Nachdem er die Spange geschlossen hatte, setzte er sich den Helm auf, nahm
seine Streitaxt zur Hand und sah seinen Sohn auffordernd an. »Nun komm,
Dormunt, mein Sohn, es ist an der Zeit, dein Weib in eure zukünftige
Heimstätte zu holen.«
Gemeinsam traten sie aus dem Haus und schritten zum Versammlungsplatz
hinüber, wo die anderen Bewohner des Weilers sich bereits versammelt
hatten. Es fehlten nur die wenigen Männer, die als Hirten bei den Herden
waren. Alle Bewohner hatten ihre besten Gewänder angelegt, und die
Stimmung war ausgelassen. Spöttische, aber gut gemeinte Rufe galten den
beiden Pferdelords, die sich nun durch die Menge nach vorne schoben.
Dorkemunt bemühte sich um eine besonders aufrechte Haltung neben seinem
stattlichen Sohn, als sie vor den Ältesten und das Podest traten, vor dem
bereits Hellewyn und Gandoryn auf sie warteten. Auch sie trugen ihre besten
Gewänder, und Gandoryn als Braut war in ein zartgrünes Kleid gekleidet, das
mit den Symbolen des Pferdevolkes bestickt war. Dorkemunt und sein Sohn
stellten sich neben sie.
Schweigen senkte sich über die Bewohner des Weilers, als der Älteste sich
räusperte und dann den Blick über die erwartungsvolle Menge schweifen ließ.
»Ihr Männer und Frauen des Pferdevolkes! Ihr seid heute hier versammelt,
um Zeuge zu werden, wie Dormunt, des Dorkemunt Sohn, und Gandoryn, der
Hellewyn Tochter, einander einzige Liebe und Treue schwören. So einer von
euch einen Grund weiß, der gegen diese Verbindung spricht, so möge er ihn
nun kundtun oder für immer schweigen.«
Natürlich wurde kein Einwand vorgebracht, aber Dorkemunt spürte
dennoch, wie sein Sohn sich nervös versteifte, als der Älteste eine kleine
Pause einlegte, bevor er mit der Zeremonie weiter fortfuhr. »Dorkemunt, habt
Ihr Euren Sohn Dormunt in den Traditionen des Volkes der Pferdelords
getreulich erzogen, und schwört Ihr, dass er die Tugenden des Volkes in
Ehren hält?«
»Ja, Ältester«, versicherte Dorkemunt mit fester Stimme. »Dies schwöre
ich.«
»Hellewyn, habt Ihr Eure Tochter Gandoryn in den Traditionen des Volkes
der Pferdelords getreulich erzogen, und schwört Ihr, dass sie die Tugenden
des Volkes in Ehren hält?«
»Ja, Ältester«, versicherte auch Hellewyn. »Dies schwöre ich.«
Der Älteste räusperte sich erneut und nahm dann einen reich verzierten
Zügel und eine ebenso reich verzierte Wasserflasche von einem kleinen Tisch
hinter sich. Er legte den Zügel in Dormunts ausgestreckte Handfläche.
»Dormunt, des Dorkemunts Sohn, schwört Ihr Gandoryn, Hellewyns Tochter,
die Treue, und schwört Ihr, für sie zu sorgen und euer Heim zu schützen?«
»Ja, Ältester«, versicherte Dormunt, und seine Stimme klang nicht ganz so
fest, wie er sich dies eigentlich gewünscht hatte. »Dies schwöre ich.«
»Gandoryn, der Hellewyn Tochter«, der Älteste legte die Wasserflasche in
Gandoryns offene Hand, »schwört Ihr Dormunt, Dorkemunts Sohn, die Treue,
und schwört Ihr, für ihn zu sorgen und euer Heim zu schützen?«
»Ja, Ältester«, sagte Gandoryn, und man hörte ihrer Stimme an, dass sie
dabei lächelte. »Dies schwöre ich.«
»So fasst nun Zügel und Wasserflasche gemeinsam«, sagte der Älteste
salbungsvoll, worauf die beiden jungen Leute beide Gegenstände umfassten
und der Älteste seine Hände auf die Köpfe des frisch vermählten Paares legte.
»Mögen die Hufe eurer Rösser rasch wie der Wind eilen, und möge das
Wasser zu eurer Erquickung nie versiegen. So hüllt Gandoryn nun in Euren
Umhang, Dormunt, und nehmt sie zu Eurem Weibe.«
Dormunt nahm die Zügel in eine Hand, löste seine andere von der
Wasserflasche und hüllte seine Frau und sich selbst in den weiten Umhang
des Pferdelords ein. Der Älteste hob den Blick. »So seid ihr nun vor Volk und
König …«
Er verstummte, und ein merkwürdiges Krächzen drang aus seinem Mund.
