1 ...7 8 9 11 12 13 ...25 „Suchen die uns?“ wispert Ariston, der kreidebleich geworden ist.
„Kaum,“ sage ich, „sie waren gar nicht in Eile, das war wohl eher ein ganz normaler Rundgang, aber es ist doch besser, dass sie uns nicht gesehen haben.“
Über die Dächer steigt nun der Mond auf und dies hilft uns, durch die letzten Häuser der Stadt die Strasse zum Tor nach Acharnai zu finden. Die Gasse vor dem Tor ist eng und dunkel, aber die Wachen sind trotzdem von weitem zu sehen. Jetzt kommt es darauf an! Jetzt müssen wir unsere Rollen gut spielen!
Ariston nimmt sein Herz in beide Hände, atmet tief durch und marschiert vor unserer kleinen Truppe energisch auf das Tor zu, ich bilde die Nachhut. Unsere Schwerter hängen wir nun so um, dass die Wachen sie sehen müssen, und wir beide plustern uns auf, als seien wir auf einer wichtigen Mission.
Wie erwartet rufen die spartanischen Wachen: „Halt, das Tor ist zu.“
Ariston bittet den, der ihm der Anführer zu sein scheint:
„Öffne das Tor mein Lieber, schau, wir müssen die Leute da zum Landhaus des Diokles bringen, der feiert ein Fest.“
Mit dem Kopf zeigt er zurück auf seine Familie.
Der Wächter betrachtet ihn lange:
„Ich sehe, du hast ein Schwert, du bist also ein Bürger, ich weiss, dass die Herren mit den grossen Anwesen oft feiern und dazu noch etwas Unterhaltung brauchen!“
Er zwinkert listig mit den Augen. Ich weiss genau, dass Ismene dem Kerl den Hals umdrehen könnte, hoffe aber, dass sie und alle andern brav ihr Rollen weiter spielen. Ein Blick auf unsere kleine Gruppe zeigt, dass sie den Ernst der Lage verstanden haben, sie stehen alle mit gesenkten Köpfen da.
Beide Wächter überlegen.
„Wir dürfen das Tor nicht einfach für jeden öffnen, das verstehst du doch sicher. Ihr müsst warten bis zum Morgengrauen, dann geht es.“
„Nein, das geht gar nicht, wo denkst du hin, der Herr will die Leute noch in dieser Nacht, wenn wir erst beim Morgengrauen die Stadt verlassen können, kommen wir viel zu spät.“
Wieder denken die Wächter nach, sie wissen offensichtlich nicht, was sie tun sollen.
Da schalte ich mich ein:
„Hör zu, Diokles ist ein Freund des Kritias, vielleicht ist sogar Kritias selber unter den Gästen. Er ist sicher erbost, wenn die versprochenen Mädchen und Knaben nicht zur Verfügung stehen.“
Die Wächter lassen ihre Blicke über die kleine Schar hinter mir schweifen.
„Sie sehen aber gar nicht aus wie Freudenmädchen, in diesen dunklen Kleidern werden sie wohl keine Freude bereiten.“
„Ja, was denkst du denn, was sie in den Bündeln tragen? Sie können doch nicht in den leichten, durchsichtigen Kleidchen durch die Stadt laufen!“
Das leuchtet dem Wächter ein und jetzt bemerkt er auch noch Niko.
„Ach, ein Junge ist noch dabei, da wird sich Kritias aber freuen, Vielleicht könnten wir das Tor doch öffnen?“
Er schaut Ariston erwartungsvoll an.
Rasch steckt dieser den beiden Wächtern eine Münze zu, sie überlegen noch etwas, nicken dann aber zufrieden und stossen für uns das Tor auf. Wir schlüpfen blitzschnell hinaus, und hinter uns knallt das Tor wieder zu.
Schweigend eilen wir davon, nach der nächsten Wegbiegung hinter einem Olivenbaum bleiben wir stehen.
Erst jetzt merke ich, dass Ariston am ganzen Leib zittert. Ich bin ein schlechter Schauspieler, aber Ariston ist noch schlechter, er hat wohl seinen ganzen Mut gebraucht, um seine Rolle zu spielen. Wir alle haben uns die ganze Zeit fast zu Tode gefürchtet, gut, dass es doch sehr dunkel war und die Wächter unsere zitternden Hände und schweissgebadeten Gesichter nicht bemerkt haben!
„Ich hätte den Kerl umbringen können!“ schnaubt jetzt Ismene! Und da ist unsere ganze Anspannung mit einem Schlag weg, und alle brechen in Gelächter aus.
