Glück vergleichen konnte.
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