1 ...8 9 10 12 13 14 ...25 Ein alter Mann, offenbar der Anführer antwortet freundlich:
„Wir wollen zum Altar der Demeter in der Nähe von Kolonos, wir haben ihr immer Opfer gebracht und wir sind damit gut gefahren. Wir hatten eine gute Ernte, keiner in unserem Dorf muss Hunger leiden, dafür wollen wir ihr danken!“
„Ja,“ finde ich, „das ist gut, auch wir wollen der Demeter ein Opfer bringen, aber wir haben von diesem Altar noch gar nie gehört, wir wollten nach Eleusis!“
„Auf diesem Weg wandern viele Menschen nach Eleusis, ihr werdet immer wieder Pilger treffen. Das Heiligtum, das wir aufsuchen, ist nur sehr klein, wenige kennen es, und wir betrachten es eigentlich ein wenig als unser Dorfheiligtum!“
„Wie weit ist es denn noch bis dorthin?“
„Oh, nicht mehr weit. Siehst du dort vorn den knorrigen Baum neben dem Weg? Da biegen wir auf einen kleinen Pfad ab, und schon bald danach sind wir beim Heiligtum!“
„Dürfen wir dieses Stück des Weges mit euch pilgern?“
„Aber sicher, kommt nur mit!“
Und so wandern wir eine Weile mit den fremden Pilgern. Jetzt sehen wir auch, warum sie so langsam unterwegs sind. Viele Leute sind sehr alt, und alle gehen barfuss.
„Warum tragt ihr keine Sandalen?“ frage ich, „Auf einem solchen Weg wandert es sich doch besser mit Schuhen?“
„Sicher,“ meint der Alte, „aber wir haben ein Gelübde getan! Es wird der Demeter gefallen, wenn wir den Weg ohne Schuhe auf uns nehmen.“
Ich hätte gedacht, dass sich Demeter eher über eine Gabe von Blumen und Getreide freuen würde, nicke aber und finde:
„Du hast sicher Recht!“
Bald sind wir froh, dass wir die Abzweigung erreicht haben, das Schneckentempo dieser Pilger ist für uns nicht gerade hilfreich. Trotzdem, es war nett, mit den Leuten ein kurzes Stück zu wandern.
Sobald sie weg sind, halten wir an. Der Mann hat ja auf viele Pilger auf diesem Weg hingewiesen, das ist für uns nicht gut, hier sind wir also nicht sicher. Kritias kann Reiter auf der Heerstrasse lossenden und auch auf diesem Weg, also müssen wir weiter in den Hügeln nach weniger begangenen Pfaden suchen.
„Wir biegen ab, sobald wir einen einigermassen guten Pfad weiter hinauf in die Hügel finden, wir sind hier nicht sicher,“ bestimme ich.
Alle sind einverstanden. Eine Abzweigung ist vorläufig aber nicht zu sehen. Erst hinter dem nächsten Hügel zeigt sich ein kleiner Pfad, der aufwärts führt und sich hinter ein paar Felsbrocken verliert.
Der Weg windet sich steil aufwärts. Sollen wir ihm folgen oder noch eine Weile auf dem flacheren Pfad bleiben? Hier würden wir sicher schneller vorankommen.
„Nein,“ meinen Ismene und Ariston gleichzeitig. Und Ismene sagt sanft:
„Das Glück war uns bisher hold, bleiben wir aber auf diesem Weg, kann uns das Unheil plötzlich einholen.“
Alle nicken. Wir beschliessen, dem kleinen Pfad zu folgen, er ist zwar steiniger und steiler, also anstrengender, aber alle sind froh, dass wir abgebogen sind, denn uns ist klar, dass sich die Häscher des Kritias unterdessen wohl auf unsere Fersen geheftet haben. Wir brauchen dringend bessere Deckung.
Der Pfad schlängelt sich den Hügel hinauf, noch ist kein Hufgeklapper hinter uns zu hören.
Bald aber wollen Phoebe und auch Niko eine Rast einlegen.
„Ich bin müde,“ klagt Phoebe „und ihr habt versprochen, dass wir uns ausruhen können, wenn wir abgebogen sind!“
„Natürlich, bald,“ tröstet Ismene, „aber erst müssen wir einen Platz erreichen, wo wir ungesehen rasten können. Hier aber sieht man uns von der Strasse aus, die Reiter könnten uns folgen.“
Also steigen wir steil hinauf zuerst über karge Wiesen und durch Gestrüpp, dann windet sich der Pfad durch ein kleines Wäldchen, aber schon sind wir wieder auf offenem, weithin überschaubarem Gelände. Ab und zu versperrt ein grosser Felsbrocken den Weg. Wir umgehen einen besonders mächtigen Felsen und stehen plötzlich vor einem Händler mit zwei Eseln. Erschrocken bleiben wir stehen. Er mustert uns neugierig und fragt:
„Was macht ihr denn da oben in den Hügeln? Habt ihr euch verirrt?“
„Das könnten wir dich ja auch fragen,“ finde ich.
