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Kormenon lief eilig durch die labyrinthartigen Gänge des Palastes. Manchmal hatte er noch immer Probleme damit, sich im Schloss zurechtzufinden. Besonders an einem Tag wie heute, an dem sich so viele Menschen auf den Gängen drängten. Diener und Mägde liefen teils schwer bepackt durcheinander, während einige Soldaten versuchten, sich durch das Gedränge zu kämpfen und der ein oder andere Edelmann verzweifelt den Weg zu seinen Gastgemächern suchte. Kormenon ignorierte den ganzen Trubel und schlug den kürzesten Weg zu den Gemächern der Kronprinzessin ein. Eigentlich hatte er nur kurz nach den Pferden sehen wollen, doch die geschwätzigen Stallburschen hatten ihn mit tausend Fragen gelöchert und viel zu lange aufgehalten. Was er gerade an diesem Tag so gar nicht gebrauchen konnte. Als Mitglied von Xiarana`s Leibgarde hatte er einen ebenso hektischen Tag wie die Prinzessin selbst. Schließlich musste er überall dort sein, wo sie war und seine Wachsamkeit durfte keine Sekunde nachlassen. Er konnte sich zwar nicht vorstellen, dass irgendjemand seiner Herrin etwas Böses wollte, doch sicher wissen konnte man das natürlich nie.
Kormenon ließ das große Treppenhaus hinter sich und erreichte kurz darauf endlich die Vorhalle von Prinzessin Xiarana`s Gemächern, wo seine Kameraden bereits warteten. Natürlich wurde er wegen seiner Verspätung sofort von Aregor, dem Hauptmann der Garde, gerügt und von den Anderen ausgelacht. Er ließ es schweigend über sich ergehen und lehnte sich etwas abseits gegen die Wand. Da er nicht nur das neueste Mitglied der königlichen Leibgarde, sondern mit gerade einmal 22 Jahren auch mit Abstand der Jüngste war, gab er für die Anderen natürlich die perfekte Zielscheibe ab. Viele sahen es nicht gern, dass er in seinem Alter schon eine so verantwortungsvolle Position innehatte und wären ihn am liebsten sofort wieder losgeworden. Zumal die, auch als Sterngarde bezeichnete Truppe gerade einmal aus sieben Männern bestand. Doch da er es aus eigener Kraft so weit gebracht hatte und nicht durch Beziehungen – sein Vater war lediglich Kaufmann, kein Fürst – konnten sie nichts gegen ihn unternehmen, solange er sich nichts zu Schulden kommen ließ. Daher hegten einige der anderen Soldaten die Hoffnung, er würde die Garde vielleicht freiwillig verlassen, wenn sie ihm nur genug Anlass dafür gaben. Einzig Voril, ein Hüne von einem Mann, mit dunklem Haar, einem sorgfältig gestutztem Bärtchen und buschigen Augenbrauen, hielt zu dem jungen Soldaten und stärkte ihm den Rücken. Auch jetzt klopfte er Kormenon wieder freundschaftlich auf die Schulter und wisperte ihm ein leises: „Ignoriere sie einfach.“ zu. Der Jüngere lächelte ihn dankbar an und nickte. Ohne Voril`s Hilfe hätte er vielleicht wirklich schon aufgegeben. Und in Situationen wie dieser fragte er sich, warum er es nicht einfach tat.
Dann öffneten sich die großen Flügeltüren am Ende des Saales und die Kronprinzessin betrat den Raum. Sofort wusste Kormenon wieder, warum er den Spott und die Gemeinheiten seiner Kameraden ertrug. Xiarana schien von innen heraus zu strahlen. Das zarte eisblau ihres Gewandes harmonierte perfekt mit der Farbe ihrer Augen. Ihr kupferblondes Haar war mit silbernen Bändern durchflochten und kunstvoll aufgesteckt. Dazu trug sie einen Umhang aus dunkelblauem Samt, der mit einer Silberbrosche in Sternform zusammengehalten wurde. Kormenon fühlte sich unfähig, sich zu bewegen oder auch nur zu atmen, als sie an ihm vorüberschritt. Erst als Voril ihm einen leichten Stoß in die Rippen versetzte fiel die Starre von ihm ab und er reihte sich mit den Anderen in die Formation ein. Kaum hatte er seinen Platz eingenommen, setzte sich die Gruppe auch schon in Bewegung. Die Kronprinzessin verließ die Halle und schritt, stets flankiert von ihrer Leibgarde, einen breiten Gang entlang, durch eine weitere Halle und zwei schmälere Gänge. Schließlich stieg sie eine gewundene Treppe nach oben, die zu den Zinnen des Nordturmes führte. Von dieser erhöhten Position aus konnte man die gesamte Umgebung überblicken. Kormenon ließ seinen Blick über den Marktplatz schweifen, wo sich eine riesige Menschenmenge drängte. Von hier oben waren nicht mehr als bunte Punkte zu erkennen, die sich zu einem großen, farbenprächtigen Teppich zusammenfügten. Auch die Straßen und kleinen Gässchen wimmelten vor Schaulustigen. Jeder, so schien es, wollte an dem heutigen Ereignis teilhaben. Außerhalb der Schlossmauern hatten die Händler und Spielleute ihre Zelte aufgeschlagen und an der Südseite der Burg konnte man gerade noch ein Stück des Turnierplatzes erkennen. Dann schlug die Turmuhr zwölf und Xiarana öffnete einen Käfig, aus dem sich 20 weiße Tauben in die Luft erhoben. Das Volk brach in Jubelschreie und Beifallsstürme aus. Die Festlichkeiten zum 20. Geburtstag der Kronprinzessin hatten nun offiziell begonnen.
