Über ihrer Nase erschien eine kleine Falte. Widerwillig folgte sie mir. Papa durchforstete gerade meine Schränke.
„Hör auf zu suchen, Alex!“, rief sie. „Der Ball lag hier auf dem Schreibtisch. Wenn er weg ist, hat ihn Tina beim Spielen verlegt. Bestimmt liegt er draußen in der Hütte oder am Ende noch auf der Wiese.“
„Ich hab’ den Ball nicht angefasst!“, protestierte ich. „Du hast in meinen Sachen gewühlt!“
„Wie bitte?“, rief sie zornig. „Nochmal helfe ich dir nicht, wenn du so weiter machst!“
Besser wäre es, dachte ich. Dann würde mein Zimmer wenigstens bleiben, wie es ist. Aber ich wiederholte lieber nur, dass ich den Ball nicht genommen hatte.
„Ich habe noch nicht mal einen schönen Platz für ihn gefunden. Nach der Schule musste ich Mathe machen und dann sind wir auf die Wiese gegangen.“
„Und außerdem hat ein Monteur geklingelt“, rief Leo aus dem Hintergrund.
„Stimmt. Den hatte ich ganz vergessen. Aber sonst war wirklich nichts los, Mama, ehrlich!“
„Dann weiß ich es auch nicht.“ Mama zog einen Haargummi aus der Hosentasche und band sich einen Zopf. „Welcher Monteur eigentlich? Hast du einen bestellt, Alexander?“
„Nein. Es ist nichts kaputt. Was hat der Mann gesagt, Leo?“
„Er wollte an die Heizung ran, der Nervtöter!“
„Habt ihr ihn ins Haus gelassen?“
„Wir sind doch nicht blöd! Könnte ja jeder sagen, er wäre der Weihnachtsmann.“
„Ja, und dann ist die Bude leer“, überlegte Papa. „Ihr hättet mich ruhig anrufen können. Aber das war schon richtig so.“
„Moment mal!“, klang Leo auf einmal aufgeregt. Wir sind dann gleich Fußballspielen gegangen!“
„Das hat Tina schon gesagt“, meinte Papa. „Seid ihr zur Apfelwiese gefahren?“
„Nein, wir haben erst hinterm Haus gespielt“, dachte ich nach. In meinem Magen schien ein Stein zu wachsen. „Dann hinter den Büschen, mit Mattu und Klem.“
Papas Stimme wurde kühl: „Ihr seid zum Hintereingang raus gegangen?“
Leo und ich tauschten einen Blick und nickten.
„Den Schlüssel habt ihr hoffentlich eingesteckt?“
Der Augenblick des Nachdenkens, wurde Mama zu lang.
„Seid ihr mit Schuhen durchs ganze Haus gelaufen?“, fragte sie plötzlich.
„Sind wir nicht!“, antworte Leo, die Augen weit offen.
„Wer war es dann?“
Ich konnte es kaum aussprechen, so sehr hielt der Schreck mich gepackt, aber alle waren sich ohnehin schon sicher.
„Die Hintertür war offen.“ Unglaubliche Bauchschmerzen überfielen mich. Mama hielt sich an Papa fest.
„Was machen wir jetzt?“, fragte Leo.
„Die Polizei rufen!“, verlangte Mama, doch Papa war anderer Meinung.
„Erst mal Ruhe bewahren! Klara und ich sehen nach, ob etwas gestohlen wurde. Ihr beide müsst jetzt sowieso ins Bett. Lest von mir aus noch etwas, nur keinen Krimi bitte! Alles Weitere entscheiden wir morgen.“ Unsicher taten wir, was er sagte.
Konnte ich den Ball nicht in einer Ecke vergessen haben? Ich fürchtete mich in meinem eigenen Bett. Konnte nicht alles nur ein Irrtum sein? Nein, es war keiner. Das spürte ich.
In der Schatulle für meine Armbänder lag auch mein Zimmerschlüssel. Ich steckte ihn ins Schloss und drehte ihn um. Aber was, wenn nachts jemand durchs Fenster stieg? Ich schloss wieder auf und ließ die Deckenlampe an. Wie sollte ich nur schlafen? Das war vollkommen unmöglich.
Früh ums sechs ist bei uns Aufstehen angesagt. Das ist grauenhaft! Ich traf Papa noch im Bad, schlecht gelaunt und in Eile. Also frühstückten wir nur mit Mama.
„Wir haben den ganzen Abend das Haus durchsucht“, sagte sie ernst. „Ich konnte kaum schlafen.“
„Ich auch nicht“, gab ich zu. „Nur Alpträume ohne Ende! Einmal ist der Einbrecher aus der Wand gestiegen und hat mich rein gezerrt.“ Ich lehnte meinen Kopf an Mamas Schulter, um mich kraulen zu lassen. Das tat gut.
