Das Hufgeklapper wird immer deutlicher, hört dann aber plötzlich auf. Was ist los? Drehen sie um? Bald setzt das Klappern wieder ein, die Reiter werden wohl bald hier sein.
Georgios bleibt noch etwas stehen, fährt dann langsam weiter, und schon bald versperren ihm zwei Reiter den Weg. Beide sehen furchteinflössend aus, grosse hässliche Narben verunstalten das Gesicht des einen, er hat offenbar schon viele Kämpfe hinter sich. Der andere ist etwas jünger und weniger vernarbt, aber sein verkniffener Gesichtsausdruck und seine stechenden Augen lassen auch nichts Gutes verheissen.
Mein Blick fällt auf mein Schwert, rasch wende ich mich aber wieder den Feigen zu. Auch Niko legt seine Hand auf seinen Chiton, auch er will offenbar sicher sein, dass er seinen Dolch rasch packen könnte. Ariston hingegen ist für einen kurzen Moment wie erstarrt, schaut dann verzweifelt zu mir hin, und erst als ich ihm bedeute, dass er sich den Früchten zuwenden solle, lässt seine Starre nach und er stürzt sich mit Feuereifer auf seine Arbeit, ohne aber die Reiter aus den Augen zu lassen. Ich wende mich nun den hinteren Ästen zu, so kann ich Feigen pflücken und gleichzeitig das Geschehen auf dem Weg beobachten.
„Hör zu!“ ruft nun der Narbige, „hast du auf dem Weg Wanderer gesehen?“
„Wanderer,“ fragt Georgios, „was für Wanderer?“
„Ist doch gleich, eben Wanderer, hast du welche gesehen, ja oder nein!“
„Ich weiss nicht,“ meint Georgios „wo soll ich denn Wanderer gesehen haben?“
„Auf diesem Weg natürlich, du Dummkopf!“ Georgios überlegt.
„Wanderer sind meistens eher auf dem Weg nach Megara zu finden, die wollen doch dort zum Markt, oder nicht?“ fragt er jetzt.
Der Reiter wird ungeduldig.
„Natürlich, aber wir wollen wissen, ob du auf diesem Weg hier Wanderer gesehen hast, ist das denn so schwer zu begreifen? Also?“
Georgios überlegt. „Ja,“ meint er dann. Wir alle erstarren und vergessen uns um die Feigen zu kümmern.
„Ja, klar,“ meint Georgios, „da war doch die alte Frau mit dem Korb voll Nüsse. Sucht ihr die?“
„Eine alte Frau mit Nüssen, nein, sicher nicht.“
„Ach, da war doch noch mehr!“
Die Reiter schnellen in die Höhe: „Ja, was hast du noch gesehen?“
„Da war doch noch der kleine Junge, der die Schafe gesucht hat. Sucht ihr die Schafe?“
„Schafe, nein, sicher nicht, sind wir denn Bauern? Nein, wir suchen drei Männer und drei Frauen, hast du die gesehen?“
„Und wann soll das gewesen sein?“ fragt jetzt Georgios.
Die Reiter ärgern sich sichtlich. „Heute natürlich, vor ein paar Stunden vielleicht!“
Wieder überlegt Georgios und macht dazu ein dummes Gesicht.
„Komm,“ sagt der erste Reiter, „das bringt nichts, das ist nur so ein dummer Bauer, wie soll der schon auf drei zählen können!“
Jetzt aber strahlt Georgios: „Drei Männer, drei Frauen, nein dies hab ich nicht gesehen, ihr seid wohl auf dem falschen Weg, hier sind nur Bauern, die arbeiten“ - und mit einer Handbewegung zeigt er auf uns Feigenpflücker – „und eben die alte Frau und der Junge.“
Beide Reiter schauen nun zu uns hinüber, und wir alle pflücken so eifrig wie wir nur können.
„Du bist keine Hilfe, Bauern interessieren uns nicht!“ brummen nun die Reiter, schauen sich nochmals um und reiten schimpfend über die Wiese an Georgios und seinem Wagen vorbei. Wir bleiben bei unseren Bäumen und erst, als das Hufgeklapper längst verstummt ist, wagen wir es, zurück zum Wagen zu kommen.
Ariston umarmt Georgios: „Du hast uns gerettet, wir danken dir!“
Ismene bricht in Tränen der Erleichterung aus und Niko zieht den Dolch aus seinem Chiton:
„Einfach so hätten die uns nicht mitnehmen können, mindestens einen hätte ich erdolcht.“
Aber wir sind alle froh dass dies nicht nötig wurde, setzen uns wieder auf den Wagen und schütteln über den holperigen Weg weiter.