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Nach der feierlichen Eröffnungszeremonie hatte sich das Gedränge im Burghof wieder etwas gebessert. Inzwischen hatte der Markt geöffnet und viele bestaunten die Waren der Händler, die aus allen Himmelsrichtungen angereist waren, oder feilschten um den Preis eines begehrten Stückes. Auch Tempolo schlenderte an den Ständen vorbei und genoss es, einmal nicht sofort sämtliche Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Der oberste Narr des Hofes hatte sich mittlerweile umgezogen und war nun in die Farben der Kronprinzessin gekleidet. Das rechte Bein seiner Hose war silbern, das linke dunkelblau. Er trug eine silberne Tunika und darüber ein blaues Wams, sowie eine gestreifte Narrenkappe und unterschiedliche Schuhe – am linken Fuß einen silbernen, am rechten einen blauen – deren Spitzen nach oben gebogen waren und in einem Glöckchen mündeten. Mit Xiarana`s Krönung am morgigen Tag würde er, als oberster Narr des Hofes, automatisch zum Narren der Königin werden. Die höchste Position, die man in seinem Beruf erreichen konnte. Und eine Position, die ihn mit Stolz erfüllte. Die kleine Prinzessin war nun erwachsen geworden und würde schon bald eine wahrhaft große Königin sein.
Bevor Tempolo sich jedoch in Erinnerungen an Xiarana`s Kindheit verlieren konnte, wurde er von Fanfarenklängen aus seinen Überlegungen gerissen. Sofort drängten die Menschen zur Straße. Auch Tempolo folgte der Masse und suchte sich etwas abseits einen Platz. Es dauerte nicht lange, bis er eine Gruppe Pusinenbläser in blauen Livreen um die Ecke biegen sah. Ihnen folgten Trommler und Fahnenschwenker und schließlich die Kutsche der Kronprinzessin. Sie wurde von drei schneeweißen Pferden gezogen und von der Sterngarde flankiert, deren Mitglieder allesamt auf schwarzen Pferden ritten. Die Menge jubelte begeistert und Xiarana winkte ihren Untertanen lächelnd zu. In der letzten Reihe, rechts der Kutsche, konnte Tempolo Kormenon erkennen. Er saß in aufrechter Haltung auf seinem Pferd und ließ den Blick unauffällig durch die Menge schweifen, was dem Narren ein anerkennendes Lächeln auf die Lippen zauberte. Der Soldat hatte nicht umsonst in seinen jungen Jahren schon so viel erreicht.
In Erial hatte jeder Mann das Recht, sich zum Soldaten ausbilden zu lassen. Nach abgeschlossener Ausbildung lag es an den eigenen Fähigkeiten, wie weit man kam. Viele gaben sich mit dem Dasein eines einfachen Fußsoldaten zufrieden, Andere bemühten sich um einen Platz in der Reiterei. Wer höher hinaus wollte, konnte sich um einen Platz in einer Garde bewerben. Der Drachenorden war dafür bekannt, nur die besten Schwertkämpfer aufzunehmen, während in der Feuergarde vor allem der bedingungslose Glaube an den Sonnengott Soriton zählte. Neben diesen beiden größten Orden gab es noch eine Vielzahl kleinerer, sowie natürlich die geheimnisvolle Schattengarde, die zum Schutz des Truchsess bestellt war. Die höchste Auszeichnung allerdings, war ein Platz in der Sterngarde, die gerade einmal sieben Männer umfasste, symbolisch für die sieben Zacken des silbernen Sterns, seit jeher das Symbol der Königin. Einen noch höheren Stand konnte ein Soldat nur durch einen Ritterschlag erreichen, was äußerst selten vorkam, da das Rittertum eigentlich den Fürsten vorbehalten war. Allein die Königin oder der König hatten die Macht, einen einfachen Soldaten zum Ritter des Reiches zu schlagen. Tempolo konnte sich nicht erinnern, dies einmal erlebt zu haben. Doch vielleicht würde er es ja eines Tages erleben, dachte der Narr mit Blick auf Kormenon.
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