wie er sich entscheiden wird.«
Kormund schenkte sich nach. »Der Jüngere scheint schon jetzt bereit zu
sein.«
»Anderim? Er ist jetzt zwölf und kann es kaum erwarten, ein Pferdelord zu
werden. Ah, du solltest seine Augen sehen, wenn ich vom Sturm unserer
Beritte erzähle.« Der alte Pferdelord seufzte. »Natürlich nur, wenn Henelyn
nicht dabei ist.«
Buldwar räusperte sich vernehmlich, und als Dorkemunt und Kormund
ihre Köpfe hoben, sahen sie die blonde Frau in der Türöffnung ihrer Kammer
stehen. In ihren Händen hielt sie einige blutige Binden. »Eure Stiche waren
gut, Pferdelords. Dennoch habe ich eine der Nähte erneut geöffnet. Eine
Wunde muss sauber sein, bevor sie verschlossen wird, sonst entzündet sie
sich.«
»Wir waren in großer Eile«, murmelte Kormund entschuldigend.
»Ihr Pferdelords seid meist in großer Eile.« Die Frau legte die Binden in
einen Korb und wusch sich die Hände. Dabei hob sie lauschend den Kopf.
»Der Sturm ist ungewöhnlich stark. Wird das Dach halten, guter Herr
Dorkemunt?«
»Dieses in jedem Fall. Es ist aus guten Steinplatten und fest gefügt.« Der
kleine Pferdelord wiegte den Kopf. »Was den Stall betrifft, bin ich mir nicht
so sicher. Wir haben sein Dach mit Stein gedeckt, aber noch nicht mit
Grassoden belegt. Immerhin sind die Balken und Stützen tief eingegraben und
fest. Es wird wohl halten.«
»Hoffentlich. Wir können uns nicht erlauben, Schafe oder Hornvieh zu
verlieren«, seufzte die Witwe. Sie trocknete ihre Hände ab und trat an den
Tisch. Die anderen rückten ein wenig zusammen, um ihr Platz zu machen,
und auch die beiden Jungen gesellten sich dazu.
»Für Anderim nur Wasser«, sagte Henelyn rasch. »Es hat noch Zeit, bis er
vom Wein kosten kann.«
Der zwölfjährige zog eine Schnute, aber als Dorkemunt ihn mahnend
ansah, nickte er rasch.
»Wie macht sich Nedeam, alter Freund?«, fragte Dorkemunt, da sich
verlegenes Schweigen am Tisch ausbreitete.
Kormund lehnte sich ein wenig zurück und grinste breit. »Nichts gegen
den Hohen Herrn Tasmund. Du weißt, Dorkemunt, ich schätze ihn sehr. Aber
Nedeam ist wohl der beste Erste Schwertmann, den die Marken jemals
hatten.«
Die anderen Schwertmänner nickten beifällig, und Buldwar lächelte
verschmitzt. »Nur im Umgang mit der Lanze tut er sich schwer.«
»Hört, hört«, brummte Kormund und schlug Buldwar auf die Schulter.
»Das sagt mir gerade der Richtige.«
Dorkemunt wies zur Tür, neben der seine Axt lehnte. »Er schätzt den
Bogen, wie ich meine Axt schätze. Aber er ist der beste Pferdelord, dem ich je
begegnet bin. Nun, von mir vielleicht einmal abgesehen.«
»Die Männer werden ihm jedenfalls folgen«, sagte Kormund, und sein
Gesicht wurde ernst. »Er wird Garodems Banner und der Hochmark Ehre
machen. Anders als Garwin, der mir Kummer bereitet.«
Garwin war der Sohn von Pferdefürst Garodem und dessen Gemahlin
Larwyn. Garodem hatte all seine Hoffnung in den Sohn gesetzt, aber seine
Erwartungen schienen enttäuscht zu werden. Obwohl sich Garwin als
perfekter Reiter und Kämpfer erwies, fehlten ihm die Achtung vor den
Traditionen des Pferdevolkes und, was noch weitaus bedenklicher war, der
Wille, sich vorbehaltlos für das Volk und dessen Freunde einzusetzen.
Dennoch würde der Sohn des Pferdefürsten eines Tages, wenn Garodem
den letzten Ritt zu den Goldenen Wolken antrat, das Banner der Hochmark
aufnehmen und ihre Geschicke lenken. Eine Vorstellung, die viele
Pferdelords mit Unbehagen erfüllte.