Bald werden die Schatten länger, aber das Dorf Aridas ist noch nicht zu sehen. Dennoch hält Georgios an und steigt vom Wagen. Er schneidet zwei kleine Zweige einer Eiche ab und fängt an, etwas zu schnitzen. Dann kommt er zurück zum Wagen und bittet uns, auszusteigen.
„Hier,“ erklärt er „müsst ihr den Weg wieder selber unter die Füsse nehmen, es tut mir leid. Aber nach der nächsten Biegung sind wir kurz vor Aridas. Ich werde dort übernachten, aber für euch ist es viel zu gefährlich. Sicher haben sich die Reiter überall nach euch erkundigt, und ich traue dort nicht allen Leuten. Hier ist aber ein kleiner Pfad, der auf die Kuppe dort hinauf führt. Von oben könnt ihr schon das Meer sehen. Steigt auf der anderen Seite noch etwas ab, dann wechseln sich Schafweiden mit kleinen Eichenwäldchen ab. Die Schafe grasen vermutlich auf weiter unten gelegenen Weiden, ich denke, es sollte deshalb möglich sein, eine verlassene Schäferhütte zu finden. Ein Dach über dem Kopf ist für die nächste Nacht wichtig, schaut euch nur die Wolken an.“
Und tatsächlich, über die Hügelkuppe schiebt sich eine mächtige Gewitterwolke. Wir bedanken uns bei Georgios und wollen schon losziehen, da drückt er Ariston die zwei Eichenzweige in die Hand.
„Vom Hügel aus seht ihr die Stadt Pagai am Meer unten. Dort leben mein Onkel und sein Sohn, sie sind Fischer. Sucht sie, sie heissen beide Theophanos. Gebt ihnen die Hölzchen, dann werden sie euch weiter helfen. Aber seid vorsichtig, in Pagai leben alle möglichen Leute, nicht alle werden euch wohlgesinnt sein, und der eine oder andere würde sich sicher gerne das Kopfgeld verdienen, das Kritias auf euch ausgesetzt hat! Ich wünsche euch viel Glück!“
Wir alle bedanken uns bei ihm, dann setzt er sich wieder auf seinen Wagen, winkt uns zu und rattert weiter.
Der Pfad schlängelt sich aufwärts durch das Eichenwäldchen, dann über eine Wiese, zwischen Steinbrocken hindurch, aber die Hügelkuppe ist bald erreicht. Weit unten glänzt das Meer, wir alle jubeln, die Rettung scheint uns ganz nah zu sein. Die Gewitterwolke hat sich gewaltig ausgedehnt, deshalb eilen wir so schnell wir können weiter, jetzt aber abwärts über Weiden und durch Wäldchen. Eine Schäferhütte schmiegt sich neben dem Weg an einen Felsen, wir glauben schon, einen Platz für die Nacht gefunden zu haben. Die Hütte wurde offenbar schon lange nicht mehr benützt, die vordere Seite sieht zwar recht ordentlich aus, das Dach aber ist eingeknickt und die hintere Wand zusammengefallen.
Also ziehen wir weiter und hoffen auf eine Hütte, die doch etwas mehr Schutz bieten könnte. Aus der Ferne ist nun Donnergrollen zu hören, bald treffen uns die ersten Regentropfen, aber von einer Hütte ist nichts zu sehen. Es wird dunkler, mächtige Wolken decken die Sonne ab, und plötzlich zuckt ein greller Blitz am Himmel, der die ganz Gegend hell erleuchtet. Wir alle erschrecken, aber der Blitz hat uns neben dem Weg etwas Dunkles, Viereckiges gezeigt. Und tatsächlich, da steht eine kleine Hütte.
Vorsichtig nähern wir uns, sie könnte ja bewohnt sein. Keine Menschenseele ist zu sehen, aber bei diesem Wetter würde ja jedermann in der Hütte Schutz suchen und nicht draussen herumstehen. Die Hütte ist verschlossen aber nicht bewohnt. Es ist kein Kunststück, das Schloss zu überlisten, die Türe öffnet sich, die Hütte nimmt uns gerade noch rechtzeitig auf, bevor ein gewaltiger Wolkenbruch über sie nieder prasselt.
Die Hütte ist alt, ganz offensichtlich wird sie von Schäfern aber immer wieder benutzt. Wir finden einen mit Stroh ausgelegten Platz, auf dem wir schlafen können, das Dach ist dicht, die Wassermassen, die darauf nieder donnern, finden keine Ritze. Bald wird es ruhig, alle sind müde. Es scheint, als seien schon alle eingeschlafen, da flüstert Ismene:
„Panos, weisst du noch, die Eule? Athene beschützt uns auf unserem Weg, da bin ich sicher!“
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