Der Händler lacht.
„Ich will zum Markt nach Athen, ich bringe Waren aus dem kleinen Dorf da oben,“ und er zeigt über seinen Rücken zurück. Er wendet sich an Ariston: „Aber wo wollt ihr denn hin?“
Ariston sucht offensichtlich verzweifelt nach einer Ausrede, findet aber keine Erklärung. Also springe ich ein und wende mich an den Händler:
„Das ist ganz einfach. Die verstorbenen Eltern meines Herrn stammen aus einem kleinen Dorf hier oben, der Herr hat ein Gelübde getan, dass er zu dem Dorf pilgern und dort ein Opfer darbringen will. Das hat sein Vater so bestimmt.“
Der Händler nickt: „Ihr seid gute Leute, es ist wichtig, dass man den Wünschen seines Vater nachkommt. Aber wie heisst denn das Dorf? Ich kenne es sicher!“
„Cholarges, kennst du es?“
„Cholarges! Aber sicher kenne ich es, nur seid ihr da auf dem falschen Weg, ihr müsst da oben, wo der Weg sich gabelt, nach rechts gehen und wieder etwas zurück! Kennt ihr denn den Weg nicht? Es ist doch euer Dorf!“
Seine Augen wandern nun neugierig über unsere kleine Familie und scheinen alles aufzusaugen. Dieser Mann, da bin ich sicher, könnte uns genau beschreiben, wenn die Häscher des Kritias ihn ausfragen würden.
Wir dürfen uns nicht aus der Ruhe bringen lassen. So zucke ich mit den Schultern und antworte:
„Wie soll mein Herr denn das Dorf kennen? Sein Vater ist ja als Kind schon von dort weggezogen, er selbst hat es noch nie gesehen!“
Das leuchtet dem Händler ein.
„Ach so ist das, das verstehe ich, ich habe mich schon etwas gewundert, aber wenn ihr da oben nach rechts abbiegt, kommt ihr sicher hin, ihr könnt es nicht verfehlen!“
Wir alle klettern nun auf die Steine um den Weg für die Esel frei zu geben und bald hören wir das Klappern der Hufe nicht mehr.
Als er endlich verschwunden ist, fragt Ariston:
„Wie bist du auf Cholarges gekommen? Kennst du das Dorf?“
„Nein, natürlich nicht, aber einer der Pilger hat mir erzählt, dass er die Gegend gut kennt und eben aus dem kleinen Dorf Cholarges stammt.“
Ariston seufzt: „Was würde ich nur ohne dich machen, ich danke dir, da ist so viel, das wir dir verdanken!“
Unsere Lage ist schlimm, aber für einen kurzen Moment bin ich überglücklich. Bald ist mein Glücksgefühl jedoch wieder verschwunden, und ich mache mir grosse Sorgen. Das listige Blinzeln der verkniffenen Augen des Händlers hat mir gar nicht gefallen. Hat er unsere Geschichte geglaubt? Ich bin nicht so sicher.
„Wir müssen rasch weiter und ein Versteck für eine Rast finden. Wir alle brauchen Wasser und etwas Ruhe!“
Ariston nickt und keuchend steigen wir weiter auf. Wir folgen dem staubigen Pfad, die Sonne brennt gnadenlos, aber niemand beklagt sich, alle marschieren schweigend weiter. Dann aber erreichen wir ein kleines Wäldchen, bald wandern wir im Schatten und da sehe ich, was wir brauchen. Eine Mulde ein Stück vom Weg entfernt mitten im Gebüsch mit saftigem Gras verspricht Wasser. Wir halten an und ich eile hin: Wirklich, hier ist eine Quelle. Zwischen moosigen Steinen murmelt ein kleines Bächlein. Sein Wasser hat eine üppige Pflanzenwelt rundherum geschaffen, über uns zwitschern Vögel und rasch verschwinden ein paar Eidechsen unter den Steinen. Ein kleines Paradies für müde und durstige Wanderer.
Nun können wir rasten. Alle sinken erschöpft ins Gras. Anisa verteilt Wasser, Brot, Käse und Oliven. Phoebe legt sich auf das Mooskissen unter einem Baum und schläft sofort ein. Erst jetzt merken alle, wie müde sie sind, und es ist gut, dass wir uns erholen können. Aber allzu lange darf die Rast nicht sein, noch sind wir nicht weit genug von Athen weg und schon gar nicht in Sicherheit.
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