Jetzt kann unsere Flucht nach Korinth richtig beginnen. Zuerst folgen wir der guten Strasse, dann aber biegen wir auf einen steinigen und von den Winterregen ausgewaschenen Pfad in die Hügel ab und kommen nur mühsam vorwärts. Bald aber zweigt wieder ein etwas grösserer Weg nach links und damit Richtung Westen ab. Der Mond leuchtet matt, und wir können dem Weg gut folgen. Weit unten windet sich ein schmaler, heller Streifen nach Westen, wohl die grosse Strasse Richtung Eleusis und Korinth.
„Sollen wir nicht dort hinab steigen und auf der grossen Strasse weiter gehen? Wir wären sicher schneller!“
„Sicher kämen wir rascher voran, aber sobald die Schlägertrupps des Kritias wissen, dass wir weg sind, werden sie unser Haus durchsuchen und vom Thraker erfahren, dass wir in diese Richtung losgezogen sind. Mit schnellen Pferden können sie uns rasch einholen. Es ist besser, auf kleinen, wenig begangenen Pfaden zu versuchen, den Weg nach Westen, nach Korinth zu finden.“
Schweigend marschieren wir und horchen auf alle ungewöhnlichen Geräusche. Ab und zu bellen ein paar Hunde, im Gebüsch rascheln kleine Tiere, der Schatten einer lautlos über uns hinwegziehenden Eule fällt auf uns.
Ismene flüstert: „Schau, Athene ist bei uns, sie wird uns beschützen!“
Bald haben wir die Stadt weit hinter uns gelassen. Jetzt wagen wir es, unter einem grossen Feigenbaum ein paar Stunden zu rasten.
Vor Tagesanbruch aber wecke ich alle auf, Anisa verteilt Brot, Käse und Wasser, und wir wandern weiter. Der Weg ist jetzt breit, wir kommen gut voran. Der Himmel färbt sich rosa, dann steigt die Sonne auf und wirft ihre Strahlen auf den staubigen Weg. Die Nachtkühle ist weg, die Sonne wärmt uns bald einmal mehr als uns lieb ist. Nun wird uns bewusst, dass auch hier Wanderer unterwegs sind, denn dieser Weg führt ebenfalls zum Heiligtum der Demeter. Immer wieder können wir von der Heerstrasse aus gesichtet werden, das ist gar nicht gut für uns. So treibe ich alle zur Eile an, wir müssen diese kahle Strecke hinter uns lassen, weiter vorne versprechen Gebüsch und Wälder bessere Deckung. Aber bald jammert Phoebe:
„Können wir nicht etwas rasten? Ich mag nicht mehr.“
„Hör auf zu jammern,“ befiehlt Ismene, „was ist ein Opfer bei Demeter wert, wenn man jammernd dort ankommt? Denkst du, die Göttin mag das?“
Phoebe wird still und marschiert weiter. Anisa hat offensichtlich den Ernst der Lage erfasst. Sie nimmt Phoebe an der Hand, trägt ihr Bündel und scheucht sie weiter. Nun windet sich der Weg durch einen kleinen Wald aus Eichen und ein paar verstreuten Olivenbäumen. Der Schatten ist sehr willkommen, alle marschieren gleich etwas munterer weiter. Bald aber ist die Herrlichkeit dahin und die sonnenverbrannte, staubige Strasse nimmt uns wieder auf. Ariston bittet mich, die Führung zu übernehmen.
„Du machst das besser, “ findet er „ich bin eben doch nur ein Stempelschneider, wir vertrauen dir!“
So gehe ich nun voran, schaue immer wieder in die Runde, lasse die Familie ab und zu anhalten und horche angestrengt. Aber noch sind uns keine Verfolger auf den Fersen, noch können wir ungestört weiterziehen. Nach der nächsten Wegbiegung halte ich plötzlich an und stoppe alle mit erhobener Hand. Ariston eilt zu mir.
„Was ist los? Siehst du Reiter?“
„Das nicht, aber dort vorne sind Menschen, viele Menschen. Sind dies Leute von Kritias, die dort auf uns warten?“
Erschrocken spähen die anderen nach vorn. Wirklich, der Weg ist versperrt von mehreren Leuten. Ist unsere Flucht zu Ende, sind wir verloren?
Da sagt Ismene:
„Schaut nur, das sind Pilger, sie wandern ganz langsam, auch sie wollen bestimmt nach Eleusis. Kommt, wir sind bald bei ihnen, dann schliessen wir uns an. Kritias sucht eine Familie, nicht eine ganze Pilgerschar, für eine Weile sind wir bei ihnen sicher!“
Dies scheint uns allen ein guter Plan zu sein, so schliessen wir rasch auf und bald erreichen wir die Pilger.
„Wohin pilgert ihr, gute Leute?“ frage ich.
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