Matt nahm den Umschlag an sich und öffnete ihn. Dann drehte er den Polsterstuhl so weit, dass er das Licht der Petroleumlampe besser nutzen konnte. Ja, das war die zierliche und gestochen scharfe Handschrift von Mary-Anne. Eine Tochter des Südens, die an der Seite ihres Yankee-Mannes geblieben war. Matt Dunhill lächelte versonnen, dann vertiefte er sich in den Inhalt der eng beschriebenen Blätter.
Natürlich sorgte sie sich um ihn und um ihren Sohn Mark, der bei der fünften Wisconsin Freiwilligenkavallerie diente. Er hatte sich, wie man so sagte, seine ersten Sporen in den Kämpfen gegen Konföderierte und Indianer verdient, und war schon mit siebzehn Jahren zum Lieutenant befördert worden. Jetzt war der Junge Achtzehn und Matt sorgte sich, ebenso wie seine Frau, um ihn. Wenigstens war Mark´s Einheit weiter oben im Norden und würde wohl nicht in größere Schlachten ziehen müssen. Doch der Pfeil eines Indianers konnte ebenso tödlich sein, wie die Kugel eines Südstaatlers. Mary-Anne schrieb von ihrem Leben in Washington und den dortigen Vergnügungen. Erneut musste Matt lächeln, denn sie war eine echte Soldatenfrau und keine Person, die sich Vergnügungen hingab, obwohl er ihr dies von Herzen gegönnt hätte. Dann las er von seinem Schwiegervater John Jay Jones. Ein wirklicher Gentlemen und tief überzeugt von der Sache des Südens. Zugleich ein Mann, der sich dennoch um das Wohlbefinden seines Yankee-Schwiegersohnes sorgte. Der alte Herr lebte jetzt in Richmond und bedauerte, dass einige der gewohnten Annehmlichkeiten unter der „blödsinnigen Blockade der Yankeeboys“ litten. Vielleicht würde Matt ihm einen persönlichen Brief schreiben. Briefe fanden immer ihren Weg über die Grenzen hinweg.
Major Matt Dunhill schnäuzte sich und ließ den Brief sinken. Er hing noch lange seinen Gedanken nach, bis er sich schließlich auf sein Feldbett sinken ließ.
Kapitel 2 Nach der Schlacht ist vor der Schlacht
Es war das Jahr 1863 und die Schlacht von Chancellorsville hatte eine erneute Niederlage für die Union gebracht. Jetzt, in den letzten Tagen des Monats Mai, lagen Colonel George Sharpe, Befehlshaber der Aufklärung der Union, beunruhigende Berichte vor. Der konföderierte Reiter-General J.E.B. Stewart schien immer mehr Kavallerie im Culpepper County in Virginia zusammenzuziehen. Ihm gegenüber, auf der anderen Seite des Rappahanock River, lagen die Unionsstreitkräfte von Major-General Joseph Hooker.
„Sir, es sieht ganz danach aus, als bereite Stuart einen erneuten Raid auf unser Gebiet vor“, fasste Colonel Sharpe seine Erkenntnisse zusammen. „Noch dazu einen sehr viel größeren Reiterüberfall, als jemals zuvor.“
Hooker, der den Beinamen „Fighting Joe“ trug, wurde seinem Namen im Augenblick nicht ganz gerecht. Die Schlappe von Chancellorsville setzte ihm und den Soldaten der Union zu.
„Verdammt“, knurrte Hooker und schlug wütend auf die Karte, die auf dem Tisch lag. „Wir gewinnen fast zwei Drittel aller kleineren Gefechte, doch bei den großen Schlachten erleiden wir Niederlage um Niederlage. Und jetzt das. Ein neuer Raid. Dreimal verdammt.”
„Sir, die Reiterüberfälle der Rebellen tragen erheblich zur Unruhe in unserem Hinterland bei und stören unseren Nachschub. Die feindliche Kavallerie stößt bis weit hinter unsere Linien vor, zerstört Depots und Nachschub, und demoralisiert unsere Truppen. Wir haben dem nur wenig entgegen zu setzen.“
„Das muss ein Ende haben, George. Ein Ende.“ Erneut schlug die Hand auf den Tisch, dann ließ sich der General seufzend auf die Polster des Stuhls sinken. „Na schön, George, Sie sagen, Stuart sammelt seine Leute bei Culpepper?“
Sharpe beugte sich vor und tippte auf die betreffende Stelle der Karte. „Im Augenblick sind es acht oder neun Regimenter, aber es werden rasch mehr.“ Er richtete sich wieder auf. „Wie ich schon sagte, Sir, der Bursche bereitet etwas Größeres vor.“
„Dann müssen wir ihm endlich einmal zuvorkommen.“ Hooker lehnte sich zurück und ließ sich von einer Ordonanz ein Glas Portwein einschenken.
