Andreas Heineke - Der Sound der Provence

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Benjamin ist gerade 30 Jahre alt geworden, als ihn das
unbestimmte Gefühl beschleicht, dass sein Leben
nicht perfekt ist. Sein mieser Job als Talentscout in einer Plattenfirma in Hamburg hängt ihm zum Hals heraus und hätte er nicht damals, vor 10 Jahren einen Hit entdeckt, von dem die Plattenfirma noch immer gut lebt, hätte er seinen Job schon längst verloren. Jetzt braucht sein Chef den Künstler von damals zurück, es geht um viel Geld und eine Chance wieder in das Geschäft einzusteigen. Doch der Künstler ist seit seinem Erfolg verschwunden. Er lebt irgendwo in Südfrankreich. Benjamin soll ihn finden und reist in die Provence, in das Bergdorf Saignon. Hier gibt es mittags schon den ersten Pastis, abends unbekannte Delikatessen auf dem Teller, die eigentlich nicht schmecken, und Menschen, deren Sprache er nicht versteht.
Aber plötzlich wird alles anders, denn Benjamin verliebt sich und muss sich plötzlich entscheiden. Und Entscheidungen zu fällen, das war noch nie seine Stärke…
Über die Entstehung
Auf die Geschichte bin ich in meinem letzten Frankreich – Urlaub gekommen. Wir fuhren durch die Provence und entdeckten ein Dorf mit dem komischen Namen Saignon. Es liegt mitten im Luberon und trotz allem Tourismus, scheint es seine Ursprünglichkeit erhalten zu haben. Zwischen uralten, mit Wein bewachsenen Steinmauern, inmitten von Lavendelfeldern thront das Dorf wie eine Festung auf einem der sanften Hügeln der Provence. Ich wusste in dem Moment, dass dieses provençalische Dorf der Ort sein wird, in dem die Geschichte spielt. Es sollte aber jemanden hierher verschlagen, der mit der Natur, dem Essen, der Sprache und vor allem mit dem beschaulichen Dorfleben überhaupt nichts anfangen kann.
Das Buch spielt in einem kleinen Bergdorf in der Provence. Fotos aus dem Ort kann man in dem Album Saignon auf Facebook sehen. Viele Schauplätze gibt es tatsächlich, wie die Auberge und die Bibliothek.

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Impressum

Der Sound der Provence - Ein Roman über die Musik und die Liebe

Andreas Heineke

Copyright: © 2012 Andreas Heineke

published by: epubli GmbH, Berlin www.epubli.de

ISBN 978-3-8442-3858 -7

„Also, so schön ist das hier ja nun auch wieder nicht.“

Meine Frau Marga bei unserem ersten gemeinsamen Provence-Urlaub.

Ihr möchte ich diese Geschichte widmen.

1.

„Und, wie findest du uns?“

Die Frage kommt von einem langhaarigen Mann, Mitte 30, der eine doppelhalsige Gitarre um die Schultern gehängt hat. Auf seinem schwarzen T-Shirt steht „Motörhead.“ Der Schriftzug ist dem einer amerikanischen Biermarke nachempfunden. Seinem weißen Bauch nach zu urteilen mag der Mann Bier, und wen stört es schon, dass der daraus erwachsene Bauch sich mühsam seinen Weg an die Luft erkämpfen möchte? Die Männer neben ihm sehen ähnlich aus. Alle scheinen sie Bier zu lieben, alle sitzen oder stehen bei ihren Instrumenten, die seit den Erfolgsjahren von Guns ‚n`Roses kein Bühnenlicht mehr erblickt haben. Stolz lehnt die riesige Gitarre mit dem Totenkopf am Bühnenrand. Die Haare tragen sie ausnahmslos lang und schwarz und der Bassist hat sogar seine Fingernägel passend dazu schwarz lackiert. „Eben so Marilyn Manson mäßig“.

Jetzt sind alle Augen auf Benjamin gerichtet, der nun dran ist, die Frage „wie findest du uns“ zu beantworten. In seinem Job als Talentscout einer Plattenfirma eine Frage, zu der es unendlich viele Antwortmöglichkeiten gibt, die am Ende aber alle das Gleiche sagen: „Üben, üben, üben“. Natürlich sagt weder Benjamin noch ein anderer seiner Kollegen, kurz „A&R Manager“ genannt, es so deutlich. Zwischen den Aussagen „Üben, üben üben“ und „Du bist schon fast ein Rockstar“ liegen unendlich viele Sätze, die es nun gilt, mit dem angemessenen Gesichtsausdruck zu formulieren. Noch immer liegt ein hoher Ton in der Luft und die bis zum Anschlag aufgerissenen Boxen geben einen lauten Brummton von sich. Benjamin ist sich nicht sicher, ob es sein sich ständig verschlimmernder Tinnitus ist oder nur der Klang eines bis zur Selbstaufgabe strapazierten Verstärkers, den er hört. Am liebsten würde er wie ein verschreckter Hund seinen Kopf schütteln, damit alles hier und jetzt aufhört und sich dann gemütlich auf irgendeine Decke legen und aus halb geschlossenen Augen diese merkwürdige Szenerie beobachten. Aber Benjamin ist kein Hund, sondern ein 29 jähriger Mann und der würde jetzt gerne eine Frau anrufen, nicht irgendeine, sondern seine Freundin und ihr sagen, dass es einen kleinen Moment später wird. Dass er eine Flasche Wein mitbringen würde, sich auf sie freue und noch mehr auf das gemeinsame Wochenende und dann würde er so einen Satz wie „Ich küsse Dich“ sagen und dann würde er lächeln und auf den roten Knopf auf seinem Handy drücken. Doch es gibt niemanden den er jetzt anrufen könnte und vor allem keine Freundin, denn Benjamin hat keine und deshalb braucht er auch auf keinen roten Handyknopf zu drücken. Eigentlich braucht er nicht mal ein Handy, denn wenn es klingelt sind es entweder Musiker wie diese hier, oder irgendein Kollege, der ihn fragt, wann er denn endlich im Büro sein wird oder ob er denn tatsächlich um 21 Uhr schon Feierabend gemacht hat, in schweren Zeiten wie diesen.

