Flobert schmatzt nachdenklich. “Hm, ich denke ... für mich bitte das Kalbs-Schnitzel ... nein, das Gulasch ... nein, doch den panierten Karpfen ... und Gurkensalat. Nein, grünen Salat, bitte! Oder Kartoffeln? Nein, grünen. Nur, wenn er aus Österreich ist. Mit Pinienkernen. Oder - nein, lieber ohne. Aber mit Joghurtdressing. Aber ohne Knoblauch.”
Der Kellner nickt und schreibt, streicht durch, schreibt weiter, mit steinerner Miene. Mila beugt sich zu Flobert. “Wow. Hast du das lange geübt?”
Flobert schaut erstaunt auf, und Mila ist so genervt von seiner Gegenwart, dass sie den Kellner eilig anspricht, um sich abzulenken, aber sie schaut ihn nur mit dem Auge an, das seinen Genitalien abgewandt ist. “Gibt es eine Soße zur Scholle?”
“Jawohl, die Dame. Remoulade.” Er mustert Mila irritiert, weil sie ein Auge geschlossen hält.
“Gut! Nehme ich. Danke.”
Flobert hakt eifrig ein. “Zum Karpfen auch?”
Der Kellner verneigt sich. “Jawohl. Oder Kapernsoße, wahlweise.”
“Oh, gut!” Flobert reibt sich die Hände, und Mila schnaubt und schaut böse, “Beide Soßen für mich. Ohne Zitrone.”
Der Kellner nickt ergeben und schaut Mila fragend an. Sie hält ihr leeres Weinglas hoch, und der Kellner deutet sanft darauf und wirft Flobert einen strengen Blick zu. “Es scheint, die Dame hat einen Wunsch.”
Mila knurrt: “Kann man wohl sagen.”
Flobert macht eine Geste, dass der Kellner noch ein Glas Wein bringen solle, und der Kellner nimmt das Glas fort und verlässt den Tisch, mit einem leichten Stolpern vor Eile. Flobert lächelt Mila geduldig an. “Wie war das genau, mit der Emanzipation?”
Mila ignoriert seine Anspielung und schaut ihn besonders betrübt an. “Bekomme ich kein Dessert?”
Flobert holt tief Luft und beugt sich zu ihr. “Möchtest du eines?”
Mila lächelt ihn giftig-süß an: “Weiß ich jetzt noch nicht. Aber man fragt doch zumindest.”
“Nach dem Hauptgang wollte ich fragen.” Flobert nimmt sein Glas Milch, prostet Mila zu und setzt das Glas an.
“Ah.”
Sie schauen einander kühl an, und einige Momente lang herrscht Schweigen, dann trinkt Flobert seine Milch in laut glucksenden Schlucken. Mila starrt auf einen hüpfenden Adamsapfel, reißt dann ihr Handtasche an sich und tut so, als ob sie etwas darin suchen würde.
Flobert setzt das Glas ab, tupft sich den Mund mit der Serviette und verschränkt die Arme, während er zuschaut, wie Mila etwas verlegen ein Taschentuch hervorzieht. Flobert runzelt die Stirn. “Es gibt noch Stofftaschentücher?”
Einen Moment lang ist Mila verblüfft über die Frage, dann lächelt sie mitleidig, “Oh, noch eine Bildungslücke.”
Flobert stößt nun ein amüsiert-hämisches Schnauben aus und schüttelt den Kopf, wortlos “Das sagt genau die Richtige” ausdrückend. Mila schaut sich nach den anderen Gästen um, die sich friedlich verhalten, atmet tief durch und stopft das Taschentuch zurück in ihre Tasche, ohne es verwendet zu haben. Dann setzt sie sich auch in ihrem Sessel zurück und schaut Flobert an, um Entspannung bemüht.
Beide zugleich setzen plötzlich ein gekünsteltes Lächeln auf, rücken sich auf ihren Stühlen zurecht und lächeln, als wären sie mit einemmal gut gelaunt. Sie sprechen gleichzeitig: “Ein nettes Lokal! Ein schönes Lokal.”
Sie lachen verlegen, nippen an den Getränken und sprechen wieder zugleich.
Mila: “Was hast du heute so gemacht?”
Flobert: “Wie geht es dir heute?”
Mila lacht, gekünstelt amüsiert. “Also, das ist ja wie beim Lift, wenn alle Leute anderen den Vortritt lassen!”
“Wirklich? Normalerweise drängen immer alle gleichzeitig rücksichtslos!”
“Ich finde es nervtötend, wenn alle so scheinheilig tun!” Mila macht eine wegwerfende Geste, die “Aber was soll’s” besagen soll.
Flobert gestikuliert, lehrmeisterlich: “Na, das Drängen ist erst nervtötend!”
