Dieser ritt weiterhin wachsam am Ende des Umzuges. Er hatte in der Menge viele bekannte Gesichter entdeckt, auch wenn er sich dies nicht hatte anmerken lassen. Da war Tempolo gewesen, in die Farben der Königin gekleidet und mit seinem typischen Lächeln im Gesicht. Der Hofnarr mit den sanften braunen Augen und den kurz geschnittenen braunen Haaren, die fast immer von seiner Narrenkappe verdeckt wurden, schien wirklich niemals schlechter Laune zu sein. Ein Stück weiter entfernt hatte Kormenon seine Eltern entdeckt, deren Gesichter voller Stolz waren. Sie hatten sich wohl vor allem in die erste Reihe gedrängt, um ihren Sohn zu sehen und nicht die künftige Königin. Daneben stand seine Schwester mit ihrem Ehemann und ihrem kleinen Sohn. Nur wenige Meter entfernt alberten zwei Waldgeister herum und Kormenon musste sich bemühen, seine stoische Miene beizubehalten und nicht über Tarmin`s Grimassen zu lachen. Durch seine verantwortungsvolle Position, die vor allem Neid hervorrief, hatte er nicht viele Freunde im Palast, doch auf Tarmin und Kirelle konnte er immer zählen. Er sah auch ein paar ehemalige Kameraden aus seiner Ausbildungszeit. Damals waren sie seine Freunde gewesen, doch nach seiner Aufnahme in die Sterngarde hatten sie sich von ihm abgewandt. Ebenso wie die alten Freunde seiner Kindheit, die ihn mittlerweile nicht einmal mehr grüßten, wenn er sie auf der Straße traf. Diese Einsamkeit, zusammen mit dem Spott seiner Kameraden, ließ ihn seine Entscheidung manchmal bereuen. Doch seine Familie zumindest war Stolz auf ihn und die Sterngarde war für ihn die einzige Möglichkeit, seiner Angebeteten nahe zu sein. Denn, auch wenn er wusste, dass seine Liebe zu Xiarana hoffnungslos war und niemals erwidert werden würde, war es zumindest ein kleiner Trost, in ihrer Nähe zu sein und sie zu beschützen.
Nach Stunden, wie es ihm schien, war die Parade endlich zu Ende. Er stieg von seinem Pferd und reichte die Zügel einem Stallburschen, um sich dann erneut in die Formation einzureihen. Nun wurde die Kronprinzessin von ihrer Garde in den kleinen Thronsaal geleitet, wo sie die Glückwünsche der Fürsten entgegennehmen sollte. Der kleine Thronsaal war eine lange Halle aus dunklem Stein im oberen Teil des Palastes. Durch schmale Fenster an der südlichen Seite drang gedämpftes Licht herein, während an den Wänden aufgestellte Kerzenleuchter für weitere Helligkeit sorgten. Der Saal war bis auf einige Banner an den Wänden nahezu schmucklos und schien eine leichte Kälte auszustrahlen. Am hinteren Ende führten Stufen zu einem breiten Marmorsockel hinauf, auf dem sich zwei Thronsessel aus dunklem Holz befanden. Von einem dieser Sessel erhob sich nun Graf Varash, Onkel der Kronprinzessin, Truchsess und derzeitiger Regent. Ohne sagen zu können warum, erschauerte Kormenon bei seinem Anblick. Der Truchsess war ein hochgewachsener Mann, mit stechend grauen Augen, Kinn- und Oberlippenbart und dunklen Haaren, in denen sich erste graue Strähnen zeigten. Er war in dunkle Grau- und Silbertöne gekleidet und trug einen schweren Mantel mit Pelzbesatz, der für das milde Frühlingswetter viel zu warm schien. Varash war eine ehrfurchtgebietende Persönlichkeit und schien immer ein wenig unnahbar, was Kormenon seinem Amt zuschrieb. Als Regent des Landes hatte er kaum Zeit für persönliche Kontakte. Der Graf war, wie immer von einigen Mitgliedern der Schattengarde umgeben, die sich seinem Schutz verschrieben hatten. Über diese Garde war nicht viel bekannt, da ihre Mitglieder sehr verschwiegen waren und den Kontakt zu Außenstehenden mieden. Daher gab es zahlreiche Gerüchte und manch einer sagte ihnen sogar dunkle Absichten nach. Auch die traditionelle Kleidung der Garde war nicht gerade dazu angedacht, diese Gerüchte zu zerstreuen. Die Mitglieder trugen ausschließlich Hosen und Tuniken in dunklen Grautönen und darüber meist Gugeln, die tief ins Gesicht gezogen wurden.
Prinzessin Xiarana schritt die Stufen nach oben und wurde von ihrem Onkel mit einem Lächeln begrüßt. Nach einer flüchtigen Umarmung nahmen Beide Seite an Seite Platz, während Kormenon und seine Kameraden links und rechts des Throns Posten bezogen. Normalerweise würde auch Rolkor, Xiarana`s jüngerer Bruder, an dem Empfang teilnehmen, doch der Prinz war vor zwei Jahren von Varash nach Meskalyna gesandt worden, um dort im Tempel des Rivinikan zum Krieger ausgebildet zu werden.
