Er wurde von weiteren Grübeleien abgehalten, als sich eine Türe öffnete und Xiarana den Raum betrat. Sofort richteten sich alle Augen auf sie und Kormenon stockte einmal mehr der Atem. Sie trug nun ein Kleid aus dunkelblauem Samt, das am Ausschnitt mit Silberfäden verziert war. Auch die weiten Glockenärmel waren silbern bestickt und reichten fast bis zum Boden. Abgerundet wurde das Kleid mit einem silbernen Gürtel, der tief auf Xiarana`s schmalen Hüften saß. Ihr Haar floss nun in sanften Wellen über ihren Rücken und wurde nur im Nacken mit einer silbernen Spange zusammengehalten. Auf ihr Zeichen hin gab Aregor den Befehl, sich zu formieren und die Prinzessin wurde von ihrer Garde in den Speisesaal geleitet, wo schon das Festmahl bereitstand. Xiarana nahm neben ihrem Onkel am Kopfende der großen Tafel Platz, an der bereits die Fürsten der höchstgestellten Häuser, sowie einige herausragende Ritter saßen. Natürlich hatte sich auch Sir Jerembor dort eingefunden, der als Preis für seinen Turniersieg zur Linken der Kronprinzessin speisen durfte. Die Soldaten der Sterngarde durften nun ebenfalls eine wohlverdiente Pause genießen. Für sie war unweit der königlichen Tafel ein Tisch gedeckt worden, damit sie sich für den Rest des Abends stärken konnten.
Tempolo hatte die Zeit während es Turniers genutzt, um etwas zu essen und sich ein wenig auszuruhen. Nun war er im Speisesaal unterwegs und unterhielt die Gäste. Er schlich sich von hinten an einen Barden heran, der so in seine Erzählung vertieft war, dass er dies nicht einmal bemerkte. Erst als seine Zuhörer scheinbar grundlos in Gelächter ausbrachen drehte er sich um und entdeckte den Narren, der hinter seinem Rücken fröhlich Grimassen schnitt. Mit drohenden Gesten scheuchte er ihn weg, konnte sich aber selbst ein Lachen nicht verkneifen. Während er immer noch kichernd seine Erzählung wieder aufnahm, hüpfte Tempolo fröhlich zur königlichen Tafel. Dort nahm er sich drei Äpfel aus einer Schale und begann, damit zu jonglieren. Die Kronprinzessin applaudierte lachend, ebenso wie die meisten Anderen an der Tafel. Nur Graf Varash bedachte den Narren mit einem strafenden Blick, was diesen jedoch nicht zu stören schien. Er lief weiterhin jonglierend durch den Saal. Am Tisch der Sterngarde entdeckte er einen missmutig dreinblickenden Kormenon. Da er sich gut vorstellen konnte, wie der Tag des jungen Soldaten verlaufen war, näherte er sich dem Tisch. Ein kurzes Stück davon entfernt, machte er jedoch kehrt und warf einen Apfel über seine Schulter, der Nemlac direkt am Kopf traf. Wütend sprang dieser auf, doch da der Narr bereits wieder zur Kronprinzessin zurückgekehrt war, konnte er nichts tun. Er musste sich wieder setzen und das Gelächter der Anderen über sich ergehen lassen. Tempolo zwinkerte Kormenon unauffällig zu und erhielt ein dankbares Lächeln dafür. Von Nemlac würde er sich heute natürlich fernhalten müssen, doch im Grunde hatte er nichts zu befürchten, da er als oberster Hofnarr und Vertrauter der Kronprinzessin einen gewissen Schutz genoss. Um den Bogen aber nicht zu überspannen, legte der die restlichen Äpfel zurück in die Schale und begann, zwischen den Tischen Räder und Saltos zu schlagen.