»Garodem hat seinem Sohn mehr Verantwortung übertragen«, seufzte
Kormund. »Er hofft, dass er daran wachsen wird. Niemand zweifelt an
seinem Mut, doch viele misstrauen seinem Herzen.« Er sah seine Leute
drohend an. »Doch das bleibt unter uns, Schwertmänner der Mark. Sollte
Garwin eines Tages das Banner des Hohen Lords aufnehmen, darf kein
Zweifel an seinem Führungsanspruch aufkommen.«
Buldwar wandte sich zur Seite und spuckte aus. Als er Henelyns Blick
bemerkte, errötete er und verrieb den Speichel hastig mit dem Stiefel auf der
Steinplatte des Bodens. »Möge Garodem das lange Leben der Elfen
beschieden sein.«
Dorkemunt nickte. »Darauf will ich gerne meinen Becher erheben.«
Kormund schenkte allen nach, wobei Henelyn sehr darauf achtete, dass der
junge Anderim auch diesmal keinen Wein erhielt. »Auf den Hohen Lord
Garodem und die Hochmark des Pferdevolkes.«
»Schneller Ritt …«, stimmte Dorkemunt ein.
»… und scharfer Tod!«, ergänzten die anderen die Losung der Pferdelords.
Henelyns Gesichtsausdruck war schwer zu deuten, und Dorkemunt spürte,
dass der Trinkspruch böse Erinnerungen in ihr wachrief. Aber sie war eine
Frau des Pferdevolkes und würde der Vergangenheit nicht ewig ausweichen
können. Ein Volk wie auch der Einzelne musste aus seiner Geschichte lernen,
sonst hatte keiner von beiden eine Zukunft. Eine Weisheit der Elfen, der
Dorkemunt aus ganzem Herzen zustimmte.
»Der Sturm legt sich.« Kormund hob lauschend den Kopf, und die anderen
taten es ihm gleich.
»Du hast recht, alter Freund.« Dorkemunt erhob sich, trat an eines der
Fenster und öffnete den Rahmen mit der wertvollen Klarsteinscheibe. Früher
waren die Fenster des Gehöfts mit Schafdarm bespannt gewesen und hatten
wenig Licht hereingelassen und kaum Ausblick nach draußen geboten. Doch
inzwischen florierte der Handel, und der durchsichtige Klarstein hielt überall
Einzug in den Häusern. Er bot freie Sicht, war fast ohne Schlieren und, zu
Henelyns Entzücken, leicht zu reinigen. Der kleine Pferdelord stieß den
Sturmladen auf und atmete tief durch. »Ja, das Unwetter ist vorbei. Noch
etwas Regen, aber kein Eis mehr in der Luft, und es klart schon wieder auf.«
»Dann sollten wir aufbrechen.« Kormund erhob sich. »Ich würde es
begrüßen, gute Frau Henelyn, wenn Terwin noch ein wenig bei Euch bleiben
könnte.«
»Das ist selbstverständlich, guter Herr Scharführer«, erwiderte sie
freundlich. »Ich hätte es ohnehin nicht zugelassen, wenn Ihr ihn nun schon
hättet mitnehmen wollen. Er muss sich erst erholen, bevor er wieder ein Pferd
besteigen kann.«
»Unter Eurer kundigen Pflege wird das rasch geschehen«, versicherte
Kormund lächelnd. »Dorkemunt, mein Freund, lass uns nachsehen, ob das
Gehöft Schaden genommen hat. Wir werden erst reiten, wenn alles in
Ordnung ist.«
Aber Gebäude und Tiere hatten den Gewittersturm unbeschadet
überstanden. Dorkemunt und Henelyn standen mit den Kindern vor dem
Haupthaus, als Kormund mit seinen Begleitern aufsaß und den Bewohnern
des Gehöfts zum Abschied zunickte.
»Grüß mir Nedeam, alter Freund«, rief Dorkemunt dem Scharführer nach.
»Darauf kannst du dich verlassen«, erwiderte dieser und gab das Zeichen
zum Aufbruch.
Die Hufe der Pferde patschten über den aufgeweichten Boden, als die
kleine Gruppe aus dem Seitental in das weite Haupttal ritt, durch das die
Handelsstraße der Mark verlief. Links führte der Weg in die Hochmark
hinein, zu den großen Weilern und schließlich zur Stadt und Festung von
Eternas. Rechts ging es zum südlichen Pass mit seiner gut bewachten
Schlucht, der die Verbindung zu den anderen Marken des Pferdevolkes schuf.
Ein Stück voraus erkannte man den Turm, der sich am Nordende des Passes
erhob. Er war von einer kleinen Wachtruppe der Schwertmänner besetzt und
trug eines der Signalfeuer, welche die Marken miteinander verbanden und bei
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