Auf ein Zeichen Xiarana`s hin, öffneten zwei Diener die großen Flügeltüren der Halle und die ersten Fürsten des Landes betraten den Saal, um der Kronprinzessin ihre Aufwartung zu machen. Der Empfang schien sich endlos in die Länge zu ziehen und Kormenon fragte sich, ob wirklich alle Adligen Erials und der benachbarten Königreiche erschienen waren. Es sah zumindest danach aus. Und keiner von ihnen schien geneigt, sich ein wenig kurz zu fassen. Jeder bestand darauf, einige Worte mit der Kronprinzessin zu wechseln oder ihr ein Geschenk zu überreichen, was die Prozedur zusätzlich in die Länge zog. Kormenon unterdrückte ein Gähnen und versuchte, weiterhin Haltung zu bewahren. Endlich trat das letzte Fürstenpaar vor den Thron und der junge Soldat atmete erleichtert auf. Nachdem auch dieses Paar seine Glückwünsche ausgesprochen und den Saal verlassen hatte, seufzte Xiarana und erhob sich. Ihr Onkel tat es ihr gleich und bot ihr mit einem aufmunternden Lächeln seinen Arm. Die Prinzessin hakte sich bei ihm ein und sie verließen gemeinsam den Saal, flankiert von den Mitgliedern der Stern- und Schattengarde. Im Saal machten sich die Diener daran, die Geschenke wegzuräumen, während sich die Kronprinzessin und der Truchsess in die Königsloge der Arena begaben.
***
Tempolo schlug drei Saltos hintereinander und verbeugte sich anschließend vor seinem jubelnden Publikum. Die Sitzplätze der Arena hatten sich bereits zu einem großen Teil gefüllt, daher hatte man einige Gaukler und Feuerspucker auf den Turnierplatz geschickt, um das Publikum zu unterhalten. Die Sitzplätze waren den Fürsten und den höher gestellten Bürgern vorbehalten, während das einfache Volk versuchte, hinter der Tribüne einen Stehplatz zu ergattern. Tempolo vollführte einige weitere, akrobatische Kunststücke und beobachtete dabei aus den Augenwinkeln, wie sich die Arena weiter füllte. Natürlich musste er dabei auch darauf achten, keinem Feuerspucker in die Quere zu kommen. Schließlich erschienen Xiarana und Varash in der Königsloge und nahmen, eingerahmt von ihren Leibgarden, ihre Plätze ein. Kurz darauf erklangen Posaunen, das Signal für die Gaukler und Artisten, den Turnierplatz zu verlassen. Tempolo schlug einen letzten Salto und verschwand winkend nach hinten. Der Turniermeister erschien um die Regeln zu erklären. Die Streiter traten zunächst im Tjost gegeneinander an. Wurde ein Ritter aus dem Sattel geworfen, schied er aus und die Runde ging an seinen Gegner. Konnten sich Beide auf den Pferden halten, mussten sie erneut gegeneinander anreiten. Wurden Beide vom Pferd geworfen, so traten sie im Nahkampf mit Schwertern oder dem Morgenstern gegeneinander an, um den Sieger zu bestimmen. Die Sieger aus der ersten Runde trafen dann in der zweiten Runde aufeinander, wodurch in jeder Runde Ritter ausschieden, bis am Ende einer als Sieger übrig blieb.
Ein weiteres Posaunensignal kündigte den Beginn des Turniers an und schon wurden die ersten Beiden von insgesamt 16 Rittern von ihren Herolden vorgestellt. Das Turnier erstreckte sich über vier Runden und es gab glücklicherweise keine Verletzten zu beklagen. Aus der Finalrunde ging Sir Jerembor von Leferaq, ein junger Ritter mit blondem Haar, als Sieger hervor. Die Kronprinzessin überreichte dem stolzen Recken einen goldenen Farnzweig als Siegesprämie. Damit war das Turnier beendet und Prinzessin Xiarana zog sich für einen kurzen Augenblick der Ruhe in ihre Gemächer zurück.
Dies bedeutete auch für die Sterngarde eine kleine Pause und Kormenon ließ sich dankbar in einen Sessel fallen. Abgesehen von dem kurzen Ritt während der Parade hatte er beinahe den ganzen Tag gestanden und seine Beine schmerzten dementsprechend. Bevor er aber wirklich entspannen konnte, hörte er eine hämische Stimme hinter sich: „Na, sind wir etwa schon müde? Die Sterngarde ist eben kein Platz für kleine Jungen. Vielleicht solltest du lieber wieder mit Holzschwertern spielen gehen.“ Kormenon bedachte den Sprecher mit einem finsteren Blick, würdigte den Spott jedoch keiner Antwort. Von seinen Kameraden war Nemlac wohl der Schlimmste und auf jeden Fall derjenige, der ihn am meisten piesackte. Dass Kormenon ihn nicht beachtete, schien ihn nur noch mehr zu ärgern. Er trat dem jungen Soldaten gegen das Schienbein und spottete weiter: „Was, zu müde zum sprechen, Bürschchen?“ Bevor Kormenon etwas erwidern konnte, schritt Voril ein. „Lass ihn in Ruhe, Nemlac. Wir sind doch alle müde.“ „Nimm das kleine Bürschlein nicht schon wieder in Schutz. Immer verteidigst du ihn!“ warf Nemlac nun Voril vor. Dieser wurde von Hauptmann Aregor von einer Antwort abgehalten, der Allen befahl, den Mund zu halten. Sein zorniger Blick galt dabei Kormenon, als habe er den Streit begonnen. Kormenon senkte den Kopf und unterdrückte ein Seufzen. Er hatte es aufgegeben, auf die Akzeptanz seiner Kameraden zu hoffen. Als er Voril`s Hand auf seiner Schulter spürte, zwang er sich, dem Älteren ein dankbares Lächeln zu schenken. Voril hielt immer zu ihm und zog damit den Zorn der Anderen auf sich, wofür Kormenon sich schuldig fühlte.Vielleicht sollte er doch endlich aufgeben und die Garde verlassen. Es würde bedeuten, seinen Traum aufzugeben, aber vielleicht wäre es doch das Beste.
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