Die Sonne steht aber hoch am Himmel, es ist heiss und anstrengend, in der Hitze zu marschieren. Es ist wohl besser, etwas hier zu bleiben, bis die Sonne sich auf den Weg zum Horizont macht. So ruhen wir uns alle erst einmal richtig aus.
Die Schatten sind schon etwas länger, da frage ich Ariston:
„Sollen wir nicht weiter gehen. In den Hügeln können wir nachts nicht wandern, wir brauchen etwas Licht, da wäre es gut, sich auf den Weg zu machen.“
Wir packen alles zusammen und brechen auf zurück zum Weg. Ein Geräusch lässt uns alle aber stockstill stehen bleiben. Dieses Geräusch, was ist das? Es wird lauter und klarer und Niko und ich wissen im gleichen Moment was das ist: Pferdehufe!
„In Deckung,“ flüstert Niko, „wir müssen uns verstecken, das sind Pferde!“
Alle laufen zurück zu der Quelle.
„Nicht zur Quelle, vielleicht merken die Reiter auch, dass hier Wasser ist, dann wollen sie die Pferde tränken, versteckt euch weiter hinten im Gebüsch und passt auf, dass nichts, aber auch gar nichts liegen bleibt.“
Das Klappern der Hufe ist schon so laut, dass keine weitere Aufforderung nötig ist. Alle stürzen sich auf das nächste Gebüsch, es raschelt noch eine Weile, dann ist niemand und nichts mehr zu sehen und zu hören.
Das Hufgeklapper kommt näher und bald sind auch Stimmen zu vernehmen. Ich wage einen Blick durch das Gestrüpp. Ja, das sind rohe Kerle, es könnten durchaus Leute des Kritias sein. Jetzt halten sie die Pferde an, und ich kann auch verstehen, was sie sprechen.
Der Erste, vermutlich der Anführer sagt:
„Weit und breit kein Mensch. Der Händler hat doch gesagt, sie seien hier hoch gekrabbelt. Die können noch nicht weit sein. Zudem haben sie Frauen dabei, die sind nicht so schnell, wir sollten sie eigentlich schon eingeholt haben.“
Beide schauen sich um.
„Es ist heiss,“ meint der Zweite, „rasten wir ein bisschen, die holen wir bestimmt noch ein. Sind sie denn Vögel, dass sie davonfliegen können? Die finden wir schon, nur Geduld. Aber die Pferde brauchen jetzt einmal etwas Wasser, dann kommen wir wieder schneller voran.“
Beide lassen die Blicke rundum schweifen und bemerken dann den saftig grünen Platz. Sie schauen sich an, nicken und wortlos leiten sie die Pferde zu dem saftigen Gras. Genau auf uns zu.
Wir alle erstarren in unseren Verstecken. Bald finden sie die kleine Quelle, steigen von den Pferden und lassen die durstigen Tiere trinken.
„Ach, ist es schön hier, komm, rasten wir ein bisschen!“
Der Zweite schaut sich um.
„Aber nicht zu lange, du weisst, Kritias schäumt vor Wut, wir müssen die Leute finden!“
„Natürlich, aber etwas Rast tut uns gut, und wir haben ja schon eine Spur, wir finden die schon!“
Beide setzen sich nun auf einen moosigen Platz unter eine knorrige Eiche genau dorthin, wo Phoebe vorhin geschlafen hatte.
„Warum aber ist denn eigentlich Kritias so ungeheuer zornig? So habe ich ihn noch nie gesehen und wütend war er ja schon oft!“
„Ja, hast du das denn nicht gehört? Keiner darf es erzählen, aber alle wissen es natürlich, du bist vermutlich noch der Letzte, der die Geschichte nicht gehört hat. Da du sie aber ohnehin früher oder später erfahren wirst, will ich dir alles erzählen, aber von mir hast du das nicht gehört, verstanden?“
Der Zweite nickt, und so beginnt der andere die Erzählung:
„Sicher hast du mitbekommen, dass der Junge des Ariston in die Frauengemächer eingestiegen ist. Es ist ja nicht der Erste, der dort von der Tochter des Kritias empfangen wurde, das wissen alle, aber Kritias glaubt, die Eskapaden seiner Tochter geheim halten zu können, wenn er die Liebhaber der jungen Dame samt ihren Familien reihum beseitigen lässt. Das ist längst das Stadtgespräch, allerdings nur hinter vorgehaltener Hand.