Gerne hätte er jetzt gesagt, „spielt doch mal etwas schönes, irgendwas mit Melodie, irgendwas bei dem man Instrumente erkennt oder zumindest erahnen kann.“ Doch Benjamin wählt andere Worte:

„Die letzte Nummer, dieses „10 more beers before I go”, hat was.“

Es war der Moment, in dem er sich insgeheim Hilfe erhoffte. Viele Bands sind schon so gespannt und euphorisch, wenn ein Offizieller der Plattenfirma etwas andeutungsweise Positives über die Musik sagt, dass sie schnell ins Wort fallen. Danach ist es ein bisschen leichter, ihnen zu sagen, dass die große Zeit für sie noch kommen wird oder auch nicht. Die Zeit dieser Band wird niemals kommen, das wusste Benjamin bei allem Unverständnis für diesen Lärm, doch er wusste auch, dass es eine CD mit den gleichen Stücken auch bei seinen Konkurrenten Warner Music, Universal oder der EMI gibt. Auch dort gibt es einen Mann wie ihn und eine ähnliche Szenerie mit seinen Kollegen. Auch sie werden auf Wände starren, die aus soundtechnischen Gründen mit Eierkartons verziert sind und auf einem Stuhl vor der Bühne sitzen und diese Art der Musik über sich ergehen lassen. Sollen sie doch, alles kein Problem, nur wenn es einem seiner Kollegen gefällt und dieser Band tatsächlich einen Plattenvertrag anbieten würde, und noch schlimmer, wenn die Band dann auch noch erfolgreich werden sollte, dann hätte er, Benjamin, ein ernstes Problem. Es wäre in seiner Berufsgeschichte nicht das erste und nicht das größte, aber es wäre ein zusätzliches. In Benjamins Berufsumfeld nennt man das „Erfolgsdruck”, und von dem hat er seit gefühlten 15 Jahren eigentlich schon genug. War es möglich, dass diese 4 Minuten 50, mit einem Gitarrensolo von über einer Minute seinem Arbeitgeber „Phonostar Records“ tatsächlich zu Millionen verhelfen würde? Würden die Deutschen durch die Straßen ziehen und dabei „10 more beers before I go“ grölen? Bei dieser Betrachtungsweise kamen ihm Fußballstadien, das Oktoberfest und sogar der Kölner Karneval in den Sinn. Es wäre der erste Rockhit, der sogar am Ballermann gespielt werden würde. Man müsste ihn dafür allerdings anders aufnehmen. Die laute Gitarre müssten raus, der Schlagzeuger würde gegen einen Drumcomputer ersetzt. Bei diesem Stück würde sogar schon der schnelle Rhythmus einer Heimorgel reichen. Heimorgeln sind auch gerade wieder angesagt, alles was retro ist ist angesagt und cool.

Benjamin hat immer Schwierigkeiten cool von uncool zu unterscheiden. Er fragt sich warum Nierentische und grüne Mustertapeten „in“ sind?, warum Bert Kaempfert irgendwie cool ist?, warum man hinter einem bunt geschmückten Wagen hinterherlaufen soll und mit vor Freude in die Luft geschmissenen Armen ekstatisch „Fiesta Mexicana“ brüllen soll?, oder mit hunderten von Leuten irgendwo gemeinsam abchillt? Benjamin kann die Wörter retro, sexy und cool schon nicht mehr hören. Vielleicht sollte er diese Becksmen auch einfach als retro und sexy verkaufen. Ist der Typ mit den schwarzen Fingernägeln und den langen Haaren sexy, wenn er „10 more beers before I go“ ins Mikro brüllt?“

Eigentlich nicht. Er taucht nicht zu einer Titelstory in einem dieser hippen Musik Magazine, es reicht nicht mal zu einer Titelstory im Metalhammer und für die Bravo sieht er zu böse aus.

Benjamin sieht sich plötzlich mit einem ernsthaften Problem konfrontiert. Auch nicht das erste Mal. Er würde ihnen klar machen müssen, dass er den Song gerne hätte und ihn am liebsten jemandem wie DJ Ötzi geben würde, das würde schneller Geld in die leeren Kassen seiner Plattenfirma spülen. Jetzt, als er in die Gesichter der Band mit dem lustigen Namen „Becksmen“ guckt, hat er plötzlich Angst um seine Gesundheit, wenn er sie mit seinem ausgetüftelten Marketingplan konfrontieren würde. Er tut es nicht, zumindest nicht jetzt, in ihrem Terrain, mit den Eierkartons an den Wänden.

„Also Jungs, ich werde mir diese CD“, er hält müde den Aldi-Rohling in den Händen und winkt der Band damit aufmunternd zu „anhören und mir überlegen, wie man euch am besten platzieren könnte“.

Becksmen gucken sich ratlos an und versuchen zu begreifen, was Benjamin wohl mit der Vokabel „platzieren“ meinen könnte. Sie scheinen ratlos und Benjamin nutzt die Ratlosigkeit und guckt umständlich auf seine Uhr.

„Oh, schon nach elf.“

Er erhebt sich und geht die wenigen Schritte zu der selbstgebauten Bühne. Anstatt ihnen die Hand zu geben, klatschen sie sich in einer komplizierten Reihenfolge gegenseitig in Fäuste, Finger und Hände. Wie Sportler, kurz nach einem Homerun, auch das soll cool sein.

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