Mit einem verbissenen Lächeln flüstert Mila: “Darf ich mir selber aussuchen, was für mich nervtötend ist?”
Sie schauen einander tief in die Augen und Mila ergreift hastig ihr leeres Weinglas. Der Kellner kommt heran und stellt ein volles Glas neben Mila auf den Tisch, verneigt sich leicht und stellt ein volles Milchglas neben Flobert, der ihn erstaunt und dankbar anschaut.
“Ich habe mir erlaubt, mein Herr.” Der Kellner verneigt sich, und Flobert faltet die Hände in einer Geste des Dankes, was Mila sofort zu einem verächtlichen Schnauben veranlasst. “Oh, Hellseher unter sich!” Der Kellner verzieht sich rasch, und Mila ergreift hastig ihr Weinglas und schließt beim Trinken die Augen, während Flobert schlürfend einen Schluck Mineralwasser nimmt, während er Mila heimlich böse mustert. Sein Schlürfen veranlasst sie zu nervösem Blinzeln, aber sie hält die Augen geschlossen und nimmt noch einen Schluck Wein.
Sie setzen die Getränke ab und schauen im Lokal umher. Dann treffen sich ihre Blicke wieder, und Mila spricht Flobert spontan scharf an. “Warum hast du keinen Bart?”
Flobert antwortet rasch, ohne zu überlegen. “Rasiert.”
“Ach - nicht ausgerissen?” Mila lächelt ihn giftig an, aber Flobert legt freundlich den Kopf schief. “Du hättest mich lieber mit Bart?”
Mila schnaubt, empört und angewidert: “Ich hätte dich gar nicht lieber . Aber die Bilder von dir waren mit Bart.”
“Wirklich?”
Mila schaut in sein unschuldig staunendes Gesicht, und sie runzelt ernstlich zornig werdend die Stirn. “Nein, ich erfinde das gerade. Ist doch Märchenstunde.”
Sie winkt ab, wortlos ausdrückend “Hat doch keinen Sinn!”, greift hastig in den Brotkorb und nimmt ein Salzstangerl heraus, bricht ein großes Stück ab und steckt es sich heftig in den Mund, beginnt wild zu kauen. Sie deutet auf den Brotkorb, dass Flobert auch essen solle, aber er lehnt mit einer vagen Geste ab. “Nein, nein. Ich warte auf meinen Fisch.”
Mila kaut, angestrengt, “Ah. Du wartest. ” Sie bemüht sich, schneller zu schlucken und zischt Flobert an. “Weißt du - ich warte ja auch. Ich habe auch Fisch, wenn du dich erinnerst.” Sie lächelt ihn herausfordernd an.
Flobert runzelt irritiert die Stirn. “Ich weiß. Wieso erwähnst du das jetzt?”
Mila kaut wütend am Salzstangerl herum und zuckt die Schultern, nervös fuchtelnd. “Nur so. Es hat so Ich-bezogen geklungen, wie du das mit dem Fisch gesagt hast.“
Flobert umklammert sein Mineralwasserglas. “Das war Ich-bezogen. Es ging ja um meinen Fisch. Auf den ich warte.”
Mila legt sauer-provokant den Kopf schief. “Ach! Und wenn deiner kommt und meiner noch nicht da ist, fängst du dann einfach zum Schlingen an?”
Flobert starrt sie sprachlos an. Mila prustet los. “Und jetzt schaust du selber aus wie einer!” Sie macht die Grimasse eines “nach Luft schnappenden Fisches” und schaut dabei sehr unattraktiv aus. Flobert runzelt die Stirn, und einige Gäste werden auf sie aufmerksam und beobachten sie fortan heimlich.
Verlegen greift auch Flobert nach einem Stück Gebäck, nimmt es aber nicht aus dem Korb, sondern lässt die Hand darauf, während er sorgfältig seine Worte wählt. “Ich schlinge nicht. Und ich warte gerne, bis beide Essen da sind, wenn dir das wichtig ist ...” lächelt verbindlich, “auch, wenn meines dann kalt wird.”
Mila schaut erbost auf seine Hand im Brotkorb und nimmt einen großen Schluck von ihrem Wein, ihr Salzstangerl hinunterspülen. Sie winkt großzügig. “Aber nein! Iss nur deinen Fisch, gleich wenn er kommt, damit er nicht zu Eis erstarrt. Sonst müsstest du ihn lutschen.”
Sie schaut kopfschüttelnd aus dem Fenster.
Flobert nimmt einen großen Schluck Milch, zieht das Gebäck wild aus dem Korb, sodass gleich noch eine Semmel herausfällt und reißt ein Stück so heftig vom Brötchen ab, dass seine Hand gegen sein Glas stößt und es beinahe umwirft, während er verkrampft lächelnd und schnaufend ins Gebäck beißt.
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