Alle hoben irritiert den Kopf und sahen nur, wie sich die Augen des
Ältesten weiteten, seine Hand sich hob und er hinter die Menge deutete, aber
noch bevor überhaupt irgendjemand den Kopf wenden konnte, ragte plötzlich
ein gefiederter Pfeilschaft aus der Kehle des Ältesten. Er stieß ein
merkwürdiges Gurgeln aus und kippte dann schlaff hintenüber. Im ersten
Augenblick war die Menge wie gelähmt. Schreie ertönten, und es waren nicht
nur Schreie der Verwirrung und des Entsetzens, sondern auch Schmerzens-
und Todesschreie.
Dorkemunt konnte aufgrund seines kleinen Wuchses nicht erkennen, was
hinter den Rücken der Menschen vor sich ging, also sprang er ohne zu zögern
auf das Podest, wo er den Ältesten, dessen Körper noch seltsam zuckte,
ignorierte und über die Köpfe der Anwesenden hinwegspähte. Doch da
begann die Menge sich bereits zu zerstreuen und panisch
auseinanderzudrängen. Dorkemunt spürte den Luftzug eines Pfeils, der an
seinem Ohr vorbeizischte.
»Orks«, krächzte er ungläubig. Er wusste sehr wohl, was das für Gestalten
waren, die da vom Rand des Weilers her auf den Platz drängten, auch wenn er
nicht verstand, woher die Ausgeburten der Dunklen Macht so unvermittelt
kommen konnten. Bisher hatten sie ihren Platz in alten Legenden gehabt,
doch nun waren sie leibhaftig hier in ihren finsteren Rüstungen und mit
gierigem Gebrüll. »Orks«, brüllte Dorkemunt. »Zu den Waffen, ihr
Pferdelords! Ein Überfall!«
Aber niemand hatte seine Waffen mit auf den Versammlungsplatz
genommen, mit Ausnahme einiger Pferdelords, die dem Brautpaar später das
Ehrengeleit geben sollten, und natürlich mit Ausnahme von Dormunt und
seinem Vater. Dormunt hatte sich dem Feind bereits zugewandt und stand
schützend vor Gandoryn und ihrer Mutter, während er seine Klinge zog. Auch
die Handvoll bewaffneter Pferdelords stellte sich mit gezückten Waffen dem
Feind, der auf sie vorrückte. Schon lagen Männer, Frauen und Kinder in
ihrem Blut, während die Lebenden panisch versuchten, ihre Häuser zu
erreichen, um dort Schutz zu finden und sich zu bewaffnen. Pfeile zischten
und warfen viele von ihnen zu Boden. Manche versuchten blutend vom Platz
zu kriechen, bis die Bestien an sie herantraten und sie erschlugen.
Dorkemunt sprang vom Podest neben seinen Sohn. »Lauft zum Haus, dort
steht noch mein Pferd. Flieht zur Südweide und nehmt von dort noch andere
Tiere«, schrie er seinen Sohn an. »Ihr müsst fort von hier. Hier können wir
nicht bestehen. Es sind zu viele.«
Das Schlagschwert eines Rundohrs schlitzte den Oberkörper einer alten
Frau auf, und ihr Blut und ihre Eingeweide strömten hervor, während sie
schreiend zusammenbrach. Ein Pferdelord stieß dem triumphierenden Ork
seine Klinge in den Leib, wurde aber fast gleichzeitig vom Spieß eines
anderen Rundohrs getroffen und stürzte rücklings zu Boden. Der Ork hielt
den noch keuchenden Mann mit seinem Spieß auf den Boden gedrückt und
drehte die Klinge im Leib des Hilflosen so lange, bis ein anderer Ork
hinzukam und den Kopf des Pferdelords mit seinem Schlagschwert vom
Rumpf trennte.
Aus einem der Häuser zischte ein Pfeil hervor und traf eines der
Spitzohren, die selbst mit triumphierenden Lauten ihre Bogen immer wieder
auf die Hilflosen auslösten. Das Spitzohr quiekte getroffen auf, aber schon
drangen andere Orks in das Haus ein, und kein weiterer Pfeil wurde mehr von
dort gelöst.
Nur fünf Pferdelords standen noch auf den Beinen, die alle verwundet und
mit dem Blut von Menschen und Orks bespritzt waren. Dorkemunt schwang
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