Ich nicke wieder nur und er hebt die Hand und wuselt mir durch die Haare.
„Kleiner Bruder, du bist in Ordnung“, murmelt er und ich habe meine Stimme wieder und antworte ihm: „Du auch.“
Es ist seltsam. Seine Worte erschrecken mich und seine ständigen Forderungen, dass ich ihm sofort Bescheid sagen muss, wenn etwas nicht stimmt, beunruhigen mich. Ich weiß nicht, was er auch nur im Ansatz meinen könnte und dennoch bin ich mir sicher, was auch immer passiert, ich habe jetzt jemanden, der mich vor allem beschützt. Einen großen Bruder.
Wir kehren nicht zum Gasthaus zurück. Mein Vater ruft mich an und fragt, wo wir stecken und Julian nimmt mir mein Handy aus der Hand und sagt ihm, wir würden beim Auto warten, egal wie lange es dauert. Mein Vater teilt ihm daraufhin wohl mit, dass sie auch aufbrechen möchten und wir uns dort treffen.
Julian und ich gehen frierend zu unserem Auto, das ich allein nicht mal wiedergefunden hätte.
„Können wir uns mal treffen? In der Stadt vielleicht?“, frage ich ihn und sehe ihn erwartungsvoll an.
„Ich habe zwar nicht viel Zeit, aber natürlich. Ruf mich einfach an.“
„Okay“, sage ich und sehe meinen Eltern entgegen.
Mein Vater sieht erschreckend blass aus und meine Mutter fährt uns nach Hause. Im Auto ist es still und jeder hängt seinen Gedanken nach.
Ich sehe immer wieder Julian an und frage mich, worüber er nachdenkt. Und dann fällt mir wieder die Geschichte von Tim und Carolin ein und ich versuche mir die Zusammenhänge vorzustellen. Eine unglückliche Liebe die zum Tode führte.
Wenn ich die Lehrstelle bekomme, dann wird ihr Verlobter mein Chef sein. Und sie? Ich möchte sie kennenlernen. Wie sie wohl ist?
Diese ganze Geschichte will mir nicht mehr aus dem Kopf gehen. Tim hat sie vielleicht so sehr geliebt, dass er sie entführte und dann durch den Unfall starb, den sie schwer verletzt überlebte. Das klingt alles nach tödlicher Romantik.
Ich versuche mir Carolin vorzustellen. Halt Julian in weiblich.
In meinem Kopf bildet sich die Vorstellung von einem brünetten Mädchen mit einer gertenschlanken Figur und einem ebenmäßigen, wunderschönen Gesicht, aus dem mir dunkelbraune Augen feurig entgegensehen. Wow!
Ich nehme mir vor, im Internet nach Bildern von ihr zu suchen. Sie ist mit einem reichen Jungen aus der Osnabrücker Geschäftswelt verlobt, da muss sich doch etwas finden lassen.
Mein Handy zückend, beginne ich darin das Internet zu durchforsten, während wir über die Autobahn preschen. Julian starrt seit einiger Zeit wieder nur aus dem Seitenfenster und scheint in seiner eigenen Welt versunken zu sein.
Ich finde auf die Schnelle kein Bild von Carolin. Aber es gibt ein Bild von Erik Zeiss-Clarkson nach seiner Verurteilung. Hm, naja, er sieht ganz annehmbar aus. Die Locken sind vielleicht gewöhnungsbedürftig. Und er sieht völlig anders aus als Tim. Er ist blond und wirkt nicht gerade schmächtig. Seine Augenfarbe lässt sich auf dem Bild nicht definieren. Aber sie wirken hell.
Ich werde warten müssen, bis ich Carolin kennenlerne. Dass ich das irgendwann tue, steht wohl fest. Schließlich ist mein Bruder auch ihrer.
Bei uns Zuhause möchte Julian nicht noch mit hineinkommen. Er bedankt sich bei meinen Eltern, dass er mitfahren konnte und geht zu seinem Polo. Ich folge ihm und murmele, als er in sein Auto steigt: „Gar nicht schlecht einen großen Bruder zu haben.“ Irgendwie möchte ich ihn mit meinen Worten aufbauen und auch unsere Zusammengehörigkeit noch mal klarstellen.
Julian grinst, wirft die Autotür zu und fährt los. Ich sehe ihm hinterher.
Tim war anders als Julian. Ihn hatte es hauptsächlich zu meinem Vater gezogen und wir waren nur so etwas wie Anhängsel, die man ertragen musste. Er hatte mich mit seinem dicken Mercedes einmal mitgenommen, den er sich erst vor einigen Monaten zulegte und der jetzt Schrott ist. Da hatte ich zu ihm dasselbe gesagt, wie zu Julian. Aber ich hatte es nicht so gemeint.
Julian hoffe ich bald wiederzusehen.
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