Irgend jemand hat nun dem Kritias erzählt, dass der Junge dort gesehen wurde. Er ist der Sohn des Stempelschneiders, der zu den Schützlingen des Theramenes gehört. Das wiederum hat Kritias gar nicht gepasst. Theramenes war ihm immer ein Dorn im Auge, und er hat schon lange auf einen Grund gewartet, um ihn beseitigen zu können. Zudem hat es der Stempelschneider zu einem rechten Wohlstand gebracht, er konnte sogar ein Haus kaufen. Nun, reiche Metöken hat Kritias gerne, er kann sie beseitigen und ihr Vermögen beschlagnahmen. In diesem Falle passte nun alles zusammen. Theramenes wurde festgenommen und hingerichtet, und Kritias befahl, die ganze Familie des Stempelschneiders zu verhaften und in Ketten zu legen. Ich weiss nicht, was er mit ihnen vorhat, vielleicht nach Laurion verkaufen? Das brächte wieder Geld ein.
Jedenfalls hat er gestern am späten Abend zwei Männer losgeschickt, um die Leutchen abzuholen, keine grosse Sache, es sind ja nur einfache Handwerker.
Als die zwei ankamen, war das Haus leer bis auf einen schlafenden Sklaven. Sie wollten ihn aufwecken, merkten dann aber, dass er sternhagelvoll war. Er war so besoffen, dass alles Schütteln nichts half. Da schleppten sie ihn in den Hof und schütteten einen Kübel Wasser über seinen Kopf. Auch das half gar nichts und sie merkten, dass sie nur warten konnten, bis der Kerl seinen Rausch etwas ausgeschlafen hatte.
Also setzten sie sich hin und warteten geduldig. Nach einer Stunde beschlossen sie, es nochmals mit Wasser zu versuchen. Der Sklave knurrte nun etwas, aber man verstand kein Wort. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als weiter zu warten. Da aber erinnerte sich der eine, dass der Vorratsraum offen gestanden hatte und dort Weinkrüge standen. Waren die noch voll? Sie schauten nach und siehe da, da war wirklich noch Wein vorhanden. Sie nahmen einen Becher voll aus jedem Krug und im grössten fanden sie einen ausgezeichneten Wein. Da sie ja nun ohnehin warten mussten, trank jeder etwas davon und dann noch etwas und noch etwas, bis sie betrunkener waren, als alle Seeleute in Piräus zusammen.
Unterdessen wartete Kritias auf die Nachricht, dass die Leute hergebracht worden seien, aber nichts passierte, Stunde um Stunde verstrich, weder von den ausgeschickten Schlägern noch von der Familie des Ariston war etwas zu sehen.
Heute Morgen früh schickte er deshalb neue Leute los zum Haus des Stempelschneiders. Als die dort ankamen, fanden sie zwei stockbetrunkene Männer und einen nicht minder vollgelaufenen Sklaven. Sie behandelten alle mit Eimern von kaltem Wasser bis der Sklave schnaufend und prustend zu sich kam. Dann erst erfuhren sie, dass die Familie nach Eleusis zum Demeter-Heiligtum gepilgert sei. Den Sklaven haben sie zu Kritias mitgenommen, vielleicht weiss der noch mehr, und die zwei dummen Schläger schlafen ihren Rausch aus. Sie werden sich allerdings über die Umgebung wundern, wenn sie aufwachen, sie sind nämlich im Kerker.
Kritias war zornig wie noch nie, denn kostbare Zeit war durch die Sauferei des Sklaven und auch seiner Häscher verloren gegangen, und daher wurden wir alle ausgeschickt. Finden wir die Familie des Stempelschneiders, winkt uns ein grosser Lohn, und genau den will ich mir verdienen.“
„Ich auch,“ brummt der zweite Reiter „aber was für eine Geschichte. Man legt sich offenbar besser nicht mit Kritias an!“
„Sicher nicht,“ findet der andere „und daher ist es wohl besser, dass wir nun weiter suchen!“
Beide krabbeln hoch, wischen sich Gras und Blättchen von den Kleidern, dann holen sie die Pferde und führen sie zurück zum Pfad. Dort steigen sie auf und einer ruft:
„Dort vorne nach rechts, hat der Händler gesagt, dann können wir sie nicht verfehlen!“
Wir alle bleiben mucksmäuschenstill in unseren Verstecken, bis das Hufgeklapper verhallt ist.
„Auf geht es,“ befiehlt Ariston „wir müssen weiter. Das nächste Stück ist gefährlich, wir müssen nämlich bis zur Weggabelung den Reitern folgen und hoffen, dass sie nicht aus unerfindlichen Gründen umkehren.“
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