Black Angels
Codename: Dornröschen
Von Jana Marie Deniè
Alle Rechte vorbehalten!
2016
Alle beschriebenen Personen sind erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufälliger Natur.
1
Claire
„Die Ehe ist hiermit geschieden!“
Der Richter bedachte mich mit einem unergründlichen Blick, der meine Scham noch verstärkte, doch ich hielt standhaft den Augenkontakt aufrecht.
„Die Scheidung ist rechtskräftig", sprach er weiter, dabei verzog sich der rechte Mundwinkel etwas nach oben. „Das bedeutet, Sie dürfen grundsätzlich morgen wieder heiraten.“ Jetzt sah ich es deutlich, dieses kleine amüsierte Schmunzeln, das sein ernstes Gesicht ein wenig freundlicher machte.
„Nein, danke!“ Bevor mein Gehirn registrierte, dass sich mein vorlautes Mundwerk öffnete, hallten die Worte auch schon von den hohen Decken des altehrwürdigen Gebäudes wider. Niemandem in dem kleinen Gerichtssaal blieb wohl der Sarkasmus in meiner Stimme verborgen.
Der Richter zog eine Augenbraue hoch und musterte mich mit zusammengekniffenen Augen. Innerlich schlug ich mir die Hand auf den Mund. Beschämt senkte ich den Blick. Na Bravo Claire, du kannst wirklich nicht die Klappe halten, schimpfte ich mit mir selbst.
Einer meiner größten Fehler war es, im falschen Moment den Mund aufzumachen.
„Ich muss mich für das Benehmen meiner Frau entschuldigen, Euer Ehren. Es ist ihr Drang, im Mittelpunkt zu stehen, der ihr den vorlauten Mund öffnet!“
Die eiskalte Stimme von Benedikt ließ mich zusammenfahren. Der drohende Unterton war mir nicht entgangen und was er bedeutete, wusste ich. Immer tiefer sank ich in meinen Stuhl, den Blick nun fest auf meine Schuhspitzen geheftet.
Die zarte Berührung meiner Anwältin an meiner Schulter holte mich aus der Starre, so dass ich atmete. Ich vergaß es immer wieder, wenn ich Angst hatte. Ich verfiel in eine Starre und hörte auf zu atmen. Der menschliche Überlebensinstinkt verhindert normalerweise, dass man wie ich, irgendwann wegen Sauerstoffmangel umkippt. Bei mir funktionierte er irgendwie nicht, was die behandelnden Ärzte schlussfolgern ließ, ich hinge nicht an meinem Leben.
Vor einem Jahr hätte ich ihnen zugestimmt. Ich wollte tot sein. Jetzt aber wollte ich leben.
„Herr von Erlenfels, Sie müssen sich für niemanden entschuldigen und schon gar nicht für Ihre Gattin, denn Sie sind nicht mehr verheiratet!“
In der Stimme des Richters lag unterdrückte Wut, was mich dazu trieb, vorsichtig nach vorne zu schauen.
Benedikt saß kerzengerade auf seinem Stuhl, als würden die Worte des Richters an ihm abprallen, doch ich kannte ihn zu gut. Es war alles nur eine große, perfekte Maskerade. In Wirklichkeit bebte er vor Zorn, das sah ich an seinem verkrampften Kiefer und an seinem Zeigefinger, mit dem er kleine Kreise auf der Tischplatte zog.
„Das bedeutet, Ihre Exfrau darf ungefragt ihren Mund öffnen und alles sagen, was ihr gerade einfällt. Und Sie müssen das hinnehmen, ob es Ihnen schmeckt oder nicht. Ist das bei Ihnen angekommen!“ Der letzte Satz war eindeutig keine Frage, das hatte sogar ich verstanden.
Benedikt zuckte, als wollte er vom Stuhl aufspringen. Noch bevor seine Anwälte ihn an den Schultern fassten, um ihn zu beruhigen, war ich, mit klopfendem Herzen, tief in meinen Stuhl gerutscht.
„Keine Angst, Claire.“ Michelle, meine Anwältin, drückte aufmunternd meine Schulter. „Er kann Ihnen nichts tun.“
Vorsichtig linste ich nach vorne und begegnete dem prüfenden Blick des Richters.