„Wir haben im Augenblick selbst eine beachtliche Kavallerietruppe hier stehen.“ Major-General Alfred Pleasonton war Befehlshaber der Kavallerie unter Hooker´s Kommando und hatte seine Fähigkeiten und seine Zähigkeit im Kampf schon mehrfach bewiesen. Er warf einen Blick zu seinem Stabsoffizier. „Was meinen Sie, Captain?“
George Armstrong Custer hatte im Juni 1861 als letzter seines Jahrgangs die Militärakademie in West Point absolviert und war aufgrund zahlreicher Disziplinlosigkeiten nur knapp einem Rauswurf entkommen. Er diente in der Army of the Potomac als Lieutenant im 5ten U.S.-Kavallerieregiment. Custer war dabei Pleasonton begegnet, der den jungen und ehrgeizigen Offizier zum Captain der Freiwilligen beförderte und damit die Möglichkeit schuf, diesen in seinen Stab zu berufen. Auch hier zeigte Custer wenig Disziplin, jedoch einen auffälligen Hang zur Eitelkeit. Er trug die blonden Locken unvorschriftsmäßig lang und auf seiner Jacke hatte er die üblichen Schulterstücke durch besonders aufwendige, extra goldbestickte Prachtexemplare des Versandhauses Schuyler, Hartley & Graham ersetzt. Statt des üblichen schwarzen Binders bevorzugte er ein leuchtend rotes Tuch. Diese gezeigte Extravaganz schien Pleasonton allerdings durchaus zu gefallen, während die anderen Generäle den Captain, wenn auch hinter vorgehaltener Hand, für einen eitlen Gecken hielten. Bislang hatte Custer noch nichts vorzuweisen, was auf besondere Eignung oder Fähigkeit hindeutete, außer seinem unbestreitbaren Enthusiasmus für die Kavallerie und die Sache der Union.
„Angreifen.“ Custer brauchte nicht lange zu überlegen. „Wir kommen den Rebellen zuvor, überqueren den Rappahanock und greifen Stuart an.“
„Stuart angreifen…“ Hooker sah den jungen Captain düster an. “Bisher hat unsere Kavallerie dann Prügel bezogen, Mister Custer. Warum sollte das diesmal anders sein?“
„Weil die Rebellenreiterei uns bislang meist überrascht hat“, gab Custer unumwunden zu. „Außerdem waren unsere Regimenter aufgeteilt, da sie Patrouille reiten oder Eskortdienst für Wagenzüge durchführen mussten. Die Rebellen sind in der Regel von Vornherein in der Übermacht und zudem hat ein Konföderierter in der Regel zwei oder drei Revolver, während unsere Reiter nur einen einzigen besitzen. Allein die Feuerüberlegenheit der Rebellen ist für uns verheerend. Aber im Augenblick ist die Situation anders, Sir. Wir haben hier ein volles Kavallerie-Corps verfügbar. Eine geballte Faust, mit der wir Stuart eine Tracht Prügel verabreichen können.“
„An Selbstsicherheit scheint es Ihnen nicht zu fehlen“, stellte Hooker fest.
„Dennoch hat Custer recht“, pflichtete Pleasonton seinem Captain bei. „Die Gelegenheit, nun unsererseits einen Schlag gegen Stuart zu führen, war noch nie so günstig. Zumal keiner der Rebellen damit rechnen wird.“
Hooker nippte an seinem Glas, betrachtete die Karte und nickte dann bedächtig. „Na schön, Gentlemen, Sie haben mich überzeugt. Packen wir den Stier Stuart bei seinen Hörnern. General Pleasonton, Sie erhalten hiermit Befehl, einen Plan auszuarbeiten, um die konföderierte Reiterei jenseits des Flusses auseinander zu treiben. Ferner werden Sie Ihr Möglichstes tun, um Wagen- und Eisenbahnzüge der Rebellen zu zerstören und ihre Vorräte zu vernichten.“
„Ich werde mein Bestes tun, Sir“, versprach der Kavallerie-General. Man spürte, wie schwer die Verantwortung auf seinen Schultern ruhte. Custer´s Gesicht hingegen zeigte reine Zufriedenheit. Für ihn zeichnete sich eine Gelegenheit ab, sich zu bewähren.
Tatsächlich hatte Custer nicht ganz unrecht. Corps und Regimenter der Unions-Kavallerie waren aufgesplittert und wurden als Kundschafter, Kuriere, Patrouillen und Eskorten eingesetzt. Es bestand kein größerer Verband, der für offensive Fernaufklärung oder eigene Raids eingesetzt werden konnte. Unter Joseph Hooker begann sich dieses Bild langsam zu verändern. Er sorgte für bessere Ausrüstung und Pferde sowie besseres Training für seine Kavalleristen. Er sortierte schonungslos unfähige oder kampfesunwillige Offiziere aus und gruppierte die Regimenter zu geschlossenen Corps. Im März des Jahres 1863 hatte sich die Unionskavallerie erstmals bei einer Überquerung des Rappahanock bewährt, doch in der Schlacht von Chancellorsville wiederum ein eher klägliches Bild geboten.
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