„Und fehlt irgendwas?“, fragte Leo gähnend. Sie hing wie ein nasser Sack auf ihrem Stuhl.
„Sieht nicht so aus“, sagte Mama. Ich atmete auf.
„Wo habt ihr den Ball denn gefunden?“
„Wieso sollen wir ihn gefunden haben?“
„Na, wenn nichts weg ist...“
„Das hast du falsch verstanden, Tina. Von unseren Sachen ist nichts weg, kein Geld, keine Kreditkarten und so. Den Ball haben wir nicht gefunden. Papa hat auch draußen alles abgesucht. Vielleicht hast du ihn doch weiter weg verlegt.“
„Niemals!“, wollte ich aufbrausen. Doch meine Stimme spielte nicht mit. „Ich war das nicht“, piepste ich müde. Mehr Lautstärke war an diesem Morgen nicht drin. Mama nahm ein paar Möhren aus dem Kühlschrank und schnitt sie uns für die Schule zurecht.
„Iss deine Cornflakes!“, bat sie. „Du kannst ja über den Tag noch einmal nachdenken.“
Leo schob ihre Schüssel zur Seite. Scheinbar war ihr Magen genauso verschnürt wie meiner.
„Der Monteur hat ihn mitgehen lassen - eindeutig!“, sagte sie. „Der kam mir gleich komisch vor. Er hat nicht mal einen Transporter gehabt.“
Mama seufzte leise. „Wie wollt ihr den Tag überstehen, wenn ihr nicht frühstückt? Ich muss los. Papa hält nach der Arbeit bei der Heizungsfirma an. Falls sie doch jemanden geschickt haben, ist die Sache schnell geklärt.“
Ihr zuliebe schluckte ich noch zwei Löffel Cornflakes hinunter. Doch als Mama die Haustür schloss, schob ich die Schüssel wieder weg.
„Hast du auch so schlecht geschlafen?“, fragte ich Leo.
„Hör bloß auf! Die glauben uns nie“, stöhnte sie. „Bei deinem Durcheinander ist das auch kein Wunder.“
Sie brachte unsere Essensreste auf den Kompost, ich verzog mich zum Zähneputzen. Vor Ärger schrubbte ich so stark, dass mein Zahnfleisch weh tat. Musste Leo mir jetzt in den Rücken fallen? Ich war froh, dass wir uns erst am Nachmittag wieder sehen würden.
Frag mich nicht, was an diesem Tag in der Schule dran kam! Bei Sachkunde erinnere ich mich nur noch an einen wütenden Weckruf, der mich aus meinen Gedanken riss. Und den Quatsch, den ich in Geometrie gezeichnet habe – Hilfe nochmal! Es dauerte ewig, bis ich nach Hause durfte. Dann aber rannte ich los, um meinen Ball zu suchen.
Eilig hatte es heute auch Papa. Ich traf ihn auf dem Heimweg, mit noch schlechterer Laune als am Morgen. Am liebsten wäre ich aus seinem Auto gleich wieder ausgestiegen, denn er fuhr, als wäre er betrunken: Gas geben, bremsen, über die Mittelinie fahren. Zu blinken hat er auch vergessen. Bloß gut, dass der Weg nach Hause nicht weit war.
„Die Heizungsfirma hat uns niemanden geschickt“, kochte er. „Ganz egal, was der Mann wollte, er war auf jeden Fall ein Betrüger.“
„Oder was Schlimmeres“, sagte ich. Papa ächzte gequält.
„Ich will mir gar nicht ausmalen, was euch hätte passieren können. Bloß gut, dass ihr nicht aufgemacht habt.“
„Im Haus war er trotzdem! Die Dreckbatzen auf der Treppe waren seine.“
„In dem Fall haben wir auch noch seine Spuren beseitigt. So ein Mist! Ich muss auf jeden Fall Anzeige erstatten.“
„Was heißt das?“, fragte ich.
„Zur Polizei gehen, wie Klara gestern Abend schon wollte.“ Er stellte das Auto ab und setzte sich zu meiner Überraschung sofort an den Computer.
„Wann gehst du hin?“, fragte ich. „Soll ich mitkommen?“
„Ich versuche, das gleich online zu erledigen, auf der Internetwache. Erzähle mir nochmal, was gestern Nachmittag passiert ist!“
Alles was mir einfiel, schrieb Papa in die Anzeige hinein. Er war genauso aufgewühlt wie ich.
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