Er wendete sich wieder Benedikt zu, der sich nur mit Mühe zurückhalten konnte. Sein Gesicht war eine verzerrte Fratze, die stahlblauen Augen blitzten eiskalt und mörderisch, wie die Augen eines Hais. Er fuhr sich mit einer Hand durch das perfekt gekämmte, blonde Haar, wobei sich in dem Siegelring an seinem Ringfinger ein Sonnenstrahl verfing, der durch die hohen Fenster des alten Gebäudes fiel. Kurz leuchtete der Ring, als würde jeden Moment eine Flamme aus ihm schießen. Das Siegel der von Erlenfels, alter deutscher Hochadel aus dem Rheinland. Sie waren reich und beliebt bei ihren Gönnern und sie waren gefürchtet bei ihren Angestellten und all denen, die nicht nach ihrer Pfeife tanzten.
Der Richter erhob sich und wir taten es ihm gleich. Mit gesenktem Kopf wartete ich darauf, dass er die Verhandlung beendete. Dann war ich frei. Arm wie eine Kirchenmaus, aber frei.
„Bevor ich die Verhandlung beende, verfüge ich, dass Herr von Erlenfels in Begleitung seiner Anwälte und zweier Saaldiener, das Gebäude sofort nach Ende der Verhandlung verlässt.“
Erstaunt hob ich den Kopf und sah gerade noch, wie Benedikt, vor Wut schäumend, die Hand seines Anwalts von seinem Arm schüttelte.
„Das lasse ich mir nicht bieten! Ich gehe, wann ich es für richtig halte und davon hält mich garantiert kein kleiner Richter ab!“ Er schrie nicht, das tat er nie. Er verkündete es, mit unbeugsamer Stimme, in der pure Verachtung lag.
Oh ja, das beherrschte er wie kein anderer. Selbst sein sadistischer Vater reichte nicht an ihn heran.
Instinktiv zog ich die Schultern hoch. Ich wusste, was dieser Ton bedeutete. Ich hatte gelernt, seine Stimmung auszuloten. Jede seiner Regungen hatte ich regelrecht studiert, um seinen Bestrafungen zu entgehen, oder sie wenigstens auf ein erträgliches Maß zu senken.
Den Richter schien Benedikts warnender Ton nicht zu beeindrucken. Er stand an seinem Richterpult und blickte gelassen zu dem innerlich Tobenden hinunter, in seinem schwarzen Talar, der ihn, wie ich fand, sehr würdevoll und mächtig aussehen ließ. Fasziniert beobachtete ich den Mann in der Robe. Er sah ein bisschen aus wie ein Engel. Ein schwarzer Engel allerdings, mit seinem pechschwarzen, dichten Haar, das bis über den Kragen seiner schwarzen Robe reichte. Er wirkte sehr groß, und als er jetzt einen Arm vorstreckte, um den zornigen Benedikt in die Schranken zu verweisen, wartete ich angespannt darauf, dass er sich jeden Augenblick in die Luft erhob, um majestätisch über uns zu schweben.
Seine Erscheinung hatte etwas Magisches, fast Überirdisches; er war so elegant und mächtig, so formvollendet, dass es mir den Atem raubte.
Ein dunkler Schatten drängte sich in mein Sichtfeld und holte mich jäh aus meinen Träumereien. Benedikts, vor wutschäumendes Gesicht, tauchte über mir auf. Augenblicklich senkte ich den Kopf und blickte mit hämmerndem Herzen zu Boden.
„Ich finde dich, sei dir sicher!“ Seine Stimme klang unheilverkündend. Ein leises gezischtes Wort, ließ mich erzittern. „Hure!“
Ich hörte Schritte, die sich von mir entfernten, dann fiel die schwere Eichentür mit lautem Krachen ins Schloss.
Wieder spürte ich die Hand meiner Anwältin auf meiner Schulter. „Es ist vorbei, Claire. Sie haben es geschafft.“
Ja, ich hatte es geschafft. Vorbei würde es niemals sein, es sei denn, die Familie von Erlenfels löste sich in Luft auf.
Er würde mich finden, so wie er es angedroht hatte. Es war nur eine Frage der Zeit. „Vielen Dank für alles.“ Ich hob den Kopf und brachte ein Lächeln zustande. Michelle hatte ihr Bestes gegeben. Sie hatte Drohbriefe bekommen, als bekannt wurde, dass sie mich bei meiner Scheidung vertreten würde. Ihre Mitarbeiterin wurde bedrängt und die für eine kleine Kanzlei so wichtigen Klienten, waren im Laufe der Zeit, bis auf wenige, abgesprungen. Benedikt hatte der engagierten Anwältin sogar angeboten, für ihn zu arbeiten, wenn sie das Mandat für mich niederlegen würde, doch Michelle blieb standhaft. Ihr hatte ich zu verdanken, dass ich die letzten Monate sicher vor meinem Mann und seiner Familie war; dass ich Kraft tanken konnte.
Читать дальше