Schließlich war das Festmahl beendet. Die Gesellschaft begab sich nun in die große Festhalle, wo der Abend mit einem Ball ausklingen sollte. Die Halle war mit Blumengirlanden und bunten Bändern geschmückt worden, an Decke und Wänden sorgten große Leuchter mit hunderten von Kerzen für warmes Licht. Etwa die Hälfte des großen Saales war mit Tischen und Bänken ausgefüllt, an denen die Gäste ausruhen und etwas trinken konnten. Die andere Hälfte diente als Tanzfläche, da den ganzen Abend über verschiedene Barden und Spielleute ihr Können unter Beweis stellen durften. Die Kronprinzessin hatte gemeinsam mit ihrem Onkel auf einem erhöhten Podest Platz genommen und war erneut von der Sterngarde umgeben. Tempolo hielt sich meist bei den Bänken auf, wo er die Gäste mit Kunststücken und Gaukeleien erheiterte. Von Zeit zu Zeit nahm er auch zu Füßen Xiarana`s Platz, um wieder etwas zu Atem zu kommen. Gerne hätte er sie um einen Tanz gebeten, doch das höfische Protokoll verbot es leider. So musste er sich damit begnügen zuzusehen, wie sie mit Graf Varash oder einem der Fürsten tanzte. Und Kormenon ging es nicht besser als ihm. Der junge Mann wandte den Blick keine Sekunde von der Prinzessin ab und schien beinah nach einem Grund zu suchen, aus dem er einschreiten könnte. Doch die Fürsten verhielten sich stets vorbildlich, so blieb ihm nichts übrig, als weiterhin schweigend zu beobachten. Je später die Stunde umso erschöpfter wirkte Xiarana, doch ihre Gäste schienen nicht bereit, das Fest enden zu lassen. Es war weit nach Mitternacht, als Graf Varash schließlich aufstand und erklärte, es sei an der Zeit, sich zurückzuziehen. Daraufhin dankte die Kronprinzessin allen Anwesenden für ihr Kommen und wünschte ihnen eine gute Nacht. Nach einem letzten dankbaren Blick zu ihrem Onkel ließ sie sich von der Sterngarde zu ihren Gemächern geleiten, wo zwei Zofen bereits auf sie warteten. Xiarana wünschte nun auch den Soldaten eine gute Nacht und entließ sie nach Hause. Kormenon verneigte sich und wartete wie die Anderen bis die Prinzessin in ihren Privatgemächern verschwunden war, bevor er sich auf den Weg zu seinem Zimmer machte. Den Soldaten der Sterngarde wurden Zimmer im unteren Teil des Palastes zur Verfügung gestellt, damit sie im Notfall sofort zur Stelle waren, wenn die Kronprinzessin sie brauchen sollte. Während Kormenon langsam durch die unzähligen Gänge der riesigen Festung schritt, wirbelten tausend Gedanken in seinem Kopf durcheinander. Doch der Tag war mehr als anstrengend gewesen, sodass er einschlief, kaum dass sein Kopf das Kissen berührte.
Auch Tempolo hatte sich mittlerweile auf sein Zimmer im Bedienstetenflügel des Palastes zurückgezogen. Er lag jedoch wach und starrte in die Dunkelheit. Die Sorge um Xiarana raubte ihm den Schlaf. Der heutige Tag hatte sie viel Kraft gekostet und der kommende Tag würde noch um ein Vielfaches schlimmer werden. Obwohl er keinen Zweifel daran hatte, dass sie eine wundervolle Königin sein würde, fragte er sich, ob sie nicht doch zu jung war. Sie hatte heute majestätisch und erwachsen gewirkt, aber manchmal sah Tempolo immer noch das kleine Mädchen vor sich, dass sie ja im Grunde auch war. Seufzend warf sich der Narr auf die andere Seite. Seine Grübeleien würden ihr auch nicht helfen. Das Einzige, was er für seine Herrin tun konnte, war ihr auch nach der morgigen Krönung weiterhin treu zur Seite zu stehen. Mit diesem Gedanken fiel er endlich in einen unruhigen Schlaf.
Der Tag begann mit einem malerischen Sonnenaufgang und milden Temperaturen, die den bevorstehenden Sommer ankündigten. Obwohl das ganze Volk bis spät in die Nacht hinein gefeiert hatte, standen die Meisten schon mit den ersten Sonnenstrahlen auf. Erneut herrschte geschäftiges Treiben, denn der heutige Tag sollte den vorangegangenen noch übertreffen. Jeder wollte seinen Beitrag leisten, um die Krönung der zukünftigen Königin zu einem unvergesslichen Ereignis werden zu lassen.
Auch Kormenon hatte beim ersten Hahnenschrei sein Bett verlassen und legte nun seine Uniform an. Sein Gesicht war bereits glattrasiert und seine dunklen Locken hatte er am Hinterkopf zusammengebunden. Er strich seine Tunika glatt, vergewisserte sich noch einmal, dass seine Stiefel geputzt waren und gürtete anschließend sein Schwert um. Nach einem letzten, prüfenden Blick in den Spiegel verließ er sein Zimmer. Während er einmal mehr seinen Weg durch die schier endlosen Gänge des Palastes antrat, waren seine Gedanken meilenweit entfernt.
Er grübelte schon den ganzen Morgen und war inzwischen zu einem Entschluss gekommen, der ihm zwar nicht wirklich gefiel, aber sicher das Beste war. Er würde diesen Tag noch durchstehen und morgen darum bitten, aus der Sterngarde entlassen zu werden. Als Grund wollte er angeben, dass die Verantwortung für einen Mann seines Alters einfach zu groß war. Natürlich würden seine Eltern enttäuscht sein und er würde viel Spott ertragen müssen, aber vielleicht konnte er in sein altes Leben zurückkehren. Vielleicht konnte er sich der Reiterei anschließen.
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