„Warte, von welchem Panic-Room sprichst du da?“, will Raven wissen.
„Dein begehbarer Schuhschrank“, kläre ich sie auf. „Sie hat sich sicher dort verkrochen.“
Raven rauft sich die Haare. Das läutet meist eine Standpauke ein, die sich gewaschen hat.
Mit ihrem „Euch zwei kann man keine Sekunde alleine lassen“ weiß ich, dass ich recht behalten sollte.
„Es ist mir egal, wie du das machst, aber Mary ist heute dein Problem. Ich will damit nichts zu tun haben, also sieh zu, wie du sie beruhigt kriegst. Ich bin quasi in Chicago.“
Mein „Darf ich dann quasi beim Footballspiel sein?“ macht die Sache auch nicht besser.
Meine Frau greift sich an die Schultern. Ihr Kommentar „Toll. Von der Massage hab ich gerade mal zwei Stunden gezehrt“ soll mir ein schlechtes Gewissen machen.
Funktioniert.
Ich schnappe mir ihre Koffer und beruhige mich selbst mit den Worten: „Das Schlimmste, was passiert sein könnte ist, dass sie all deine Fußpilzerreger mit dem Feuerlöscher im Keim erstickt hat.“
Hoffentlich.
Mit einem mehr als mulmigen Gefühl schließe ich unsere Haustüre auf.
„PRINZESSIN! DADDY IST ZURÜCK. UND JETZT KEINE PANIK, MUM IST AUCH WIEDER DA!“, rufe ich in die Eingangshalle.
Stille.
Ravens Blicke gehen ins meuchelmördermäßige über, bevor ich mich in unser Schlafzimmer aufmache.
**********
„Küken?“
Stille.
Ich klopfe an die Tür des Schuhschrankes, doch es tut sich nichts. So vorsichtig wie ich kann, lasse ich die Schiebetüre „quasi“ im Zeitlupentempo aufgleiten. So weit ich es beurteilen kann, ist hier drin alles beim Alten.
Nicht, dass ich jemals einen Fuß hier reingesetzt habe. Wer weiß, was so ein Raum mit meinem Testosteronspiegel anrichten könnte, der schon unter der Herrschaft der Fürstin der Finsternis deutlich gelitten hat.
Gut, dann ist sie doch in ihrem Zimmer geblieben. Etwas erleichtert steige ich die Treppen ins Zwischengeschoss hinunter. Vor ihrer Tür lausche ich.
Stille.
Na ja, das bedeutet ja nichts. Sie könnte schlafen – oder sich ein Kissen ins Gesicht drücken.
Obwohl ich weiß, dass sie das in Angst und Schrecken versetzen wird, klopfe ich dennoch. „PRINZESSIN? ALLES OKAY?“
Stille.
Ihr Zimmer darf eigentlich niemand betreten, aber heute geht das schon in einem Angstaufwasch, deshalb drücke ich die Türklinke vorsichtig runter und schlüpfe durch die Seuchenschleuse.
Obwohl ich eigentlich weiß, was sich dahinter verbirgt, erschreckt es mich dennoch jedes Mal.
Das Bett ist das einzige Möbelstück – na ja, bis auf das Nachtkästchen, auf dem ihr Notebook steht. Natürlich nur, wenn man das Krankenhausbett mit dem beidseitigen Fallschutz ohne Matratze und das dazugehörige, rollbare Nachtkästchen mit Klapptischchen als „Möbel“ bezeichnen kann.
Ich bereue die Entscheidung, erlaubt zu haben, den Raum voll zu verfliesen. Das wär ja gar nicht schlimm. Schlimm ist der in den Boden eingelassene, silberne Ausguss, der als Wasserablauf dient und alles wie eine Gaskammer wirken lässt.
Sie spült die Wände doch tatsächlich mit dem Dampfreiniger ab, der in der Ecke steht und mir bei meinem letzten Besuch hier drin gar nicht aufgefallen ist.
Ich dachte, das wär ein Scherz.
Die unzähligen Phobien, die sie an die Fliesen gekrakelt hat, verströmen zusätzlich einen Hauch Wahnsinn.
Wobei wir beim Thema wären: Von Mary fehlt jede Spur.
Beim Betreten des angrenzenden Badezimmers zieht es mir die Gänsehaut auf. Die freistehende Wanne ist so penibel sauber auf Hochglanz poliert, dass es einem schon Angst macht. Das Desinfektionsmittel, das in einem Behälter an der Wand neben dem Waschbecken hängt, verströmt diesen Grusel-OP-Stimmungs-Duft. Ich glaube, nicht mal im Krankenhaus ist es so steril, wie hier drin.
Ich fühle mich direkt in einen Horrorfilm hineinversetzt.
