Erneut zuckte ein Blitz über den Himmel. Matt nahm den folgenden Donner kaum wahr. Nachdenklich strich er mit der Hand über seinen Dragonerbart. Das einst dunkle Haar war nun grau geworden. Er galt als einer der erfahrensten Kavallerieoffiziere der Union und war Träger der Tapferkeitsmedaille des Kongresses. Eine Auszeichnung, die ihn mit Stolz und auch Bitterkeit erfüllte, denn der Preis für diese Anerkennung war hoch gewesen und mit viel Blut bezahlt worden. Er war ein überzeugter Anhänger der Union, doch auf der anderen Seite dienten viele Männer, mit denen er einst gemeinsam gegen Indianer oder Banditen gekämpft hatte. Gelegentlich fürchtete sich Matt vor dem Augenblick, an dem ihm einer dieser einstigen Kameraden als Gegner im Gefecht gegenüber stehen würde.
Der verdammte Krieg war nicht nur ein Bürgerkrieg, sondern ein blutiges Ringen, welches Gemeinschaften zerrissen und Familien geteilt hatte. Brüder, Väter, Söhne… Oft standen sie sich nun als Feinde gegenüber. Nein, an diesem Krieg war nur wenig gerecht. Immer mehr Menschen zog er in seinen unbarmherzigen Sog.
Matt seufzte und schenkte sich etwas Wasser aus der Karaffe ein. Er hätte eigentlich einen starken Kaffee gebraucht, doch auch dieser war im Augenblick knapp. Soldaten, Waffen und Munition hatten absoluten Vorrang, denn nach der Niederlage der Union bei Chancellorsville würde der Süden nicht lange zögern, erneut gegen den Norden vorzustoßen.
Matt sah erneut auf das Urlaubsgesuch und seufzte. Der Lieutenant führte eine der Kompanien der 5ten U.S.-Kavallerie und hatte sich bewährt. Aber seine Familie würde ihn im Augenblick wohl weitaus dringender benötigen. Der Bruder war bei Chancellorsville gefallen und vor zwei Tagen hatte der Mann den Brief seiner Mutter erhalten, in dem sie ihm vom Tod des Vaters berichtete. Nun waren sie und die Schwester alleine, und hatten den Beistand des letzten männlichen Familienmitgliedes sicherlich bitter nötig.
Major Matt Dunhill nahm den Urlaubsschein und zeriss ihn in kleine Schnipsel. Sieben Tage Urlaub. Das war, wenn man die Reisedauer berücksichtigte, gerade ein einziger Tag zu Hause. Er nahm ein neues Formular, füllte es sorgfältig aus und trug den Namen des Lieutenants, den Bestimmungsort und eine Urlaubszeit von drei Wochen ein. Dann setzte er seine Unterschrift unter den Antrag, ließ die Tinte trocknen und lehnte sich in die Polster zurück.
„Verfluchter Krieg“, murmelte er.
Erneut zuckten Blitze über das Land. Matt lauschte. Es dauerte, bis der Donner rollte. Das Gewitter entfernte sich.
Vor dem Zelt war das Aufstampfen eines Fußes zu hören, gefolgt von einem dezenten Hüsteln.
Matt wandte den Blick und erkannte zwei undeutliche Silhouetten. „Ja?“
„Iste Antonio, si?“ Es war unverwechselbar die Stimme von Antonio Atalane, dem Regimentstrompeter. Er hatte die Angewohnheit, viele seiner Sätze als Frage zu formulieren. „Eh, Majore, haben Besuch, si? Iste neue Sargente-Majore.“
„Der neue Sergeant-Major?“ Matt runzelte die Stirn. Die nächste Verstärkung des Regiments sollte in zwei Tagen mit dem Zug in Rappahanock Station eintreffen. „Immer herein mit ihm. Danke, Antonio, Sie können dann abtreten.“
Antonio hielt den Eingang offen. Sein Begleiter musste sich ein wenig bücken, um einzutreten, richtete sich wieder auf. Er trug die einfache Felduniform und das typische Bummers Kepi. Die Uniform war durchnässt, die Stiefel schmutzig. Die drei Winkel und Bogen eines Sergeant-Majors an den Oberarmen, wirkten ebenso neu, wie Uniform und Ausrüstung.