Jetzt brauch ich nur noch die Hauptdarstellerin ist zu finden.
Ich muss gestehen, ich bin froh, aus ihrem Zimmer raus zu sein. Mir schwant ebenfalls Böses, was mich gleich in der Küche erwarten wird, wenn ich es Raven beichte, dass ich die Suche erweitern muss.
Kurz spiele ich mit dem Gedanken, alles noch einen Moment lang zu vertuschen, mich allein aufzumachen, um das Haus nach ihr zu durchforsten, doch am Treppenabsatz erwischt mich bereits meine Frau.
„Hier. Ausnahmsweise“, kommentiert sie den Inhalator, den sie mir entgegenstreckt.
„Gut. Jetzt brauch ich nur noch Mary dazu“, stoße ich räuspernd aus.
Raven reißt die Augen auf. „War sie nicht im Schuhschrank?“
„Nein“, antworte ich kleinlaut.
„Dann sieh in ihrem Zimmer nach“, kommandiert sie mich forsch rum.
Mein „Da war ich auch schon“ aktiviert sichtlich ihren Mutterinstinkt. „Seitdem hab ich auch Angst“, ergänze ich.
Da geht er hin – unser vermeintlicher romantischer Abend.
Das „Wir finden sie schon. Sie kann nicht weit sein. Immerhin geht sie nicht nach draußen“ trägt kaum zu ihrer Beruhigung bei.
Ganz im Gegenteil. Sie kneift die Augen zusammen und brüllt: „MARY! HIERHER! “
Ein „Ja, unser Hündchen spürt sie sicher auf“ ist mir rausgerutscht.
Ihr, in meine Richtung gestreckter, erhobener Zeigefinger bringt mich zur Einsicht.
„Keine Späße. Mary suchen“, nehme ich ihr die Worte aus dem Mund, die sie sicher nicht so nett formuliert hätte.
Was sich bewahrheitet, als sie „Du stellst jetzt das Haus auf den Kopf und wirst nicht eher ruhen, bis du sie gefunden hast. Ist das klar? “ nachsetzt.
Widerstand ist zwecklos. Ich salutiere und lasse die Sohlen meiner Schuhe aneinander schnalzen.
Bevor sie ausrasten kann, schicke ich ihr im Gehen ein „Mach dich locker, Raven. Sie hockt bestimmt im Raum mit deinen Putzmitteln und atmet in die WC-Ente“ hinterher.
Ihr „Als ob du wüsstest, wo ich meine Putzmittel aufbewahre“ war ein Seitenhieb, den ich nicht kommen sah, ihn aber wegstecke wie ein echter Kerl – also mit Ignoranz.
Das haben wir gleich.
Also, wenn ich Angst hätte, wo würde ich mich verstecken? Hm. Ich stecke mir den Inhalator in den hinteren Hosenbund, als würd ich in die Schlacht ziehen.
Stattdessen such ich nur Mary.
******
Nach etwa zwanzig Minuten habe ich jedes Wesen der Nacht, das in unseren Katakomben kreucht und fleucht aufgescheucht.
Aber von meiner Tochter fehlt jede Spur.
Zugegebenermaßen war der Keller wohl zu weit hergeholt, deshalb habe ich dem Dachboden die besseren Erfolgschancen zugeschrieben.
Umso erwartungsvoller sende ich die Worte „Brauchen wir ein Kriseninterventionsteam oder reicht es, wenn wir sie aus der Frischhaltefolie schneiden, in der sie sich komplett wie in einen Bratschlauch eingewickelt hat?“ an meine Frau, die bereits am Treppenabsatz auf mich wartet.
Bestimmt um mich zu Mary zu führen.
„ Du hast sie noch immer nicht gefunden? “, krächzt Raven fuchsteufelswild. „Muss man denn in diesem Haus alles selbst in die Hand nehmen?“
Natürlich antworte ich nicht, ich bin ja nicht lebensmüde, da dreht sie sich distanziert stocksteif um und schreitet beinahe majestätisch durch unser Haus.
Und ich hinterher.
Als wir den Wintergarten betreten, lasse ich meinen Blick im Raum umherschweifen – auf der Suche nach einem kleinen Äffchen, das sich an einen der Bananenbäume klammert, werde aber nicht fündig.
Zumindest bis ich den Kopf in die Richtung unseres Gartens gedreht habe, dessen Anblick meine Frau gerade mit weit aufgerissenen Augen fixiert. Nachdem die Glasschüssel, die sie gerade am Abtrocknen ist, klirrend auf den Boden auftreffen und in tausend kleine Scherben zerbrechen konnte, wohlgemerkt.
Ich zucke sogar zusammen.
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