„Sergeant-Major Wilhelm Schmittmann meldet sich zum Dienst, Major, Sir.“
Matt erhob sich und erwiderte den tadellosen militärischen Gruß etwas weniger schneidig. Dann setzte er sich wieder und deutete auf den freien Klappstuhl neben dem Tisch. „Nehmen Sie Platz, Sergeant-Major. Ich habe Sie erst übermorgen mit dem Zug erwartet.“
Schmittmann nahm sein Kepi ab. Die in den flachen Deckel eingearbeitete Lederverstärkung hatte nicht viel vor dem Regen geschützt. Er drückte Wasser aus der Wolle und lächelte. „Ich wäre im Zug wohl trockener geblieben, aber wollte mich so rasch als möglich melden, Sir.“ Er langte in die Innerntasche seiner Jacke und reichte Matt die Papiere, die aus der Anwerbung für den Dienst in der U.S.-Armee, die Zuordnung zum 5ten U.S.-Kavallerieregiment und der Einstufung als Regiments-Unteroffizier bestanden.
Der neue Sergeant-Major war schlank, ungewöhnlich groß und trug einen sauber gestutzten Vollbart.
„Schmittmann“, überlegte Matt. „Klingt Deutsch.“
„Bin aus Hannover, Sir.“
„Ah, Hanover? Warum dienen Sie dann nicht in einem Regiment aus Pennsylvania? Die 6te Pennsylvania, „Rush´s Lancers“ lagern im Camp.“
„Nein, Sir, aus Hannover. Königreich Hannover, um exakt zu sein. Auf dem alten Kontinent, Sir. War Rittmeister des Königs.“
Matt Dunhill war überrascht. „Rittmeister? Das entspricht unserem Captain.“
„Das ist korrekt, Sir.“
„Darf ich fragen, warum Sie kein Patent bekamen?“
„Wollte zur regulären Reiterei und nicht zu einer freiwilligen Miliz.“ Schmittmann schien kurz zu überlegen und fuhr dann fort. „Kam vor wenigen Wochen in New York an, Sir. Ist so eine Sache mit der amerikanischen Staatsbürgerschaft. Bekommt man am Schnellsten, wenn man sich für eine gewisse Zeit für den Dienst verpflichtet.“
„Hm, ja“, brummte Matt. Möglicherweise steckte mehr dahinter, doch im Augenblick wollte er den Neuen nicht bedrängen. Rittmeister… Wenn Matt richtig informiert war, dann wurde man in den deutschen Königreichen nur Offizier, wenn man von vornehmer Herkunft war. Nun, Hauptsache, der Mann verstand sein Handwerk. „Sie kennen die Pflichten eines Regiments-Unteroffiziers?“
„Ja, Sir, die sind mir bekannt.“
Erneut war ein Hüsteln zu vernehmen. „Sergeant Harknell hier, Sir. Ich bringe Post.“
„Kommen Sie rein, Harknell.“
Matt machte die beiden kurz miteinander bekannt. Der stämmig gebaute Harknell war Führer der Regimentsstandarte. Ein zuverlässiger und eisenharter Kämpfer, der das Feldzeichen erbittert verteidigte, wenn es erforderlich wurde.
Harknell übergab Matt eine lederne Tasche. „Kommt vom Quartiermeister, Sir. Die Post wurde bereits nach Regimentern zugeordnet.“ Er lächelte. „Ist, glaube ich, auch ein Brief für Sie dabei.“
Natürlich hatte der Standartenführer einen Blick riskiert. Jeder im Lager freute sich über Post und mancher Brief, wenn er nicht zu privat war, wurde mit den Kameraden geteilt.
Matt Dunhill blickte kurz in die Ledertasche und fand tatsächlich einen an ihn gerichteten Umschlag. Der Handschrift nach, kam er von seiner Frau Mary-Anne. Er nahm ihn heraus und überreichte die Tasche dann an Schmittmann.
„Schön, Sergeant-Major, das ist dann wohl Ihr erster Job. Sortieren Sie die Briefe nach den Kompanien und veranlassen Sie, dass diese morgen, nach dem ersten Appell, an die Truppe ausgehändigt werden.“
„Wird erledigt, Sir. Wissen Sie zufällig, wo ich…?“
„Harknell wird Sie zu unserem Quartermaster-Sergeant bringen. Der weist Ihnen Ihr Zelt zu.“
„Danke, Sir. Meine Sachen kommen zwar erst in zwei Tagen mit dem Versorgungszug, aber eine Möglichkeit, in trockene Sachen zu wechseln, wäre mir jetzt durchaus angenehm.“
Sie wechselten nochmals den militärischen Gruß, dann war Matt wieder alleine.
Major Dunhill dachte einen Moment über Schmittmann nach. Sicherlich ein ungewöhnlicher Mann mit einer ungewöhnlichen Vergangenheit, die aber noch im Verborgenen lag. Das musste man respektieren. Männer traten aus den verschiedensten Gründen in den Dienst der Unionstruppen. Auf jeden Fall würde sich der Deutsche rasch bewähren müssen, denn sicherlich würde es schon bald zu erneuten Kämpfen kommen.
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